Das Münchner Botanikum, das waren verwunschen wirkende Glashäuser, wie in einem fernen Traum irgendwo nach Moosach verpflanzt. Drinnen klirrten Gläser, dampfte Feines in großen Töpfen, legten DJs auf. Hier wurden Geburtstage gefeiert, Firmenfeste zelebriert, Ehen geschlossen, Freundschaften begründet. Und dazwischen, in den kleineren Glashäusern, in denen einst Blumen und Gemüse heranwuchsen, entfalteten sich Künstlerinnen und Künstler. Keines dieser Ateliers war wie das andere, imposante Skulpturen, filigrane Zeichnungen, opulente Gemälde fanden von hier den Weg hinaus in die Galerien.
Der schöne Traum ist nun ausgeträumt. Am Sonntag hatten die Erfinder dieser Kunst- und Partyoase zum letzten Tanz geladen. Die letzten von 40 Künstlern räumen gerade ihre Staffeleien zusammen, die letzten Veranstaltungen gehen Ende September über die Bühne. Heinrich und Bettina Bunzel schließen das Biotop Botanikum nach 40 Jahren. „Es war ein Traum, es war eine Idee, die ganz wunderbar funktioniert hat“, sagt Heinrich Bunzel. Funktioniert hat, dass hier zwischen Palmen, Zitrusfrüchten, Olivenbäumen und plätschernden Brunnen ein Lebensgefühl und ein Ambiente mit leicht dekadentem, mitunter angeschrammtem Charme entstanden ist, wie man es im oft geschleckten München nicht immer so kannte. Hier fanden Künstler bezahlbare Ateliers, bevor es eine wirksame öffentliche Förderung für sie gab. Hier gab es Räume zum Feiern, zum Staunen.
Und hier verwirklichte Bunzel, der die Gärtnerei von seinem Vater übernommen hatte und diese dann 1984 mit seiner Frau in eine Eventlocation samt Ateliers umwandelte, selbst Kunst, die sich mitunter wirklich auszahlte: Gepflanzte Werbeflächen etwa entlang der Anflugschneisen verschiedener Flughäfen, sogenannte Artfields. Aber auch hier bekamen Künstler regelmäßig eine – sehr große – Fläche: Hermann Nitsch, Ugo Dossi, Wolfgang Flatz, Daniel Spoerri zum Beispiel.
Einige von den einstigen und jetzigen Botanikum-Künstlern wie Jakob de Chirico, Kiddy Citny, Kerstin Sprinkel oder Michael Heiniger feierten am Sonntag wehmütig bei der Abschiedsparty mit. Mit Unterschriftensammlungen und Briefen an die Stadtspitze hatten die Künstler für den Erhalt ihrer Ateliers gekämpft. Vergebens. In den nächsten Monaten werden die Gewächshäuser, die deutlich in die Jahre gekommen sind, abgerissen. Neben Problemen mit dem Brandschutz und energetischer Sanierung gab es dann eben noch die Planung für ein neues Stadtquartier. Auf dem Botanikum-Gelände entsteht teils eine Ausgleichsfläche für die beidseits der Feldmochinger Straße entstehende neue Wohnsiedlung mit einer Grundschule.
Ein Teil des Betriebszweigs des Botanikums aber geht weiter – Sohn Leonard Bunzel, 27, übernimmt die zugemieteten Gewächshäuser in Ismaning, Hallbergmoos und Hamm. Hier kann man also weiter Pflanzen kaufen, leihen oder überwintern lassen. Bei der Abschiedsparty am Sonntag sagte Bunzel junior vor Gästen wie den Schauspielerinnen Jutta Speidel oder Veronika von Quast: „Das Botanikum ist seit fast 28 Jahren mein Zuhause. In all dieser Zeit habe ich diesen Ort als Oase für Pflanzen und freie Geister erlebt.“ Dies sei ein Zufluchtsort, eine Inspirationsquelle und ein Treffpunkt für Menschen gewesen, die ihre Kreativität und Leidenschaft für Kunst ausleben wollten.
50 Arbeiten von Künstlern wurden zum Abschied per Tombola verlost. Der Erlös geht an „Artists for Kids“. Bis spät in die Nacht ging der letzte Tanz auf dem Dancefloor im Theaterhaus, dem größten Gewächshaus.
Unter den verlosten Kunstwerken waren auch einige Drucke von Heinrich Bunzel. Sie zeigen eines seiner Projekte aus den Anfangsjahren des Botanikums. Ein riesiger Flugzeugträger, bepflanzt mit überwölbendem Grün, sollte in Venedig einlaufen. Der Botanikum-Chef hatte damit gar vor dem Bürgermeister von Venedig vorgesprochen, der aber nicht wirklich aufgeschlossen reagierte – schließlich kämpfte er da noch mit der Problematik der Einfahrt von anderen großen Kähnen wie den Kreuzfahrtschiffen in seine Lagune.
Aus dem „Friedensprojekt Venezia“ aus München wurde also erstmal: niente. Bunzel geht es vielleicht jetzt nochmal an. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.