Süddeutsche Zeitung

Boulderhalle an der Thalkirchner Straße:Es geht aufwärts

Der Alpenverein darf das Kletterzentrum um einen umstrittenen zweistöckigen Bau erweitern. Andere Vereine sind besorgt, Anwohner lehnen den Bau ab - doch er soll schon bald stehen.

Von Julian Raff

Vielleicht, weil passionierte Kletterer im Lockdown den Naturfels wiederentdeckt haben und sich Gelegenheitskraxler coronahalber zurückhalten, geht es im DAV-Kletterzentrum an der Thalkirchner Straße derzeit etwas ruhiger zu als gewohnt. Der geplante Ausbau wird dennoch eine willkommene Entlastung der oft überfüllten Anlage bringen - oder weniger Grün, dafür aber mehr Verkehr und Rummel im Sendlinger Süden, je nach Standpunkt. Sicher ist jedenfalls, dass das umstrittene Projekt nicht länger auf Eis liegt: Die Lokalbaukommission hat den Antrag auf Neubau einer zweistöckigen Boulderhalle nördlich der beiden bestehenden Hallen genehmigt, bis Spätherbst 2022 könnte sie fertig werden.

Noch steht dort die 1989 erbaute Beton-Freianlage, in den vergangenen Jahren ein vernachlässigter, gleichwohl kultiger Nebenschauplatz. Eine eingeschworene Fangemeinde hätte ihn gerne geschützt gesehen, als Keimzelle nicht nur der lange Zeit weltgrößten Kletteranlage, sondern des urbanen Klettersports überhaupt. Für alle, die nach wie vor gerne am einst kreativ modellierten Felsimitat klettern und an den Boulder-Quergängen des "Schreins" ihre Ausdauer trainieren, heißt es nun Abschied nehmen: Wie Michael Düchs vom Kletterhallen-Trägerverein, einem Alpenvereins-Ableger, erklärt, soll die alte Anlage bis zum Jahresende abgerissen werden. Die Baugenehmigung enthalte zwar Auflagen zum Denkmalschutz, diese betreffen allerdings nicht, wie in einer Landtags-Petition vergeblich gefordert, die Betonfelsen, sondern eventuelle Bodenfunde.

Den emotionalen Denkmalwert der Altanlage schätzen Düchs und die DAV-Oberen schon deshalb, weil sie selbst dort ihre ersten Schritte getan haben. Dennoch verfehle der Bau heutige Ansprüche, vor allem die an Barrierefreiheit und Inklusion. Kletterkurse und -gruppen für Sportler mit Handicap trainieren seit Jahren im Zentrum, das aber weder beim Bau der ersten Halle im Jahr 2000, noch bei der Erweiterung, elf Jahre später, darauf ausgelegt wurde. Die über den Nordteil der Sendlinger Bezirkssportanlage verlaufende Grün- und Frischluftschneise wird aus Sicht der Bauherren durch die Boulderhalle weniger gestört als durch den Bestand, dank reduzierter Grundfläche und bienenfreundlich begrüntem Dach.

Nach wie vor anders sehen dies der gesamte Bezirksausschuss (BA) Sendling sowie die meisten Anwohner, die das Vorhaben in mehreren Bürgerversammlungen ablehnten. Wie der BA-Vorsitzende Markus Lutz (SPD) erklärte, gibt die LBK-Entscheidung nun nicht nur ihm reichlich Grund, "über die Parteikollegen im Rathaus zu schimpfen". Nachdem ein erster Bauantrag wegen behördlicher Bedenken zurückgezogen worden war, stellte sich im Wahlkampf 2020 OB Dieter Reiter in einer DAV-Publikation hinter das Projekt, wenn auch nicht ganz so begeistert, wie seine heutige Vize Katrin Habenschaden (Grüne) und Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU). Entsprechend robust fiel schließlich vor einem Jahr das grundsätzliche Ja im städtischen Planungsausschuss.

Noch wichtiger als der Grünzug sind den Anwohnern die Parkplätze

Wie weit Bürger und Lokalpolitiker beziehungsweise Kletterer und Verein auseinander liegen, zeigt auch, dass der DAV sein Projekt nicht als Ausbau etikettiert, sondern als "Modernisierung". Vielleicht noch wichtiger als der Grünzug sind den Anwohnern ihre Stellplätze. Allerdings hat sich die Situation, wie Düchs betont und wie sich auch beobachten lässt, etwas entspannt, seit der unterdimensionierte Parkplatz nur noch mit Parkscheibe für vier Stunden belegt werden darf. Zuvor hatten Tagespendler dort die Sportler in die umgebenden Straßen verdrängt. Unklar bleibt, welche Rolle derzeit der pandemiebedingte leichte Besucherrückgang spielt. Auf jeden Fall mietet der DAV im Winter Stellplätze bei einem gegenüber ansässigen Kleingartenverein an und wirbt fürs Radl und die nahe U-Bahn.

Weniger der Betrieb der Halle, als der bevorstehende Abbruch und die Bauphase macht unterdessen den Fußballern der SpVgg Thalkirchen und zwei weiteren auf der Sportanlage ansässigen Vereinen Sorge. Laut Düchs muss die Baustelle nur für den Abbruch, also während der Winterpause, übers Fußballgelände angefahren werden. Der SpVgg-Vorsitzende Thomas Huber gibt allerdings zu bedenken, dass sich diese Erschließung mit der Rettungszufahrt überschneidet und daher eventuell nach Norden verlegt werden muss, entweder über das Kunstrasen-Kleinfeld, oder den großen Rasenplatz. In beiden Fällen müssten die Plätze anschließend neu angelegt werden, was den Spiel- und Trainingsbetrieb in Bedrängnis bringen würde - selbst wenn der DAV für Schäden aufkommt.

Ob sich die eigentliche Baustelle tatsächlich vom Parkplatz aus ohne Beeinträchtigung des Fußballbetriebs erschließen lässt, ist für Huber ebenfalls fraglich. Obwohl beide Seiten die gute sportliche Nachbarschaft "auf Augenhöhe" beteuern, ist das Verhältnis zwischen Kletterern und Kickern doch etwas angespannt, nachdem Letztere vor dem Bau der zweiten Kletterhalle im Jahr 2011 zunächst wegen des Grünzugs auf ein fest gebautes Vereinsheim verzichten mussten - um es dann doch im Windschatten des zügig genehmigten DAV-Projekts zu bekommen.

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