Pflanzen in Bayern:„Die typischen Blumenwiesen hierzulande verschwinden zunehmend“

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Dunkle Wolken über einer Blumenwiese in Gilching: Im Münchner Umland sieht man immer häufiger grüne Graswüsten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Jahrzehntelang haben Forscher an dem neuen Nachschlagewerk „Flora von Bayern“ gearbeitet. Mit-Herausgeber Andreas Fleischmann erklärt, was die Gründe für den Artenschwund sind, und warum auch die Pflanzenwelt globalisiert ist.

Interview von Patrik Stäbler

110 Jahre nach der „Flora von Bayern 1914“ erscheint erstmals wieder eine Übersicht zur Pflanzenwelt im Freistaat. Für das Mammutwerk haben Forschende jahrzehntelang mehr als 16 Millionen Beobachtungsdaten ausgewertet. Das Ergebnis ist eine neue „Flora von Bayern“ – in vier Bänden, auf 2900 Seiten, mit knapp 6000 Pflanzen. Das Buch solle als Nachschlagewerk und Grundlage für künftige Forschung dienen, sagt Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München, einer der Herausgeber. Die Zusammenstellung zeige, wie globalisiert die Pflanzenwelt im Freistaat sei und wie stark der Mensch die Artenvielfalt bedrohe.

SZ: Herr Fleischmann, die neue „Flora von Bayern“ umfasst knapp 6000 Pflanzen. Welche davon hat es Ihnen besonders angetan?

Andreas Fleischmann: Mein Herz schlägt für die einheimischen Arten – und besonders für fleischfressende Pflanzen, die einer meiner Forschungsschwerpunkte sind. Dennoch würde ich, wenn ich eine einzelne Pflanzenart herauspicken müsste, die Wiesen-Glockenblume wählen.

Zart und schön: die Wiesen-Glockenblume (Foto: Niels P. Joergensen)

Eine schöne, aber vergleichsweise unscheinbare Blume …

… die viele Menschen noch aus ihrer Kindheit kennen. Früher ist diese Pflanze in ganz Bayern gewachsen, da lag stets um Pfingsten herum ein lila Schimmer auf den Blumenwiesen. Inzwischen jedoch ist die Wiesen-Glockenblume vielerorts selten geworden und findet sich auch auf der Roten Liste der gefährdeten Arten – in anderen Bundesländern ist sie sogar schon ausgestorben. Das liegt daran, dass die typischen Blumenwiesen hierzulande zunehmend verschwinden. Im Münchner Umland beispielsweise sieht man stattdessen immer häufiger grüne Graswüsten.

Zeugt die „Flora von Bayern“ insgesamt von einer zurückgehenden Artenvielfalt?

In der Tat ist es so, dass die Rote Liste für Bayern, deren Neuauflage in Kürze erscheint, immer länger wird. Das Paradoxe ist, dass es vielen gefährdeten Arten, die schon seit Längerem bedroht sind, heute genauso schlecht geht wie damals. Etliche haben weiterhin einen winzigen Lebensraum, in dem sie jedoch geschützt sind. Der Status quo für viele der sehr seltenen Arten ist also nach wie vor unverändert. Was uns Botanikern jedoch große Sorgen bereitet, ist die steigende Zahl von Pflanzenarten auf der Roten Liste, die früher gewöhnlich und weitverbreitet waren – wie die Wiesen-Glockenblume.

Kennt sich mit Blumen aller Art aus: Andreas Fleischmann,44, von der Botanischen Sammlung München. (Foto: Catherina Hess)

Ist es um die Pflanzenvielfalt in Bayern besonders schlecht bestellt?

Die botanische Artenvielfalt nimmt seit circa 100 Jahren in ganz Deutschland ab – auch in Bayern. Allerdings sieht es hier bislang nicht ganz so schlimm aus wie andernorts. In dichter besiedelten Bundesländern sind viele Arten schon ausgestorben, die bei uns noch vorkommen. Deutschlandweit ist Bayern das artenreichste Bundesland. Das liegt zum einen an den großen Naturflächen wie den Nationalparks und Naturschutzgebieten. Zum anderen verfügt Bayern in den Alpen über einen besonderen Lebensraum, wo viele Pflanzen wachsen, die im übrigen Deutschland nicht vorkommen.

