Steffen Erzgraber ist neulich in der Münchner Altstadt gewesen – zum Einkaufen. „Ich gehe häufiger in die Fußgängerzone, zum Beispiel wenn ich Arbeitsklamotten brauche“, sagt der Geschäftsführer des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes (BBSB). Doch entspanntes Shopping ist für ihn in der Kaufingerstraße kaum möglich. Er gehe „immer an den Häuserwänden entlang“, erzählt Erzgraber. Der Grund: Der 40-Jährige ist blind und daher zur Orientierung auf einen Langstock angewiesen, mit dem er sich dann gewissermaßen von Gebäude zu Gebäude hangelt.
Dabei gibt es in der ältesten und größten Fußgängerzone der Stadt durchaus ein Leitsystem für blinde und sehbehinderte Menschen – und zwar in Form eines 30 Zentimeter breiten Streifens aus Pflastersteinen, der vom Marienplatz ab der Galeria Kaufhof in etwa in der Fahrbahnmitte in Richtung Karlsplatz verläuft. Doch zum einen führt diese Orientierungshilfe weder zu den Abgängen zu U- und S-Bahn, noch ist sie durchgehend bis zum Stachus vorhanden. Und zum anderen kritisiert der BBSB diesen sogenannten Kleinsteinstreifen als völlig unzulänglich – gerade im Vergleich zu dem taktilen Leitsystem mit Rippen und Noppen, wie man es etwa in der Sendlinger Straße antrifft. „Wenn man es in Jugendsprache ausdrücken will, dann ist diese Fußgängerzone mein Endgegner“, sagt Steffen Erzgraber mit Blick auf die Zustände in der Kaufingerstraße.
Um das zu ändern, hat Stefanie Freitag an diesem Vormittag die Stadtratsmitglieder Barbara Likus, Roland Hefter (beide SPD), Stefan Jagel (Linke) und Sofie Langmeier (Grüne) zu einem Rundgang eingeladen. Die 53-Jährige ist BBSB-Vorsitzende im Bezirk Oberbayern-München, lebt selbst in der Landeshauptstadt, ist stark sehbehindert und tagtäglich in der Fußgängerzone unterwegs – wegen ihres Jobs im Polizeipräsidium.
„Mit dem Langstock ist es schwierig, sich hier zu orientieren“, klagt Stefanie Freitag. Hinzu komme, dass vor allem durch die darüberfahrenden Kehrmaschinen immer wieder Pflastersteine gelockert würden. „Die werden dann zur Stolperfalle, das kann richtig gefährlich werden“, sagt Freitag. Auch deshalb fordere der BBSB in der Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus „richtige Bodenindikatoren, sodass sich sehbehinderte Menschen gut und sicher bewegen können“.
Wie schwierig sich dies aktuell gestaltet, davon können sich die Stadträtinnen und Stadträte bei einem Selbstversuch überzeugen – wahlweise mit blickdichter Schlafmaske über den Augen oder einer Spezialbrille, die das Sehvermögen auf zehn Prozent reduziert. „Ich kann nachvollziehen, dass das mit dem Kopfsteinpflaster schwierig ist“, sagt Stefan Jagel, nachdem er einige Meter mehr schlecht als recht vorangekommen ist. „Ich bin auch immer wieder hängen geblieben und habe mir den Stock in den Bauch gerammt.“ Insofern unterstütze er das Anliegen des BBSB – eine Meinung, die naturgemäß alle Anwesenden teilen. Wobei Sofie Langmeier einräumt: „Im Bereich Barrierefreiheit sind es immer dicke Bretter, die man bohren muss.“
Die höchste Hürde, schätzt die Grünen-Stadträtin, dürfte dabei das Thema Geld sein. „Ich kann mir angesichts der aktuellen Haushaltslage nicht vorstellen, dass wir das im Augenblick komplett finanziert kriegen“, sagt Sofie Langmeier mit Blick auf den geforderten Einbau eines Blindenleitsystems zwischen Marienplatz und Stachus nach dem Vorbild der Sendlinger Straße. Daher plädiert sie dafür, die Maßnahme peu à peu umzusetzen. „Wichtig ist, dass man einfach mal anfängt“, sagt sie. Einen entsprechenden Antrag könnte ihre Fraktion mit SPD und Linken erarbeiten, so Langmeier.
Dies wäre auch im Sinne von Bernhard Claus, der sich nicht nur im BBSB engagiert, sondern auch dem städtischen Behindertenbeirat angehört. Er erinnert daran, dass vor gut zwölf Jahren bei der Sanierung der Fußgängerzone schon einmal über ein Leitsystem diskutiert wurde. Seinerzeit sei das jedoch abgelehnt worden, unter anderem aus optischen Gründen. Als Blinder sehe er sich am Marienplatz mit Problemen konfrontiert, sagt Bernhard Claus. Zwar sei der dortige Bahnhof barrierefrei ausgebaut. „Aber wenn ich hier oben stehe, dann weiß ich nicht mehr wohin.“ Ein besonderes Hindernis stelle dabei der Rückweg dar, da es hier keinerlei Bodenindikatoren gebe, moniert Bernhard Claus. „Das macht es schwierig, zur S-Bahn zurückzufinden.“