Süddeutsche Zeitung

Bierverkostung:Und manchmal riecht es gar nach Pferd

Beim "European Beer Star" testet eine Jury an zwei Tagen fast 2500 Biere. Die Teams kommen für das Event aus aller Welt nach München.

Von Franz Kotteder

Ganz schön kräftig, diese Zitrusnote bei 71005, meine Herren! Aber schön, dass Eric Toft, "Table-Captain" von Team elf, genau der gleichen Ansicht ist: "Schmeckt fast wie Radler", sagt er. Und dabei handelt es sich doch um die Kategorie 29, "Belgian-Style Witbier", also belgisches Weißbier. Bei dem ist beispielsweise die Zugabe von geriebenen Orangenschalen oder Piment und ähnlichen Gewürzen gestattet. Deshalb hat es auch seine Richtigkeit, dass am anderen Ende des Jury-Tisches Florian Kuplent - ein Braumeister aus den USA, dem selbst zwei Brauereien gehören - befindet, der Koriandergeschmack bei 71020 sei doch etwas arg aufdringlich.

Ja, so geht es zu beim "European Beer Star 2019" in der Lehrbrauerei Doemens in Gräfelfing, wenn die Jurys über die eingereichten Biere beraten, bevor am späten Freitagabend die Sieger in 67 verschiedenen Kategorien verkündet werden. Vor 16 Jahren rief der Verband privater Brauereien Bayerns den Wettbewerb ins Leben, damals wurden 271 Biere aus 16 Ländern eingereicht. Heute ist der "Beer Star" längst so etwas wie "die jährliche Weltmeisterschaft der Bierbranche", sagt Verbandsgeschäftsführer Stefan Stang. In diesem Jahr wurden 2483 Biere aus 47 Ländern angemeldet, sie werden von 16 Teams bewertet. Insgesamt 145 Fachleute wurden eingeladen, fast alle sind gekommen, zum Teil sogar aus Brasilien, Argentinien und Taiwan.

Paul Peng Wang von Team elf zum Beispiel. Der Taiwanese ist in Asien ein weithin anerkannter Fachjournalist für Bier und hat seine Kamera dabei, mit der er einzelne Biere im Bewertungsglas abfotografiert, und eine große, rot eingebundene Schreibkladde, in die er Notizen zu einzelnen Verkostungen macht. Sein Jurykollege Pekka Kääriäinen hat zu Hause in Helsinki eine kleine Gasthausbrauerei und erzählt in der Pause zwischen den einzelnen Verkostungen, dass sie in den letzten sechs Jahren dort mehr als 80 verschiedene Biersorten gebraut haben. Er ist seit zehn Jahren als Juror dabei. Heuer sind es wieder 16 Runden an zwei Tagen.

Als nächstes steht Kategorie 22 an, "Sour and Fruit Sour Beer", generell nicht so sein Fall, was man verstehen kann, wenn man in den Handreichungen der Wettbewerbskommission für diese Kategorie beschreibende Sätze liest wie: "Ein charakteristischer Pferdegeruch (ähnlich einer nassen Pferdedecke) von Brettanomyces-Hefen kann in geringen Maßen vorhanden sein." Kääriäinen freut sich jedenfalls schon auf Samstag, wenn er wieder zurück nach Helsinki fliegt. Dort geht er dann gleich auf Elchjagd - die Saison hat begonnen.

Neue Runde, neues Glück: jedenfalls für die ersten vier Biere, die dann in die Zwischenrunde und ins Finale weitergereicht werden. Acht Gläser werden jedem Juror aufgetischt, dann herrscht so etwas wie andächtige Stille. Jetzt wird probiert und abgewogen. Man bewertet Farbe, Schaum und Klarheit und hält die Nase ins Glas. Stimmt der Geruch? Oder riecht das Bier muffig? Dann der Geschmack. Ist die Bittere nicht zu breit und kratzig, wie ausgewogen ist das Aroma, ist das Bier im Abgang sauer oder samtig? Schließlich noch die Rezenz - Laien fragen regelmäßig, was das ist, Rezenz? Es geht darum, ob das Bier prickelt oder schal ist.

Es wird dann diskutiert, mal mehr, mal weniger. Da kommt's dann oft darauf an, wie souverän der Table-Captain ist und wie sich die Jurygruppe zusammensetzt. Drei Spanier, sagt die Wettbewerbsleitung, sollte man nicht unbedingt ins gleiche Team setzen. Eric Toft von der Brauerei Schönram, gebürtiger Amerikaner und Braumeister mit exzellentem Ruf, hat das alles sowieso gut im Griff, und Team elf ist eines von Routiniers, die sich schnell einig sind und nicht lange herumprobieren müssen für ein fundiertes Urteil. Zwei, drei Schluck brauchen Profis maximal, sagt Hauptgeschäftsführer Stang, um ein Bier zu beurteilen, "nach einem Jury-Tag sind das maximal zwei Mass Bier". Also quasi nichts, denn nach der berühmten Beckstein-Doktrin wäre man damit glatt noch fahrtüchtig.

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SZ vom 12.10.2019/lfr
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