Süddeutsche Zeitung

Lesefestival:Die Entdeckung der Lässigkeit

Eine Idee mit Potenzial: Die Buchhandelskette Hugendubel erfindet das Format "Bookstock". Autorinnen und Autoren treffen hier in lockerer Studioatmosphäre mit dem Publikum zusammen.

Von Greta Hüllmann, München

Es ist etwas mehr als acht Jahre her, da stand die traditionsreiche Buchhandelskette Hugendubel kurz vor dem Aus. Der damalige Geschäftspartner, die Weltbild-Gruppe, hatte Insolvenz angemeldet. Die Hugendubel-Geschäftsführung reagierte, ließ sich unter anderem von Porsche Consulting beraten. Das Ziel sollte sein, dass die Mitarbeitenden wieder mehr Zeit haben, sich mit den Kundinnen und Kunden zu beschäftigen. Was sich banal anhört, gab dem Reden über Bücher tatsächlich mehr Gewicht. So entstand auch "Bookstock", das Festivalformat für das Lesen, das an diesem Wochenende online und in den Bavariastudios Spannung, Romanzen und Fiktion feierte.

"Wir haben den regen Austausch in den Filialen und den sozialen Netzwerken bemerkt und wollten dem ein modernes, neues Format geben", erklärt der geschäftsführende Gesellschafter Maximilian Hugendubel auf der Bühne, anderthalb Stunden vor Beginn. 180 Plätze hat das Studio 6, sie sind alle ausgebucht, und vor der Tür tummeln sich bereits Grüppchen von Menschen. Dass die Zielgruppe ein junges Publikum ist, muss nicht erst der Chef erklären, das lässt sich schon mit einem Blick aufs Marketing austüfteln. "Lesen goes Popkultur", "lässige Gemütlichkeit", "Retroflair" und "coole Insights in die Buchbranche". Es wird kein Literarisches Quartett, so viel ist klar. Vor Ort gibt es einen Foodtruck, Limos, seichte Popmusik, und wer zu Hause die Festivalstimmung vermisst, kann sich das Festival-Kit (29,95 Euro) inklusive veganem Porridge, getrockneten Erdbeeren und einem recycelten T-Shirt bestellen. Alles, was der junge, nachhaltige und hippe Bücherwurm so braucht. Die Festivalkits sind das Einzige, was nicht ausverkauft ist, aber man muss es den Strateginnen und Strategen hinter "Bookstock" hoch anrechnen, dass sie begriffen haben, dass auch ein Lesefestival nicht ohne pseudonachhaltigen Konsum auskommt.

Die meisten im Publikum sind Frauen

Die Besucherinnen, es sind tatsächlich fast nur Frauen, scheinen sich aber weniger für das kapitalistische Drumherum als für Bücher zu interessieren. Amelie hat sich gerade ein Autogramm geholt und reckt ihr Buch siegestrunken in die Höhe. Sie und ihre zwei Freundinnen haben über Instagram vom Festival erfahren. "Wenn man Bücher liebt, kriegt man das mit", sagen sie. Zwei Meter weiter kommen vier Freundinnen nicht mehr aus dem Grinsen heraus: "Wir wollen Ali sehen." Ali Hazelwood ("The Love Hypothesis") ist eine der Autorinnen, die vor Ort sprechen und nicht nur virtuell zugeschaltet wird. Die Stimmung ähnelt der summenden Erwartung vor einem Konzert, man kann gar nicht anders, als sich mitzufreuen und wird über die knapp zwei Stunden Talkshow auch nicht enttäuscht.

Das Moderatorenduo macht seinen Job richtig gut. Spaßvogel Tarkan Bagci redet sich um Kopf und Kragen - das Publikum liebt ihn -, und Mona Ameziane stellt gemeinsam mit der Online-Community die richtigen Fragen. Amelie und Co. erfahren, ob Tami Fischer eines ihrer Bücher am liebsten mag ("Nein, aber ja, haha. Das Neueste"), wer Madeline Millers Lieblingscharakter ist ("Patroclus") und zu welcher Musik Ben Aaronovitch schreibt ("Movie Scores"). Der Abend ist überraschend erfrischend, die Autorinnen und Autoren sympathisch und gut drauf, und die Leserschaft kann endlich ihre Fragen loswerden. Die demütige Ehrfurcht vor den schreibenden Menschen, deren Autogramm man sich mit gesenktem Kopf und gemurmelten Komplimenten abholt, ist Vergangenheit. Die Autorinnen und Autoren schreiben für junge Erwachsene, sie sind oft über Tiktok bekannt geworden und pflegen eine beinah intime Beziehung zu ihren Lesenden. Es wirkt, als würden sie sich schon lange kennen und könnten sich durch "Bookstock" endlich treffen.

Die Idee hat Potenzial, besonders wenn mehr Autorinnen und Autoren nicht nur virtuell zugeschaltet sind. Auch an der "lässigen Gemütlichkeit" für das Studiopublikum kann man arbeiten, die Bänke waren hart, Rückenlehnen fehlten völlig, doch Lesefestivals abseits von Buchmessen und Literaturhäusern können dennoch gerne, Achtung Jugendsprache, "a thing" werden.

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