Süddeutsche Zeitung

Corona-Lockerung:Endlich wieder Biergarten!

Viele Münchnerinnen und Münchner freuen sich, dass die Außengastronomie geöffnet ist, und lassen sich auch nicht von Regenwetter abhalten. Doch nicht überall in der Stadt werden Gäste bewirtet.

Von Anna Hoben

Ralph Nachtrab muss sich gerade ungefähr so fühlen wie ein Kind, wenn Weihnachten ist, und es darf seine Geschenke nicht öffnen. Mittwoch, 16.45 Uhr, vor der Gaststätte Jagdschlössl am Rotkreuzplatz in Neuhausen. Gerade ist Nachtrab, 58, in der Apotheke gegenüber gewesen, aber der Test hat nicht angeschlagen. Weder positiv noch negativ, einfach gar nichts. Also hat er sich noch mal testen lassen, jetzt wartet er auf das Ergebnis. Er zieht an seiner Zigarette und tritt von einem Bein aufs andere. Er hätte jetzt gern eine Halbe und einen Schweinsbraten. Drinnen sitzt schon seine Bekannte an einem Tisch, sie lacht ihm zu. Tags zuvor hat sie angekündigt, am Mittwoch am Jagdschlössl vorbeizuradeln, einfach mal schauen, ob schon offen ist. Und es war offen! Nachtrab hat also alles stehen und liegen gelassen und ist hergekommen. Und jetzt das - der Test schlägt nicht an.

Es ist der erste Tag, an dem die Außengastronomie wieder öffnen darf, nachdem die Inzidenz lange genug stabil unter 100 gelegen hat. Ein paar Minuten muss Nacht-rab sich noch gedulden. Zeit, ein bisschen mit der Türsteherin zu philosophieren. Nachtrab: "Wenn der Test positiv wäre, wär's sehr unpositiv." Türsteherin: "Ja, negativ ist positiv, und positiv ist negativ." Die Türsteherin heißt Margit Ruiner, "Empfangsservice" steht auf dem Schild an ihrer Jacke. Früher, als die Clubs und Diskotheken noch offen hatten, sprach man davon, dass sie eine "harte Tür" hätten, wenn es schwer war, hineinzukommen.

Eine der härtesten Türen Münchens ist an diesem Nachmittag die des Jagdschlössls, bewacht von Margit Ruiner. Geduldig erklärt sie, wie man an ihr vorbeikommt, wieder und wieder. Entweder mit einem negativen Schnelltest, nicht älter als 24 Stunden. Oder mit einer zweifachen Impfung, belegt durch den Impfpass, wobei der zweite Piks schon mindestens zwei Wochen her sein muss. Oder mit dem Nachweis über eine überstandene Corona-Infektion. Wenn jemand noch keinen Test hat, aber sehnsüchtig in den Biergarten schaut, schickt sie ihn rüber zur nächsten Apotheke. Laut den offiziellen Regeln braucht es eigentlich nur einen Test, wenn zwei Haushalte an einem Tisch sitzen. Die Betreiber des Jagdschlössl haben allerdings entschieden, jeden nur mit Test einzulassen.

Ralph Nachtrab macht sich jetzt wieder auf den Weg zur Apotheke - und kehrt kurz darauf beschwingt zurück. Er sei in Quarantäne ins Jagdschlössl geschickt worden, scherzt er. Test war negativ, kann losgehen. Es ist ein, nun ja, interessantes Wetter für den ersten Biergartentag. Es regnet. In Strömen. Dann tröpfelt es. Dann schifft es. "Bei dem Wetter in den Biergarten gehen ist wie Cabrio fahren im Winter", sagt Margit Ruiner. Den Sehnsüchtigen aber macht das nichts aus. Der Biergarten ist überdacht, geheizt wird auch. Etwa 30 Leute sitzen um 17 Uhr an den Tischen.

