Süddeutsche Zeitung

Evangelisches Gemeindezentrum Bogenhausen:Eine Kirche für alle Religionen

In Bogenhausen soll ein interkulturelles Zentrum entstehen, in dem sich Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und Angehörige anderer Glaubensrichtungen treffen können. Das Projekt läuft zunächst für ein Jahr.

Von Bernd Kastner

Noch stehen sie nebeneinander. Ein Ausrufezeichen und ein Fragezeichen. Ein Ja und ein Naja. Martin Rötting weiß nicht, welche Botschaft sich am Ende durchsetzt, klar aber ist: Er arbeitet am Ausrufezeichen. Für ein Haus der Kulturen und Religionen in München. Symbolhaft für das Ausrufezeichen steht der Glockenturm der evangelischen Nazarethkirche in Bogenhausen: Im dortigen Gemeindezentrum will Rötting mit einigen Partnern das "HdKRM" im Probebetrieb starten. Schon das Kürzel für das interkulturelle Zentrum lässt ahnen, wie holprig der Weg zum Dauerbetrieb werden könnte.

Die Vision von Martin Rötting, der als Professor an der Uni Salzburg zu interreligiösem Dialog und den entsprechenden Zentren forscht, ist simpel: Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und Angehörige anderer Religionen sollen einen Ort in München bekommen, wo sich Gläubige treffen, miteinander arbeiten, aber auch für sich sein können. Diese Vision geht aber rasch über in konkrete Fragen zu Gebäuden, Geld und Gefühlen.

Wenn Martin Rötting von den Anfängen der Idee erzählt, klingt alles sehr organisch, beinahe zwangsläufig. Da fanden sich 2017 der Münchner Rabbiner Steven Langnas mit seinem Projekt eines Lehrhauses der Religionen, die Betreiber eines kirchlichen Studentenwohnheims, und Rötting, der damals schon aktiv bei "Occurso", einem Institut für interkulturelle und interreligiöse Begegnung, war. In diesem Kreis sei der Gedanke entstanden, etwas anzupacken, nach dem Motto: gemeinsam lehren, lernen und wohnen.

Das Lehren könne stattfinden in einem "College of Interreligious Studies", in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Philosophie. Das Lernen bezieht sich auf Erwachsenenbildung, das könnten das Lehrhaus übernehmen oder der Verein "Freunde Abrahams". Und Wohnen könnten in einem solchen Zentrum Studierende, egal, ob sie am College lernen oder woanders. Mit diesem Grundkonzept kam die Idee für einen möglichen Ort: die Bayernkaserne in Freimann, wo ein großes Neubaugebiet entsteht. Inzwischen ist das Areal aus dem Rennen, die Planung der Stadt habe sich zu lange hingezogen, sagt Rötting. Dafür sprach sich die interreligiöse Idee herum, wofür eine Tagung im Herbst 2019 maßgeblich war. Ergebnis war ein Angebot der evangelischen Landeskirche. Die hat nämlich im Osten der Stadt eine Gemeinde mit zwei Zentren, der Immanuel- und die Nazarethkirche. Für letztere sucht man eine neue Zukunft.

Markus Rhinow ist Pfarrer dort - und begeistert von der Idee des HdKRM. Auf Dauer könne man sich zwei Zentren nicht leisten, und weil die Gemeinde in den nächsten Jahren in Richtung Nordosten wachsen werde, durch Neubauprojekte, liege nahe, sich für eine der beiden Kirchen was Neues zu überlegen. Eins kam zum anderen, auch gute, persönliche Bekanntschaften seien wichtig gewesen, um Vertrauen aufzubauen, erzählt Rhinow. Und so startet mit dem Jahreswechsel mit dem Haus der Kulturen und Religionen ein ganz neues Projekt in München, zunächst als Pilotphase für ein Jahr.

"Es ist ein Wagnis", sagt Rhinow, und Rötting sieht es genauso. Beide sind begeistert von der Idee des Miteinanders über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg, beide wissen aber auch, dass das kein Selbstläufer ist. Rötting berichtet, dass es im Kreis der Aktiven auch Skepsis gebe: Ist die Nazarethkirche in der Barbarossastraße nicht zu weit weg vom Zentrum? Ist es hinderlich, weil in diesem Viertel wenige Muslime wohnen? Wie kommt es bei Nicht-Christen an, das Zentrum in einer Kirche einzurichten? Und wie lassen sich die vorhandenen Gebäude, denkmalgeschützte Kirche und Gemeindezentrum, so gestalten, dass alle Religionen Räume für sich haben und zugleich einen Treffpunkt für alle, ein Café etwa? Rötting sagt, dass die ihm bekannten Zentren dieser Art, in Bern etwa oder Wien, so konzipiert seien. Ein Gebetsraum für alle funktioniere wohl eher in Kliniken.

Über diesen Fragen schwebt eine weitere: Wer finanziert solch ein Zentrum? Aus der Erfahrung der gescheiterten Moscheebaus Münchner Forums für Islam (MFI) an der Dachauer Straße weiß man, dass auch hochgelobte Pläne Makulatur sind ohne Finanzier. Das MFI ist mit Gönül Yerli im Vorstand des HdKRM vertreten, sie wird ihre Erfahrungen bei der Geldsuche einbringen. Rötting geht davon aus, dass neben Crowdfunding, Einnahmen etwa aus einem Wohnheimbetrieb und öffentlicher Förderung mindestens ein großzügiger Geldgeber nötig sei, um das Haus zu realisieren. Zunächst will man mit kleinem Budget in der Nazarethkirche anfangen, im Gotteshaus und in den Sälen der Gemeinde, mit Veranstaltungen aller Art. "Das tut der Stadt auf alle Fälle gut", sagt Rötting und meint den anstehenden Lernprozess und die Diskussion darüber, ob München solch ein Zentrum will. Pfarrer Rhinow hat schon eine Antwort, mit Ausrufezeichen: "Wir haben Lust darauf!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5162652
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.01.2021/kafe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.