Energiewende an der Hochschule:"Wir können das Raumschiff Erde retten"

Energiewende an der Hochschule: Architekturprofessor Werner Lang befasst sich schon lange mit ökologischem Bauen. Diese Sonnenkollektoren stehen aber nicht auf dem Dach der Universität, sondern auf dem Oskar-von-Miller-Forum der Bayerischen Bauwirtschaft, dessen Direktor Lang ist.

Architekturprofessor Werner Lang befasst sich schon lange mit ökologischem Bauen. Diese Sonnenkollektoren stehen aber nicht auf dem Dach der Universität, sondern auf dem Oskar-von-Miller-Forum der Bayerischen Bauwirtschaft, dessen Direktor Lang ist.

(Foto: Astrid Eckert/TUM)

Werner Lang ist der erste Vizepräsident für Nachhaltigkeit an der Technischen Universität München. Ein Gespräch über den Aufholbedarf in der Forschung, den Modellcampus Garching und die Tatsache, dass sich ökologisches Bauen immer lohnt.

Von Martina Scherf

Es sind große Worte: Von einem "historischen Schritt" sprach Präsident Thomas Hofmann, als er die Nachhaltigkeitsstrategie der Technischen Universität München (TUM) vorstellte und mit einem Bild aus dem Fußball erklärte: "Wir dürfen nicht den Verteidigern des Gestrigen, den vielen Schiedsrichtern oder verantwortungslosen Kommentatoren den Spielverlauf überlassen, sondern müssen die nächsten Generationen unserer Studierenden als Sturmspitze des Wandels mobilisieren." Es gehe darum, zur Lösung einer der "größten Herausforderungen in der Menschheitsgeschichte" beizutragen. Zeit, nachzufragen, was dazu konkret an der Uni geplant ist. Werner Lang, 62, Inhaber des Lehrstuhls für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen, wurde zum Vizepräsidenten für Sustainable Transformation ernannt. Er ist der Richtige, um Auskunft zu geben.

SZ: Herr Lang, die TUM wirbt mit einem Imagefilm und grünen Wäldern für ihre Nachhaltigkeitsstrategie - als ob es nicht mehr um Autos, Raketen, Hochhäuser ginge. Dann folgen viele Absichtserklärungen. Warum hat eine der führenden technischen Universitäten Europas erst jetzt das Thema Nachhaltigkeit entdeckt?

Ihr Eindruck trügt. Wir befassen uns schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Nachhaltigkeit, in zahlreichen Forschungsbereichen. Unseren Campus Straubing, der sich komplett auf dieses Thema fokussiert, haben wir 2017 gegründet und seitdem stetig ausgebaut. Und vor zwei Jahren begannen wir damit, alle Aktivitäten und Ziele in einer Gesamtstrategie zu bündeln.

Studierende, die sich für Umweltthemen einsetzen, sagen, es geht viel zu langsam. Warum stehen noch nicht auf jedem TUM-Dach Sonnenkollektoren?

Ich weiß, dass Studierende ungeduldig sind, wir sind ja in engem Kontakt. Und ich weiß, dass Sonnenkollektoren ein Symbol für Nachhaltigkeit sind. Wir werden unsere Dächer entsprechend nutzen, aber zunächst müssen die Finanzierung und die Umsetzung geklärt werden. Klar ist: Unsere Forschungsgebäude und Labore benötigen extrem viel Energie. Da brauchen wir jetzt erst mal einen Überblick.

Das heißt, Sie forschen seit Jahrzehnten zu Nachhaltigkeit und haben Ihren eigenen Energieverbrauch nicht bilanziert?

Noch nicht für die gesamte Universität. Wir wollen dem Präsidium bis zum Sommer ein Klimaschutzkonzept mit Treibhausgas- und Energiebilanz vorlegen. Das wird vielen die Augen öffnen.

Und es gibt noch kein ökologisches Modell an der Uni, auf das das ganze Land schaut?

Uns geht es nicht um plakative Einzelaktionen. Wir schauen uns die gesamte Uni an und stoßen einen gewaltigen Veränderungsprozess an - auch in den Köpfen. Ich setze hier sehr stark auf die Studierenden und rufe sie auf, sich als Pioniere der Nachhaltigkeit zu engagieren. Wir sind ja nicht eine Uni mit 50 000 Ökoaktivisten. Es wäre schön, wenn die Umweltbewussten ihre Kommilitonen anregen würden, im Winter nicht stundenlang die Fenster auf zu lassen, Müll zu vermeiden oder das Auto stehen zu lassen und mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Uni zu kommen.

Diskutieren Sie mit Ihren eigenen Studierenden darüber?

Ich lasse sie immer am Anfang des Semesters ihren persönlichen ökologischen Fußabdruck ausrechnen. Das führt ihnen vor Augen, wie viele Erden sie eigentlich bräuchten, wenn alle sich so verhalten würden. Da sind sie dann erst mal ziemlich betroffen.

Wie ist Ihr eigener Fußabdruck?

Ich besitze seit 25 Jahren kein Auto und wohne, seit die Kinder aus dem Haus sind, mit meiner Frau auf 68 Quadratmetern in einem Passivenergiehaus. Bei Dienstreisen hat sich an der Uni seit Corona viel verändert. Vieles geht jetzt auch per Zoom. Und unsere nächste Barcelona-Exkursion mit den Architekturstudenten planen wir mit der Bahn. Flugreisen zu kompensieren ist keine Option. Wenn das CO₂ draußen ist, ist es draußen.

