Was wird aus Biotopia? Bleibt es am Ende ein Utopia? Seit mehr als einem Jahr liegen die Pläne für das neue Naturkundemuseum in Schloss Nymphenburg auf Eis. Trotz umfangreicher Vorarbeiten waren im laufenden Staatshaushalt keine Mittel für das Bauvorhaben reserviert. Wann es weitergeht, ist ungewiss. Dennoch beruhigt Kunstminister Markus Blume (CSU) die Museumsplaner: "Biotopia hat von seinem Charme nichts verloren, es ist und bleibt ein spannendes Projekt für Bildung und Wissenschaft. Allerdings muss das Konzept angesichts der drastisch gestiegenen Baukosten nachgeschärft werden." Soll heißen: Man will versuchen, günstiger zu bauen, und womöglich auch schneller. Wie das gehen soll, dazu gibt es noch keine klaren Aussagen.
Corona, Energiekrise, Baukostensteigerungen - die Zusatzbelastungen der öffentlichen Haushalte führten dazu, so der Minister, "dass derzeit alle Projekte auf dem Prüfstand stehen". Deshalb sei aktuell keine Entscheidung zu erwarten. Ein modernes Naturkundemuseum sei langfristig wichtig für die bayerische Bildungslandschaft, und die Perspektive, als Forschungsmuseum in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen zu werden, vielversprechend. Dann würde sich, ähnlich wie beim Deutschen Museum, der Bund zur Hälfte an den Kosten beteiligen.

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Dazu müsste das Museum aber erst einmal existieren. Vor elf Jahren fiel der Startschuss zur Erweiterung des kleinen Museums Mensch und Natur. Nach jahrelangen Diskussionen und einem überarbeiteten Entwurf von Staab Architekten, der die Zustimmung des Denkmalschutzes gewann, reichte das Planungsteam im Sommer 2021 die Projektunterlagen beim Staatlichen Bauamt ein. Dort ruhen sie sanft. Inzwischen liegt der Kostenrahmen - die erwarteten Preissteigerungen eingerechnet, die mit jedem Monat Wartezeit mehr zu Buche schlagen - bei 280 Millionen Euro.
Eine mögliche Überlegung, so der Minister, sei, dass der Staat das Bauvorhaben in private Hand gebe. Doch wie es aussieht, wird keine schnelle Entscheidung fallen. Was bedeutet das für das mehr als 20-köpfige Planungsteam? Einige, deren Verträge schon Ende dieses oder im Laufe des kommenden Jahres auslaufen, machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Auch sie beruhigt Blume: "Wir werden für alle gute Lösungen finden."

Gründungsdirektor Michael John Gorman ist weiter optimistisch, dass er die Eröffnung seines Museums noch vor dem Rentenantritt erlebt. Er will ein lebendiges Museum schaffen, es soll aktuelle Themen aufgreifen und zu einer Schnittstelle zwischen Forschung, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik werden. " Seitdem ich vor sechs Jahren aus Dublin nach München gekommen bin, um Biotopia an diesem einzigartigen Standort aufzubauen, ist die Bedeutung der Wissenschafts- und Umweltkommunikation wichtiger denn je geworden." Corona-Pandemie und Klimakrise hätten gezeigt, wie schnell Fehlinformationen sich verbreiteten. Auch das Wissen über Artensterben sei längst noch nicht in der Öffentlichkeit verankert. "Wir haben ein Konzept für Biotopia entwickelt, das internationale Anerkennung und Interesse gefunden hat - in einer Zeit, in der man sich weltweit bemüht, das Naturkundemuseum für das 21. Jahrhundert, das sogenannte biologische Jahrhundert, neu zu erfinden."
Auch der Förderkreis, den Auguste von Bayern, Tochter aus dem Hause Wittelsbach und renommierte Vogelkundlerin, gegründet hat, versucht, weiter Spenden für das Projekt zu sammeln. Fast elf Millionen Euro haben die Aktiven inzwischen gesammelt. Ziel ist, diesen Betrag zu verdoppeln. Die Verzögerungen, so Auguste von Bayern, seien "natürlich keine erfreuliche Situation für uns, die wir seit so vielen Jahren so viel Begeisterung für Biotopia erfahren und den Baubeginn sehnsüchtig erwarten. Bayern verliert damit wertvolle Zeit, in der der Freistaat mit Biotopia längst national und international glänzen könnte, und in der Kinder, Bürgerinnen und Bürger von Biotopia profitieren könnten." Ihr Mitstreiter im Förderkreis, Randolf Rodenstock, fügt hinzu: "Es wäre hochnotpeinlich, wenn das Projekt jetzt nicht vorankäme. Für uns, aber vor allem auch für die Staatsregierung. Da wird elf Jahre lang rumdiskutiert, und noch immer ist nicht mal der Grundstein gelegt." Als Unternehmer und ehemaliger Vorsitzender des Verbandes der Bayerischen Wirtschaft sieht Rodenstock das innovative Museum als Investition in die Zukunft. Die Kosten hält er vergleichsweise für bescheiden: Das Berliner Naturkundemuseum wird für 660 Millionen Euro, das Frankfurter Senckenberg Museum für 316 Millionen erneuert.
Über das Konzept wird noch diskutiert
Der frühere Wisssenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) bescheinigt der CSU, aus deren Reihen in der Vergangenheit immer wieder Querschüsse gegen Architektur und Inhalte von Biotopia gekommen waren, mangelnden Sinn für kulturelle Neuerungen. Seine Fraktion stehe nach wie vor zu Biotopia, betont er. Man dürfe nicht ausgerechnet bei der Kultur sparen - in einer Zeit, in der Wissensvermittlung und Urteilsfähigkeit immer wichtiger werden.
Etwas skeptischer äußert sich Landtagskollegin Verena Osgyan für die grüne Landtagsfraktion. Zwar betont auch sie: "Ein modernes naturkundliches Museum auf Weltniveau, das wäre schon was." Allerdings ist sie vom bisher vorgelegten Konzept noch nicht überzeugt. "In welcher Form soll die schulische Bildung integriert werden? Wie werden die vorgestellten Experimente und digitalen Neuerungen kontextualisiert? Fördern die vorgestellten übergreifenden Themen wirklich die Aufmerksamkeit für Artenschutz?"
Währenddessen hält das Museum Mensch und Natur seinen Betrieb aufrecht. Mehrfach hatte das Ministerium schon Schließungstermine verkündet, die dann wieder aufgehoben wurden - kein angenehmes Arbeiten für die Angestellten. Das Museum ist beliebt, es kommen Schulklassen aus ganz Bayern, doch Gebäude und Inhalte sind dringend sanierungsbedürftig. Von Anfang an war es ein Provisorium. Denn der Entschluss für ein modernes Naturkundemuseum fiel schon 1970. Es sollte laut dem damaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel "die Menschen über sich selbst, über ihre Umwelt und über die der Natur durch die technische Zivilisation drohenden Gefahren unterrichten." Es gab einen Architektenwettbwerb, dann scheiterte die Realisierung am Geld. Ein halbes Jahrhundert später steht das Provisorium noch immer.
Am Wochenende, 1. und 2. Oktober, findet ein weiteres Biotopia-Festival statt. Diesmal geht es um Sinne - Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen. Wie funktioniert die Wahrnehmung bei Mensch und Tier? Im Museum Mensch und Natur, im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg, im Botanischen Garten und im Biotopia Lab gibt es Dutzende von Mitmach-Stationen, Experimente, Vorträge und Kunstprojekte. Man kann sich Helme aufsetzen und um die Ecke schauen wie ein Insekt oder dem Roboter CellF lauschen, der ein neuronales Netzwerk entstehen lässt und damit Klänge produziert, im Duett mit einer Opernsängerin. Die Biotopia-Festivals finden während der Bauzeit jedes Jahr statt und sollen Einblicke geben, wie das Museum sich in Zukunft präsentieren will. Informationen unter www.biotopia.net .