Süddeutsche Zeitung

München:Bilder aus einer vergangenen Welt

Der Fotograf Andreas Bohnenstengel hat vor zwei Jahrzehnten das Treiben auf dem Pferdemarkt an der Tumblingerstraße dokumentiert

Von Elisa Holz

Mein Gott, wie die Zeit rast. Die Feststellung ist ein häufiger Stoßseufzer unter all den Menschen, die unversehens vom Teenager zum Bestager wurden. Aber es gibt Momente, die einem schlagartig bewusst machen, wie viel sich in den vergangenen Jahren wirklich verändert hat. Man betritt an einem heißen Abend die Kulturschmiede in Untersendling und sieht sich in ein München zurückkatapultiert, das schon ewig her ist. Ewig heißt in diesem Fall 21 Jahre.

1996 machte sich der junge Fotograf Andreas Bohnenstengel auf zum Pferdemarkt im Viehhof. Damals, als es mit dem Internet gerade losging, war viel von Märkten die Rede, vom sogenannten Neuen Markt zum Beispiel und der dazugehörigen "New Economy". "Mir war das unverständlich", erinnert sich Bohnenstengel. Deshalb hatte er sich vorgenommen, Märkte mit echten Menschen und handfesten Waren zu fotografieren.

Der Pferdemarkt, der in den Hallen entlang der Tumblingerstraße jeden ersten Samstag im Monat stattfand, war auch damals schon ein Relikt. Der Viehhof hatte seine Bestimmung als Handelsplatz und Vorhof zum Schlachthof längst verloren. Der Fotograf kam als Bewahrer und dokumentierte einen ganzen Markttag, von der Anfahrt der Pferdehändler in den grauen Morgenstunden bis zum volksfestartigen Finale des Marktes mit Rikscha-Rennen gegen Mittag. Am Ende hatte er mehr als 1000 eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Kasten, die über die folgenden 20 Jahre in seinem Archiv im Dornröschenschlaf versanken. Der Pferdemarkt interessierte die Kulturszene damals nicht. Auch das hat sich gründlich geändert.

Jetzt, da der Viehhof bebaut werden soll, ist das allgemeine Interesse an dieser Brache mitten in der Stadt riesig. 2015 schon stellte Bohnenstengel beim Viehhof-Kinosommer eine Auswahl seiner damaligen Aufnahmen am Ort des damaligen Geschehens aus. Seit zwei Jahren tourt er außerdem mit der Ausstellung durch die Stadtviertel - nun in der Kulturschmiede. Ein nicht nur wegen des Namens passender Ort. Die Sendlinger haben schließlich ein Auge darauf, was im Nachbarviertel Isarvorstadt einst war und was noch kommen wird. 2018 beginnt im Viehhof der Bau des Volkstheaters. Dann werden auch die letzten Reste des Pferdemarkts abgerissen.

Um das damalige Markttreiben so präsent wie möglich zu machen, haben Künstler und die Kuratorinnen auch mit olfaktorischen Mitteln gearbeitet und unterhalb der Bilder Stroh aufgeschüttet. Darüber hängen die großformatigen und vom Wetter gegerbten Plakate der oben erwähnten "künstlerischen Intervention" während des Viehhofkinos sowie klassisch gerahmt die Fotos.

Bohnenstengel ist ein Verfechter authentischer Fotografie. Auf seinen Bildern ist nichts gestellt und nichts geschönt. Und doch erscheinen die trotz ihrer Lebendigkeit seltsam stillen Aufnahmen von Pferden und Menschen im Gegenlicht der Markthalle im Nachhinein so, als ob der Heilige Geist diesen Markttag beseelt hätte. Der Mann, der seinen Hackelstecken zum Gebot ins Licht reckt. Zwei strahlende Schimmel, die wie die letzten Einhörner durch die Menschenmenge geführt werden oder Mutter, Kind und ein kleines Shetland-Pony allein im Stall, eine riesenhafte, lichtdurchflutete Betonhalle.

Die sakrale Anmutung vieler Fotos war von Bohnenstengel natürlich nicht beabsichtigt. Er hatte sich für sein fotodokumentarisches Projekt den rechten Ort zur rechten Zeit ausgesucht. Heute haben sowohl der damals Neue Markt als auch die alten Märkte an Bedeutung verloren. Die Dotcom-Blase ist geplatzt, der Pferdehandel ins Internet abgewandert.

Die Ausstellung an der Daiserstraße 22 ist bis zum 3. August Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 18 bis 21 Uhr geöffnet. Am Freitag, 14. Juli, findet eine Führung statt. Am 20. Juli läuft "The Misfits" mit Marylin Monroe und am 27. Juli "Der Pferdeflüsterer" mit Robert Redford.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2017
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