Eigentlich ist es das perfekte Kinowetter. Eigentlich dürften auch die Kinos zum ersten Mal wieder öffnen an diesem Tag. Schaut man allerdings im Internet nach Filmen, die in München laufen, findet man - nichts. Ein Anruf im Rio Filmpalast am Rosenheimer Platz, die Theaterleiterin Kerstin Schmidt geht ans Telefon. "Nein", sagt sie, "wir machen alle nicht auf". Jetzt schon zu öffnen sei aus mindestens drei Gründen unrealistisch: Erstens, weil die Kinos noch gar keine neuen Filme hätten. Zweitens wegen der strengen Auflagen: Gäste dürften die Maske nicht absetzen, Betreiber nicht mal Popcorn oder eine Cola verkaufen. Drittens wegen des negativen Schnelltests, der verlangt werde. "Wir hoffen, dass der wegfällt, wenn die Inzidenz unter 50 sinkt", sagt Schmidt. Die Ankündigung sei viel zu kurzfristig gekommen. Zwei Wochen brauche man mindestens, "um vernünftig starten zu können", eher vier Wochen. Vor allem müssten die Verleiher reagieren können. Als mögliches Öffnungsdatum liege nun der 1. Juni in der Luft, manche wollten noch länger warten.

Also sucht man stattdessen eben weiter nach geöffneten Schani- und Biergärten. Rund um die Volkartstraße in Neuhausen sind schon einige Schanigärten hergerichtet, an anderen wird noch gewerkelt. Gäste werden dort aber noch nicht bewirtet. Rick Celik steht vor seinem Restaurant Pardi und plaudert mit Passanten. Celik hat den Außenbereich schon vorbereitet, unter anderem mit mehreren Heizpilzen. Öffnen will er diese Woche aber noch nicht. Wenn sechs Besucher draußen säßen und 15 Leute drinnen für sie arbeiteten, sagt er - das rentiere sich einfach nicht. Er zeigt nun sein privates Fitnessstudio, das er während des Lockdowns im Restaurant aufgebaut hat - Platz ist ja genug. Sechs Kilo habe er im Lockdown abgenommen, er sei so fit wie nie zuvor. Und umziehen muss sich Celik fürs Sporteln auch nicht mehr. "Ich trage seit November Jogginghose."

Letzte Station: der Biergarten im Hirschgarten. Hier gibt es sogar zwei eigens engagierte Teststationen. Auch im Hirschgarten kommt nur rein, wer negativ getestet ist - Anzahl der Hauhalte hin oder her. Und auch das Personal testet an diesem Mittwoch, nämlich ob der Betrieb noch funktioniert nach einem halben Jahr Zwangspause. Um elf Uhr haben sie aufgesperrt am Vormittag, da standen die ersten zwei Gäste schon vor dem Eingang. Bisher habe alles gut geklappt, resümiert Restaurant- und Biergartenleiterin Cornelia Bartz am Abend. Und trotz des bescheidenen Wetters ist tatsächlich sogar einiges los.

Die Gäste freuten sich riesig, sagt Bartz. "Manche bestellen sogar dreimal Essen, erst Suppe, dann Weißwurst und dann noch einen Schweinsbraten." Genießen, was es so lange nicht gab; entspannt beim Essen sitzen, ohne hinterher den Abwasch machen zu müssen. Aber auch die Kellnerinnen und Kellner sind froh, endlich wieder arbeiten zu dürfen. Man blickt an diesem Regenabend im Hirschgarten in viele glückliche Gesichter. Für ein paar wenige ist es dann aber offenbar alles ein bisschen zu viel: der erste Biergartenbesuch, die Aufregung, der Alkohol. Zwei Männergruppen provozieren einander, Schimpfwörter fliegen hin und her. Bevor es handgreiflich wird, muss die Chefin einschreiten.

Auch in der Innenstadt haben viele Gaststätten wieder aufgesperrt. "Die Sehnsucht war spürbar", sagte Gregor Lemke, Sprecher der Innenstadtwirte. Die Wirte freuten sich, endlich wieder Gastgeber sein zu dürfen. Allerdings dürften die aktuellen Vorgaben "natürlich nur der erste Schritt in Richtung Normalität sein".

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SZ vom 14.05.2021/mmo
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