Was ist mit der Ausrichtung von Forschung und Lehre an der TUM?

An meinem Lehrstuhl machen wir für jedes Projekt eine Ökobilanzierung: Wie viel Energie verbrauchen wir? Welche Fahrzeuge nutzen wir? Welches Material? Welches Labor? Es wäre schön, wenn künftig alle Forschenden auf uns zukämen und fragten: Könnt ihr mir sagen, wie groß mein CO₂-Fußabdruck ist? In der Berufungspolitik hat sich schon etwas geändert. Es werden vermehrt Lehrende berufen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Aber der Gedanke sollte kein Add-on sein, sondern überall integriert werden.

Das klingt ambitioniert.

Ist es auch. Ich hoffe, dass möglichst viele den Gedanken "Sustainability First" unterstützen. Dass vermehrt Bachelor- und Masterarbeiten dazu vergeben werden. Dass sich ein Bauingenieur zum Beispiel fragt, mit welchen Materialien er arbeitet oder ob er unbedingt neu bauen muss, wo doch jeder weiß, dass Bauen im Bestand viel ökologischer ist.

Da sprechen Sie von Ihrem eigenen Fach.

Ja, die Bauwirtschaft ist für circa 40 Prozent des CO₂-Ausstoßes in Deutschland zuständig und für mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens. Abreißen ist nur deshalb oft noch billiger, weil die Firmen den Bauschutt nicht recyceln müssen. Eine immense Verschwendung. Da ist die Politik gefragt.

Könnten die TU-Gebäude in Garching zum Modellcampus werden? Die Stadt will ein großes Windrad errichten und Geothermie nutzen.

Garching könnte in der Tat Vorreiter werden. Es wäre fantastisch, wenn die Stadtwerke München und Garching ein Geothermienetz bauten, an das wir als TUM angeschlossen würden und vielleicht sogar unsere Abwärme von den vielen Großgeräten einspeisen könnten. Erste Ansätze gibt es dazu bereits in kleinerem Umfang im Leibniz-Rechenzentrum. Hier wird Abwärme aus den Serverräumen zum Beheizen des Gebäudes benutzt. Die Übertragbarkeit auf den ganzen Campus wird ein wichtiges Thema für uns werden.

Energiewende an der Hochschule: Das Leibniz-Rechenzentrum mit seinem Supercomputer verbraucht in etwa soviel Energie wie die Stadt Garching, auf deren Boden es steht. Der Forschungscampus könnte zu einem ökologischen Modell werden.

Das Leibniz-Rechenzentrum mit seinem Supercomputer verbraucht in etwa soviel Energie wie die Stadt Garching, auf deren Boden es steht. Der Forschungscampus könnte zu einem ökologischen Modell werden.

(Foto: Florian Peljak)

Die ETH Zürich baut seit zehn Jahren unterirdische Energiespeicher unter ihren Gebäuden .

Erdsondenfelder speichern im Sommer Abwärme im Boden und geben sie im Winter wieder zum Heizen frei. Ein Leitungssystem verbindet die Speicher mit den Energiezentralen, die die Versorgung der Gebäude regeln. Das ist clever, aber aufwendig.

Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit nachhaltigem Bauen?

Seit dem Studium. Bei der ersten Ölkrise war ich zwölf, bei der zweiten 18. Ich kann mich noch gut an die Diskussionen erinnern. Schon damals war klar: Wir können so nicht weiter machen. Einer meiner ersten Entwürfe im Studium war ein autarkes Haus. Das war 1984. Der Aufsatz des amerikanischen Architekten und Philosophen Buckminster Fuller über das Raumschiff Erde hatte mich inspiriert. Ich war überzeugt: Wir können das Raumschiff mit erneuerbaren Energien retten.

Die Umweltbewegung wuchs damals, die Grünen zogen in die Parlamente ein. Wie war die Stimmung an der Technischen Universität?

Es waren längst nicht alle Professoren - damals waren es fast nur Männer - von der Notwendigkeit eines Wandels überzeugt. Wir hatten einen Haustechnikprofessor, der sich weigerte, über das Thema thermische Sonnenkollektoren oder gar Photovoltaik zu diskutieren. Mich spornte das an, ich sagte mir: So darf es nicht bleiben. Nach dem Diplom ging ich nach Kalifornien, zu einem der führenden Experten im Bereich nachhaltige Energieversorgung.

Sie wurden dann Assistent von Thomas Herzog an der TUM. Der Professor hatte sich schon früh mit Umweltthemen in der Architektur beschäftigt. Seither wurden weltweit viele Öko-Modelle entworfen. Warum hat sich das alles nicht durchgesetzt?

Weil es letztlich immer ums Geld geht. Im öffentlichen Wohnungsbau muss man die preisgünstigste Lösung wählen. Und auch die meisten privaten Bauherren überlegen angesichts der stetig steigenden Baupreise, ob sie sich die ökologisch beste Technik leisten können. Aber wir beweisen mit den Ökobilanzierungen, die wir an unserem Lehrstuhl machen: Es zahlt sich langfristig aus, ökologisch zu bauen. Immer. Das ist im allgemeinen Bewusstsein einfach noch nicht durchgedrungen. Da braucht es noch viel mehr Aufklärung.

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