Süddeutsche Zeitung

Netzwerken:"Ich nenne es mein eskaliertes Hobby"

Lesezeit: 4 min

Als Oliver Thum sich mal wieder auf einem Network-Event langweilte, beschloss er, Menschen eine Plattform für ihre Ideen zu bieten. Inzwischen sind mehr als 55 000 Mitglieder bei 12min.me angemeldet.

Von Gerhard Fischer

Laura Keicher steht auf einer Bühne in einem Backsteingebäude in Sendling, sie redet, erläutert, lacht, sagt oft "mega" und personifiziert das Grundgefühl dieser Veranstaltung: Es soll hier locker zugehen. Im Publikum sitzen etwa 80 Menschen. Sie sind eher jung als alt, sie tragen eher Kapuzenpullis als Anzug. Keicher erklärt jenen, die zum ersten Mal da sind, was hier regelmäßig unter dem Label "12min.me" geboten wird: Drei Redner, hier nennt man sie "Speaker", sprechen jeweils zwölf Minuten über ein Thema. Danach wird zwölf Minuten darüber diskutiert. Und dann kann man zwölf Minuten miteinander plaudern, die bereit gestellten Salate, belegten Brötchen oder Chips essen, Bier nachfüllen, netzwerken, neue Ideen aufnehmen.

Keicher sagt, der Verein 12min.me wolle eine Plattform bieten, auf der sich "Leute verbinden, die an Business interessiert sind". Das sind oft Selbständige, Gründer und solche, die es werden wollen. Keicher gehört zum neunköpfigen Münchner 12min.me-Team; der Gründer Oliver Thum passt an diesem Abend auf seine Kinder auf.

Die Veranstaltung findet in den Räumen der Firma Mantro in der Zielstattstraße statt, jeweils am zweiten Donnerstag im Monat. Diesmal spricht zum Beispiel Krischan Lehmann über das "neue gute alte Web", während die Uhr auf dem Monitor von zwölf Minuten rückwärts läuft. Lehmann, ein sehr unterhaltsamer, sympathischer Mann von 47 Jahren, steht auf der Bühne und sagt, er sei zehn gewesen, als er zum ersten Mal vor einem Computer saß, dem guten, alten Commodore. Heute seien wir Internetnutzer gläsern. "Die Stasi", sagt er, "würde aufgrund dieser totalen Überwachungsgesellschaft erröten und sagen: Das geht moralisch nicht!" Das ist nicht neu, aber lustig. Außerdem sprechen Cherryl Dunkan über Vorteile der Kinderlosigkeit ("No baby, no cry") und Anke Waterkamp über Redeangst. Waterkamp, Coach und Therapeutin, begnügt sich in der kurzen Zeit hauptsächlich mit Ratschlägen, die an Kalendersprüche der Art "Wer hinfällt, muss wieder aufstehen" erinnern.

Man erfährt also nicht wahnsinnig viel Neues, aber vielleicht kommt das Wichtigste ohnehin immer am Ende eines solchen Abends: das Plaudern, das Netzwerken, der Aufbau von Geschäftskontakten. Dann, wenn sich das Publikum mischt. Dann, wenn neu hinzu Gekommene auf Stammgäste treffen.

Pascal Langhoff, 31, ist zum ersten Mal bei einem solchen Abend dabei, wie die Hälfte der Zuhörer, was diese auf Nachfrage mit Handheben anzeigen. Langhoff hat vor einem halben Jahr eine Plattform entwickelt, die Tiersitter vermittelt. Er sei aus Neugier da, sagt er, "und es schadet ja auch nicht, den einen oder anderen kennen zu lernen und andere Meinungen zu hören." Er sei über "Meet-up" auf die Rede-Veranstaltungen aufmerksam geworden. "Das ist eine App, die über Events informiert, zum Beispiel zum Thema Business und Start-ups."

Oliver Thum, Gründer von 12min.me, sitzt ein paar Tage später in seinem Büro, nur wenige Meter von der Bühne entfernt, auf der Keicher und Lehmann gestanden haben. Er erzählt, wie das war, vor sieben Jahren, als sie die Redereihe gestartet haben: er und Oliver Rößling, CEO einer Softwarefirma in Hamburg.

