Brexit:"It's bad, but it's not the end"

Brexit Trauerfeier im Wirtshaus am Bavariapark

Mit Dudelsackmusik trauern rund 100 Briten um den Austritt Großbritanniens aus der EU.

(Foto: Florian Peljak)

Briten und Deutsche trauern in München um den Austritt Großbritanniens aus der EU. Der Abend ist politisch, melancholisch - und natürlich darf der Dudelsack nicht fehlen.

Von Thomas Becker

Ein "mournful drink" war versprochen, ein Abschiedstrunk mit 55 traurigen Briten und Deutschen, tränendrüsendrückende Dudelsack-Klagelieder inklusive. Nun ja, nicht so ganz: Fast doppelt so viele trauerbereite Remainers versammeln sich in den letzten Stunden vor dem "Idiot Brexit Stuff" im knüppelvollen roten und blauen Stüberl des Wirtshauses am Bavariapark, der Dudelsack drückt tatsächlich auf diverse Drüsen, aber die Tränen kommen einem auch als Nicht-Brite, wenn man den Menschen hier zuhört.

Nichts gegen die Künste von Garry Gilfillan. Der schottische Dudelsackbläser aus Blantyre gehört zur Band Claymore Pipes and Drums, benannt nach claidheamh mòr, dem großen schottischen Schwert, und die Jungs wissen, wie man einen Sack zum Dudeln bringt. Im richtigen Leben arbeitet Garry in München für eine US-Bank, kommt gerade aus Zürich und muss noch flott die Garderobe wechseln: Kilt muss sein. Mit-Organisatorin Ingrid Taylor vom 2017 gegründeten Verein "British in Germany" (BiG) erklärt er derweil die Idee hinter dem Brexit-Abend: "In erster Linie geht es uns darum, zusammenzukommen, zu trauern und unsere Gefühle über diesen Austritt zum Ausdruck zu bringen."

Und das tun die Remainer, manche in der Tat so empathisch und eindringlich, dass einige Augen nicht trocken bleiben. Da ist die junge Schottin, die in Edinburgh EU-Recht studiert hat, Tochter eines britischen Soldaten, der in allen Kriegsregionen des Empires gekämpft hat. Die als Kind mit ihrer Mutter in der Zeitung stand, "weil Dad im Irak war". Und der nun der Brexit eine veritable Identitätskrise beschert hat. Kaum hat sie ihr Herz ausgeschüttet, geht die Tür auf, der Ober schneit voll beladen herein und ruft: "So, Schweinsbraten?!" Welcome to Reality.

Oder Allan mit der Lesebrille im Grauschopf, seit 43 Jahren in Deutschland, der die "Social Responsibility" in Deutschland preist und fürchtet: "Das ändert sich in England gerade. Da heißt es jetzt nur noch: selbst schuld!" Er sei an diesem letzten EU-Abend "disappointed, but not disillusioned", wünscht sich für den einjährigen Enkel die Möglichkeiten und Freiheiten, die er auch hatte und fordert deshalb: "Reapply!" Noch einmal bei der EU bewerben. Da gab es schon krassere Entwicklungen in der jüngeren Historie, meint Allan. Landsfrau Vivienne Arnold hegt eine ähnliche Hoffnung: "1975, zwei Jahre nach dem britischen Beitritt zur EU, gab es ein positives Referendum zum Beitritt - auf eine solche Volksbefragung hoffe ich auch jetzt." Damals warb die junge Margaret Thatcher in einem Jumpsuit mit allen EU-Flaggen für den Beitritt: "Europe or bust." Tja, jetzt wohl eher bust.

Auch Andrew Ketley sieht man seine Gesinnung schon aus der Ferne an. Der Mittvierziger, ein Business Intelligence Berater, trägt eine Leggings im Maggie-Thatcher-EU-Style. Er hat am 24. Juni 2016 beschlossen, sein Heimatland zu verlassen: am Tag nach der Volksbefragung zum Brexit. Wenige Monate später hatte er sein Haus verkauft und einen Job in München gefunden, Gattin Rachel folgte ihm ein Jahr darauf. In England waren sie seitdem nur noch zwei Mal: zum Demonstrieren, gegen den Brexit. "England ist keine Heimat mehr", sagt er und spricht von Wut, Entsetzen, Kummer und Trauer. Die Familie verstehe seine Gründe, aber der Bekanntenkreis habe sich seit der Brexit-Diskussion neu sortiert: "Es ist bestürzend, dass manche bereit sind, das Leben von fünf Millionen Mitbürgern auf den Kopf zu stellen." Lobende Worte hat er dagegen für seine neue Heimat: "Deutschland hat uns viel besser behandelt. Und deutsche Beamte sind viel besser drauf als die in England! Wobei: Einen Rentensparvertrag international übertragen zu lassen: Das ist schon ein Abenteuer! Zwei Jahre hat das gedauert."

Rund 116.000 Briten leben in Deutschland

Erst wer acht Jahre in Deutschland gelebt hat, kann die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Dass es dabei einige Tests zu bestehen gibt, davon kann Philip Sedgwick ein Liedchen singen. Der Mann aus Marlow-on-Thames ist seit 2011 der Chef im Wirtshaus am Bavariapark, ein gelernter Koch, der seine Frau 1992 im Tantris kennenlernte. Heute paukt er mit der elfjährigen Tochter für den Einbürgerungstest: "Alles easy, nur im schriftlichen Teil bin ich erst bei 44 von 100 Punkten", sagt er grinsend.

Auf der ganzen Welt hat er als Koch gearbeitet: "Früher war es so einfach in der EU zu arbeiten, Erfahrungen zu sammeln - aber heute? England hat die Demokratie in die Welt gebracht - der Brexit ist jetzt ein Schritt rückwärts. Der Respekt vor England ist weg. Diese Arroganz einfach auszusteigen! Die wissen nicht, was sie tun." Jahrelang habe er sich mit Freunden einmal im Jahr in London zum Feiern getroffen. "Und immer haben wir gejammert, wie teuer London ist - das nächste Mal treffen wir uns jetzt in Madrid. Keiner hat mehr Lust auf England."

Rund 116.000 Briten leben laut dem Bundesamt für Statistik in Deutschland. Die Mehrheit durfte weder am Brexit-Referendum noch an der Unterhauswahl teilnehmen und betrachtet die Europapolitik der britischen Regierung und den politischen Diskurs im Vereinigten Königreich mit Entsetzen. Die trauernde Hundertschaft im Bavariapark ist trotz aller Verzweiflung - einer trägt gar eine schwarze Trauerbinde am Arm - dennoch vorsichtig optimistisch. Allison Jones, eine IT-Projektleiterin, die seit 30 Jahren hier lebt, spricht sicher vielen aus der Seele, wenn sie sagt: "It's bad, but it's not the end. It's the beginning of something new." Und der Dudelsack pfeift dazu.

Für Informationen über die Sorgen der Briten in Bezug auf das Austrittsabkommen und die bevorstehende Übergangszeit gibt es auf www.britishineurope.org Beiträge zu Themen wie Aufenthaltsrechte, Kranken-, Rentenversicherung, Familienzusammenführung, Anerkennung von Qualifikationen etc.

Zur SZ-Startseite
Ingrid Taylor von "British in Bavaria", 2018

Was wurde aus...
:Abgesang mit Dudelsack

Die Britin Ingrid Taylor hat wegen des Brexits die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Beim Stammtisch unterstützt sie verzweifelte Landsleute

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: