Süddeutsche Zeitung

Biorena:München bekommt einen neuen Biolieferdienst

Lesezeit: 3 min

Die Branche boomt: Nach dem Aus für den Frischepost-Ableger will sich das einheimische Start-up Biorena in dem Sektor etablieren - und dabei nicht nur der Umwelt etwas Gutes tun.

Von Christoph Oellers

Eine ältere Frau schiebt einen Kinderwagen den Ausgangsanstieg des Englischen Gartens Richtung Veterinärstraße hinauf. Ein weiteres Kind schlurft mit. "Darf ich Ihnen als Stärkung Äpfel und Bananen anbieten?" Robin Krebs leitet das Marketing beim Lieferdienst Biorena, einem Start-up, das seit einigen Wochen auf dem Münchner Markt Fuß zu fassen sucht. Am Elektro-Van des Unternehmens verschenkt er mit drei Kollegen Obst und verteilt Flyer, die neben einem QR-Code zur Webseite auch ein Rabattangebot bieten. Für Georgia, wie sich die ältere Frau vorstellt, ist das nichts, aber ihre Tochter, sagt sie, die Mutter der beiden Jungs. "Die hat keine Zeit, will aber immer nur Bio." Ihr wird sie den Flyer mitbringen.

Die Biolieferdienst-Branche boomt. Das Institut für Handelsforschung in Köln prognostiziert, dass diese bis 2025 ihren Marktanteil vervierfachen wird - von zwei auf acht Prozent. Der lange eher statische Markt ist kräftig in Bewegung gekommen. Ab einem Bestellwert von 79 Euro kommt bei Biorena die Ware frei Haus. Gleiches gilt für Knuspr, hinter dem die tschechische Rohlik-Gruppe steht. Beide Anbieter versprechen, die Bestellung drei Stunden nach Aufgabe innerhalb eines 60-minütigen Zeitfensters zuzustellen.

Damit gehören die beiden nicht zum sogenannten "Quickcommerce", das Anbieter wie Gorillas oder Flink betreiben, die beide binnen zehn Minuten nach Aufgabe an der Haustür klingeln. Es ist aber doch wesentlich schneller als bei vielen etablierten Anbietern, etwa als bei Isarland Ökokiste, die inzwischen auf ein Vierteljahrhundert Branchenerfahrung kommt. Hier müssen Interessierte bis spätestens am Abend des vorletzten Tages vor dem gewünschten Lieferdatum bestellen.

Der Münchner Ableger von Frischepost aus Hamburg benötigte einen Tag Vorlaufzeit. Benötigte. Das Projekt München wurde nach 14 Monaten abgebrochen - just in den Tagen, als Biorena an den Start ging. Offenbar hatte ihnen Knuspr, die seit August 2021 in München ihren Dienst betreiben, zugesetzt. Knuspr bietet laut eigenen Angaben das 12 000-Artikel-Sortiment eines Supermarktes mit etwa 30 Prozent Bioanteil. Biorena kommt bislang auf 1800 Artikel, alle bio.

Der Investor kommt ebenfalls aus München

"Wir wollen den kompletten Wocheneinkauf abbilden", sagt Gründer und Geschäftsführer Clemens Rengier. Deswegen gibt es Avocados, Bananen, Ananas und Kaffee. Biorena ist ein Akronym aus biologisch, regional, nachhaltig. Auf etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt die Firma bislang, die nicht nur ökologisch nachhaltig sein will, sondern auch ökonomisch im Sinne eines behutsamen Wachstums und sozial - indem sie möglichst Festangestellte beschäftigt und ein angenehmes Arbeitsklima bieten will.

Als ehemaliger Unternehmensberater kennt sich Rengier, 32, mit Investitionen, Gewinn, Abschreibung, Wachstum und Optimierung aus. Der Schiffbruch von Frischepost schreckt ihn nicht. "Wir haben ein anderes Geschäftsmodell." Frischepost hat auf das Franchise-System gesetzt, Biorena will erst einmal in München zeigen, profitabel sein zu können, ehe andere Städte infrage kommen.

Als Investor hat Rengier Picus Capital aus München gewonnen. Für eine Millionen Euro haben sie mehr als ein Viertel der Anteile erworben. "Wir sind ein geduldiger Investor", sagt Picus-Partner Oliver Heinrich. Das Investment sei auf zehn bis 15 Jahre angelegt. Als zusätzlicher Partner hat sich Finn Röder mit seinem im vorigen Jahr gegründeten Schwabinger Hofladen in Biorena eingebracht. "Das war ideal für uns, da konnten wir gleich mal ohne zusätzliches Lager loslegen", sagt Rengier.

Der Laden eröffnet noch andere Möglichkeiten: Er bietet jenseits von Webseite, Newsletter, Blog, Instagram und Bestell-App eine realen Anknüpfungspunkt. Zudem lässt sich dank ihm gelassener mit Verfall und Mindesthaltbarkeitsdatum der Ware umgehen. Was trotzdem im Müll zu landen droht, wird der gemeinnützigen App-Inititative Too Good To Go offeriert.

Als Fahrer auszuhelfen gehört zur Unternehmenskultur

Inzwischen hat die Firma auch ein Lager gemietet; noch im Juni geht es nach Freimann. Anders als die Alpakas in Berlin, verzichtet Biorena nicht komplett auf Verpackung. Die konkurrierenden Angebote sieht Rengier gelassen: "Der Markt bietet genug Platz für mehrere Player", glaubt er - und entschuldigt sich: Er muss als Fahrer einspringen. Es gehört zur Unternehmenskultur, dass alle mindestens zweimal im Monat im Lager als "Picker" aushelfen oder als Fahrer. Das soll dazu beitragen, den Service zu verbessern. "Die Freundlichkeit unserer Fahrer ist ein wesentliches Kennzeichen von uns", sagt Rengier. 14 Euro erhalten sie pro Stunde plus Trinkgeld.

Zu Kundenzahlen will Biorena noch nicht viel sagen. Wie das Flyering am Englischen Garten läuft, ließe sich zwar über die QR-Codes leicht verfolgen, aber auch da ist die Firma mit Aussagen zurückhaltend. Klar ist, das zeigt sich auch bei der Guerilla-Marketing-Aktion: Frauen und Kinder sind die ersten Ansprechpartnerinnen. Dann tauchen zwei junge Männer mit der Frage auf: "Verschenkt ihr hier Äpfel?" Die Flyer lassen sie sich nur mit milder Überredung in die Hand drücken. "Nicht unsere Zielgruppe", sagt Teamleiter Robin Krebs, "eher was für Gorillas oder Flink."

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es über die Isarland-Ökokiste, Bestellungen müssten bis spätestens am Abend des vorletzten Werktages des gewünschten Lieferdatums dort eingehen, bis vor einigen Jahren sei es noch eine Woche Vorlauf gewesen. Korrekt ist: Bestellungen sind bis 22 Uhr abends zwei Tage vor Lieferdatum möglich, also bis Sonntagabend, wenn Liefertag der Dienstag ist. Und diese Frist habe auch vor etlichen Jahren schon so bestanden, sagt die Isarland-Ökokiste, nur das Uhrzeit-Limit am Abend habe sich verschoben auf 22 Uhr.

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