Wie so oft entstand Neues aus einer Not oder zumindest aus einer Unzufriedenheit heraus. "Wir sind zusammen auf vielen Networking-Events gewesen", erzählt Thum, 38. "Und es hat uns wahnsinnig gemacht, wie diese abgelaufen sind." Zunächst habe sich der Sponsor des Abends hingestellt, und man habe sich ein "halbstündiges Gelaber über seine Firma" anhören müssen. "Danach haben noch ein oder zwei Sprecher ihre Unternehmen präsentiert - und das dauerte zwischen einer Dreiviertelstunde und einer Stunde." Man habe nach zehn Minuten nicht mehr zugehört.

Thum, der ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift 12min.me trägt und viel jünger aussieht als 38, lächelt und sagt: "Außerdem hat uns nicht gefallen, dass alles in sich geschlossen und relativ steif war: Fast alle trugen Sakko und Krawatte."

Rößling und Thum diskutierten darüber, wie man das besser hinkriegen könne. "Unser Ziel war, diese Events unterhaltsamer zu machen und Menschen aus den verschiedensten Bereichen zusammen zu bringen, um neue Gedanken in diese Blase hinein zu lassen." 2013 gründeten sie mit dem Slogan "Don't waste your time" 12min.me in Hamburg, 2014 dann auch in Thums Wohnort München.

Oliver Thum schaut auf sein Handy, dann liest er vor: "Heute gibt es 12min.me in 33 Städten und in sechs, bald sieben Ländern." Es sind die Länder Deutschland, Spanien, Ungarn, Türkei, Südafrika, Österreich - und demnächst die Niederlande. "Wenn eine neue Stadt dazu kommt, läuft das klassischerweise so ab: Jemand, der 12min.me an einem bestehenden Standort erlebt hat, zieht - meistens aus beruflichen Gründen - um und nimmt diesen Spirit mit an seinem neuen Wohnort."

Thum guckt wieder auf sein Handy: "12min.me hat jetzt 55 290 Mitglieder, in München sind es 5972." Wobei Mitglieder das falsche Wort ist. Keiner zahlt einen Beitrag. Man kann sich über Meet-up einfach registrieren lassen und bekommt dann regelmäßig News und Eventankündigungen. Das kostet nichts. Auch der Besuch der Abende kostet nichts.

12min.me sei ein "eingetragener gemeinnütziger Verein, alle arbeiten ehrenamtlich", sagt Thum. "Ich nenne es mein eskaliertes Hobby." Natürlich profitieren auch die Ehrenamtlichen von den Abenden, sie bauen Netzwerke und Geschäftskontakte auf. Für die Firma Mantro, die Raume und Technik bereit stellt und das Essen sponsert, sei es "wenn überhaupt" indirektes Marketing, sagt Thum. Drei der neun Münchner 12min.me-Mitarbeiter arbeiten bei Mantro.

Oliver Thum hat Betriebswirtschaft studiert und danach bei zwei großen Firmen als IT-Strategieberater gearbeitet. Vor elf Jahren wechselte er zu Mantro, machte dort lange das Marketing und ist heute für den Aufbau eines neuen Unternehmens zuständig, das Büroumbauten gestalten soll. "Mantro ist ein Company-Builder - eine Firmenschmiede, die mit etablierten Unternehmen zusammen neue Firmen aufbaut." Zum Beispiel ein Stahlunternehmen, das Schrottplätze digitalisiert. "Das sind immer Geschäftsmodelle mit IT-Bezug", sagt Thum. Mantro selbst hat 65 Mitarbeiter, der Hauptsitz ist in München. Ableger gibt es in Essen und Zagreb.

Auf dem Flur wird gerade Englisch gesprochen, Mitarbeiter gehen an der offenen Tür vorbei, manche grüßen herein. In Thums Büro befinden sich zwei Computer, ein Laptop, Sideboards und eine Sitzgruppe für Konferenzen. An der Wand hängt eine Tafel, die grüne Edding-Schrift darauf ist kaum zu entziffern. Ein Wort kann man lesen, es heißt "Entwicklung".

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SZ vom 29.01.2020
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