Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau in Berg am Laim:Das große Pflügen kann beginnen

Lesezeit: 2 min

Verdichtung, Verschattung, Stau: Gegen massive Einwände aus dem Viertel beschließt der Stadtrat, den "Truderinger Acker" mit 850 Wohnungen zu bebauen.

Von Sebastian Krass und Julian Raff, Berg am Laim

Höher und dichter, als es die Anwohner und der örtliche Bezirksausschuss (BA) wollen, kann die "Truderinger Acker" genannte 6,8-Hektar Brache südlich der Truderinger Straße in naher Zukunft durch ein Unternehmen der Büschl-Gruppe bebaut werden. Nach zweimaliger Verschiebung billigte der Planungsausschuss des Stadtrats mit großer Mehrheit einen Planentwurf für 820 Wohnungen auf gut 83 000 Quadratmetern Geschossfläche. Angepeilt waren ursprünglich 750, zwischenzeitlich auch einmal 860 Wohnungen. Die Bebauung der Wiesenfläche, die der historischen Eisenbahnersiedlung an der Truderinger Straße südlich gegenüber liegt, war von Anfang an umstritten. Nur wenige Änderungswünsche aus zwei speziellen Anwohnerrunden zum Thema, weiteren Bürgerversammlungen und diversen BA-Debatten gingen schließlich in die Planung ein.

Der herausragende Kritikpunkt bleibt ein 15-stöckiges 47-Meter-Hochhaus am Südwestrand des Neubaugebiets, gefolgt von einem knapp 26 Meter und acht Geschosse hohen Bau, der das südliche Entree in Richtung Hansjakobstraße prägen wird. Der Rest des 14 Bauten umfassenden Ensembles staffelt sich in meist vier bis sechs Geschosse zwischen 14 und 20 Metern. Je nach Jahreszeit, fürchten Anwohner Verschattung und Hitzestau, ganz abgesehen von negativen Auswirkungen aufs Stadtbild - und auf die Sozialstruktur, dort wo die Preise mit der Geschosshöhe in den Himmel wachsen. Dass der Wachstumsschub weder die Belastung der Truderinger und Baumkirchner Straße erhöhen, noch Schleichverkehr durch die Hansjakob- und Roßsteinstraße produzieren wird, nehmen Anwohner und BA den Planern ebenfalls nicht ab. Entsprechende Gutachten halten sie für veraltet und wenig realistisch, etwa beim Fahrradverkehr.

Wenig Boden gut machen konnten Investor und Stadtplaner bisher mit dem Versprechen, den Hachinger Bach hier an die Oberfläche zu holen und in einem idyllischen und zugleich kühlenden Grünstreifen südlich und östlich ums Neubaugebiet herum zu führen. Das "Wann" bleibt vage, auf jeden Fall liegt es terminlich aber deutlich nach dem Bezug der Neubauten. Ohne konkrete Terminzusage bleibt vorerst auch der Plan, den Fußball-Trainingsplatz des ESV München Ost vom Ostrand des Truderinger Ackers in die Nachbarschaft der polizeilichen Kfz-Verwahrstelle an der Thomas-Hauser-Straße zu verlegen. Verbindliche Termine für die Ausgleichsmaßnahmen fordern zwei Änderungsanträge, mit denen die grün-rote Rathauskoalition wie auch die CSU nachbessern wollen. SPD und Grüne fordern dabei außerdem seniorengerechtes Wohnen und eine von 30 auf 40 Jahre verlängerte Bindungsfrist für geförderte Wohnungen. Der CSU-Antrag dringt unter anderem auf zusätzliche Fuß- und Radwege nach Norden sowie auf ein Verkehrskonzept, das die Verkehrsberuhigung in Trudering, die Bauarbeiten zur zweiten Stammstrecke und die Zuflussregulierung zur Prinzregentenstraße berücksichtigt.

Dirk Höppner (parteifrei, ÖDP/FW) wollte im Stadtrat den Billigungsbeschluss bis zum Vorliegen einer solchen Studie verschieben, blieb damit aber allein. Ebenfalls nicht weit genug, gingen die Änderungsanträge von CSU-Stadtrat Fabian Ewald, der am Ende einer anderthalbstündigen, intensiven Debatte gegen den Gesamtantrag zur Billigung des Plans stimmte und sich damit an der Seite von Brigitte Wolf (Linke) wiederfand. Fabian Ewald, für die CSU auch im BA, lehnt nicht nur das Hochhaus weiter ab, sondern sieht die Stadt auch bei der Schulplanung dem Wachstum hinterherlaufen - es brauche einen fünften Grundschulstandort im Bezirk, auch der geplante Neubau an der St-Veit-Straße werde nicht reichen.

Dass die Fronten im Disput um den "Truderinger Acker" eher Stadtteil- als Fraktionsgrenzen folgen, zeigte auch der Redebeitrag von Alexander Friedrich (SPD), der sich als neuer Bezirksausschuss-Vorsitzender gegen seine Parteifreunde stellte. Der Bezirksausschuss lehne das Projekt nicht per "Not in my backyard Politik" ab, betonte Friedrich. Vielmehr reiche die Infrastruktur hinten und vorne nicht, vor allem beim Verkehr, wo schon heute "der Infarkt jeden Tag erlebbar" sei, wie er sagte. Bus und S-Bahn böten kaum Abhilfe, da Busse mit im Stau stehen werden, letztere in 600 Metern Entfernung zu weit abseits liege. An Stelle eines "lebenswerten Quartiers" drohe am Ende die "Randbebauung einer Stauachse", so Alexander Friedrich.

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SZ vom 02.07.2020
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