Was sind die Ursachen für die schwindende Artenvielfalt?

Die Gründe sind alle menschengemacht. Der massive Flächenverbrauch, durch den Lebensräume zerstört werden, spielt eine zentrale Rolle. Außerdem natürlich die industrialisierte Landwirtschaft. Wobei man dazu sagen muss: Die Landwirtschaft, wie sie früher betrieben wurde, hat die Pflanzenvielfalt seit dem Mittelalter sogar gefördert. Das sind die bei uns bekannten Blumenwiesen und Almweiden. Doch diese Entwicklung hat sich vor circa 50 Jahren ins Gegenteil verkehrt – aufgrund der zunehmenden Intensivierung und Gewinnmaximierung in der Landwirtschaft. 

Ein Landwirt fährt mit seinem Traktor über ein Feld bei Hörzing. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Von 6000 Arten im Buch sind fast 2000 sogenannte Neophyten – also Pflanzen, die nach der Entdeckung Amerikas 1492 in Bayern eingeschleppt wurden.

Das verdeutlicht, wie globalisiert unsere Pflanzenwelt inzwischen ist. Allerdings wächst die große Mehrheit dieser Neophyten nur sehr lokal. Lediglich ein geringer Anteil hat eine größere Verbreitung wie das Indische Springkraut, der Riesen-Bärenklau und das Schmalblättrige Greiskraut, das aus Südafrika stammt. Diese Pflanze hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv ausgebreitet. Manche Botaniker nennen sie scherzhaft „Autobahngold“, weil es heute keine Autobahn und keine Bahnstrecke gibt, an deren Rändern diese gelb blühende Pflanze nicht wächst.

Die „Flora von Bayern“ blickt auch auf einzelne Naturräume. Wie steht es etwa um die Pflanzenwelt in München?

In München wachsen circa 2500 verschiedene Arten; diese Zahl ist seit Langem konstant. Allerdings sagt das wenig über die wirkliche Artenvielfalt. So sind in den vergangenen 200 Jahren ein Viertel dieser Pflanzen ausgestorben und gleichzeitig genauso viele Neophyten neu dazugekommen. Das Problem daran ist, dass mit den Arten auch ihre Ökosystemleistung verschwindet – also gewissermaßen ihr Job in der Natur. Bestimmte Schmetterlinge oder Wildbienen sind auf einzelne Pflanzen angewiesen. Wenn diese aussterben, dann sterben auch die Tiere aus, das ist oft eine Kettenreaktion.

An der „Flora von Bayern“ waren nicht nur Forschende beteiligt, sondern auch mehr als 200 Ehrenamtliche. Welche Rolle haben sie gespielt?

Ohne die vielen Kartiererinnen und Kartierer gäbe es das Werk nicht! Diese Hobby-Botaniker sind in den vergangenen 50 Jahren quer durch Bayern gelaufen und haben die jeweiligen Pflanzenarten vor Ort dokumentiert. Das ist Citizen Science in Reinform gewesen, noch bevor es dieses Wort überhaupt gab. Den daraus gewonnenen Datenschatz haben wir zusammen mit Angaben aus älterer Literatur sowie den Beständen aller bayerischer Herbarien ausgewertet.

Daraus ist ein 3000 Seiten starkes Mammutwerk geworden. Und jetzt?

Das Buch soll sowohl als Nachschlagewerk dienen, als auch den Ist-Zustand der Pflanzenwelt in Bayern dokumentieren. Außerdem ist es als Ansporn zum Weitermachen gedacht. Schließlich unterliegt die Flora einem permanenten Wandel. Allein in den wenigen Wochen, seit das Buch in Druck gegangen ist, sind schon wieder zwei neue Neophyten in Bayern entdeckt worden. 

Das Buch „Flora von Bayern“ ist im Haupt Verlag erschienen, hat 2880 Seiten und kostet 158 Euro.

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