Bevölkerungsbefragung:Kinderbetreuung und Wohnungssituation "mangelhaft"

Großbauprojekt in Neuperlach Zentrum

Wachstum ja, aber nicht ungebremst: Die Münchner stehen der Nachverdichtung, wie hier in Neuperlach, nicht generell ablehnend gegenüber.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Alle fünf Jahre stellen Tausende Münchner ihrer Stadt ein Zeugnis aus. 2021 gaben sie zu neun verschiedenen Bereichen ein Urteil ab. Auch die Note "sehr gut" wurde vergeben.

Von Ulrike Steinbacher

Kultur und Parks "sehr gut", Kinderbetreuung und Wohnungssituation "mangelhaft": Alle fünf Jahre stellen die Münchnerinnen und Münchner ihrer Stadt ein Zeugnis aus. 2021 gaben sie zu neun verschiedenen Bereichen ein Urteil ab, vom Klimabewusstsein bis zur Digitalisierung. Ergebnis: Eine Musterschülerin ist München nicht, in manchen Bereichen hapert's durchaus. Dennoch zieht Stadtbaurätin Elisabeth Merk, die die Bevölkerungsbefragung zur Stadtentwicklung am Mittwoch im Planungsausschuss vorstellte, das Fazit, "dass München nach wie vor eine Großstadt mit hoher Lebensqualität ist", allerdings eine mit "problematischen Bereichen".

Das Planungsreferat hatte für die Befragung - die sechste seit 1992 - nach dem Zufallsprinzip 22 000 Münchner aus der Einwohnerstatistik herausgesucht. 7073 von ihnen füllten zwischen Mitte Januar und Ende Februar den Fragebogen schriftlich oder im Internet aus, eine Rücklaufquote von 34 Prozent. Manche Fragen wurden im Vergleich zu 2016 verändert oder neu in den Katalog aufgenommen, das Thema Home-Office zum Beispiel.

Denn Corona hat laut Auswertung das Verhältnis vieler Münchner zu dem Ort, an dem sie arbeiten, grundlegend geändert. Gut zwei Drittel der befragten Erwerbstätigen hätten schon vor dem ersten Lockdown zu Hause am Schreibtisch sitzen können, aber nur jeder Zehnte nahm das - hin und wieder - in Anspruch. Während der Pandemie dagegen arbeiteten 49 Prozent fast ausschließlich daheim. So soll es bleiben, sagen die Befragten, und zwar für mindestens die Hälfte der Arbeitszeit.

In den Stadtrat haben 54 Prozent der Münchner Vertrauen

Zuerst aber muss man mal ein Zuhause finden: Auf die Frage nach den größten Problemen der Stadt nennen 49 Prozent - noch vor dem Verkehr - die hohen Miet- und Kaufpreise von Wohnungen, und 34 Prozent das geringe Wohnraumangebot. Da ist es folgerichtig, dass 77 Prozent der Befragten fordern, die Stadt soll für bezahlbares Wohnen und Wohnungsbau mehr Geld ausgeben.

Selbst einer Nachverdichtung vor der eigenen Haustür steht eine Mehrheit (59 Prozent) zumindest nicht ablehnend gegenüber. Voraussetzung ist für 91 Prozent allerdings, dass dann bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Und zwar eher mit Maßnahmen wie dem Ausbau von Dachgeschossen (56 Prozent) als mit Abriss und Neubau (34 Prozent) oder der Bebauung freier Flächen (27 Prozent).

Die überraschend große Zustimmung zur Nachverdichtung hob Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer am Mittwoch bei der Debatte im Planungsausschuss hervor. Angesichts dieser Grundhaltung lasse sich Flächenfraß in den Außenbezirken womöglich verringern. Denn dass unbedingt bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden müsse, zeige die Studie ebenfalls. Jeder Fünfte gebe mehr als 40 Prozent seines Einkommens für Miete aus, zugleich gehe die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf.

86 Prozent sind mit dem Kulturangebot zufrieden

Simone Burger (SPD) sieht die Wohnkosten-Belastungsquote ebenfalls mit "großer Sorge". Die Zahlen seien "unglaublich drastisch". Dennoch wandte sie sich dagegen, die beiden großen Ziele der Rathaus-Koalition gegeneinander auszuspielen, nämlich die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum gegen das Freihalten von Grünflächen und Frischluftschneisen. Auslöser für ihre Warnung war der Hinweis von Alexander Reissl (CSU), dass drei von vier Befragten mehr Geld ins Wohnen stecken würden, aber nur einer von vier mehr in den Umweltschutz investieren würde.

Brigitte Wolf (Linke) vermutete angesichts des Befragungszeitraums mitten im Corona-Winter, dass die Pandemie einige Ergebnisse verzerrt haben könnte. Das hielt auch Heike Kainz (CSU) für möglich, die "ein wenig erschrocken" war, dass sich das ehrenamtliche Engagement in der Stadt im Vergleich zur Befragung 2016 fast halbiert hatte, von 49 auf 26 Prozent. Stadtbaurätin Elisabeth Merk räumte mögliche Corona-Effekte ein, und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) regte an, künftig generell Vergleiche mit Vorgängeruntersuchungen anzustellen, damit Entwicklungen erkennbar würden.

Die Bürgerbefragung hat außerdem ergeben, dass 86 Prozent der Befragten mit dem Kulturangebot in der Stadt zufrieden sind und 77 Prozent mit der Attraktivität von Parks und Plätzen. Die Kinderbetreuung dagegen stößt auf viel Kritik: 40 Prozent der befragten Eltern sind mit der Versorgung mindestens unzufrieden. Parkplätze, egal ob fürs Fahrrad oder Auto, vermissen die Münchner ebenfalls. Gut kommt die Digitalisierung der Verwaltung an. 65 Prozent der Befragten geben an, sie hätten Online-Dienste wie Kita-Finder, Hunde-Anmeldung oder Urkundenbestellung schon genutzt. In den Stadtrat haben 54 Prozent Vertrauen. Für Kommunalpolitik allerdings interessiert sich nur gut jeder Vierte (28 Prozent).

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