Süddeutsche Zeitung

Be'er Scheva:Von Abrahams Heimat zur Cyber-Hauptstadt

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Münchens neue Partnerstadt Be'er Scheva am Rand der Wüste Negev wird oft unterschätzt. Sie wächst rasant, schon bald sollen hier 500 000 Menschen leben.

Von Peter Münch, Beer Scheva

Wer auf dem Highway Nummer 40 durch den Negev im südlichen Israel fährt, der sollte sich auf einen Fata-Morgana-Moment gefasst machen. Denn irgendwann wird in der flirrenden Hitze plötzlich die Silhouette von Hochhäusern sichtbar, die aus dem Wüstenboden gen Himmel wachsen. Doch was man sieht, ist keine Einbildung, ist keine Luftspiegelung. Es ist: Be'er Scheva, seines Zeichens die "Hauptstadt des Negev" - und überdies die neueste Partnerstadt von München.

Diese Partner mögen ungleich sein: München ist ein Millionendorf, Be'er Scheva kommt auf gerade einmal 210 000 Einwohner. München leuchtet, Be'er Scheva gibt sich braun in braun. Der örtliche Fußballclub Hapoel ist anders als der FC Bayern eher nicht zum Rekordmeister gemacht, auch wenn es nach einiger Abstiegserfahrung in den Jahren 2016 und 2017 sogar zur israelischen Meisterschaft gereicht hatte. Unter dem Strich aber muss man sagen: Be'er Scheva hat in Israel lange Zeit ein ziemliches Imageproblem gehabt.

Denn anders als den meisten anderen israelischen Städten fehlte ein klares Profil: In Jerusalem wird gebetet, heißt es gern plakativ, in Haifa gearbeitet und in Tel Aviv gefeiert. Aber Be'er Scheva? Das galt vor allem als heiß und trocken, arm und staubig und überdies sehr abgelegen. Kurzum: der ideale Tankstopp auf dem Weg zum süßen Leben in Eilat am Roten Meer.

Dabei können Lokalpatrioten darauf verweisen, dass Be'er Scheva möglicherweise sogar älter ist als Jerusalem. Die Wurzeln der Besiedlung reichen bis ins vierte vorchristliche Jahrtausend zurück. In der Bibel wird der Ort erwähnt als Wohn- und Wirkungsort des Patriarchen Abraham. Spätestens im siebten Jahrhundert kam allerdings der nachhaltige Verfall, und erst vor gut 100 Jahren wurde unter Osmanen-Herrschaft eine Art neuer Blüte eingeleitet. Die heutige Altstadt stammt aus jener Zeit, Be'er Scheva wurde zum Verwaltungszentrum für die Beduinen der umliegenden Wüste.

Bei der israelischen Staatsgründung im Jahr 1948 hatte Be'er Scheva gerade einmal 3000 Einwohner. Es wurde danach zu einer jener typischen israelischen "Entwicklungsstädte" mit schnell errichteten Wohnblocks für die jüdischen Einwanderer aus aller Welt. Doch diese freudlose Phase hat schon vor einiger Zeit ihr Ende gefunden. Be'er Scheva will sich nun neu erfinden als Boomtown. Kern des Aufstiegs ist die bereits 1966 gegründete "Ben-Gurion-Universität des Negev". Spezialisiert hat man sich hier auf Hightech-Themen. 25 000 Studentinnen und Studenten sind eingeschrieben. Während die meisten von ihnen früher der Stadt schnellstmöglich nach dem Abschluss den Rücken gekehrt hatten, sollen sie nun mit lukrativen Arbeitsplätzen zum Bleiben bewegt werden.

Der frühere Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte Be'er Scheva deshalb zur "Cyber-Hauptstadt". Steuervergünstigt angesiedelt werden vor allem Start-ups zur Cybersecurity sowie die einschlägigen Abteilungen der Armee. Als Hightech-Pionier hatte vor Jahren auch schon die Deutsche Telekom ein "Innovationslabor" in Be'er Scheva errichtet. Gefolgt sind diesem Beispiel unter anderem der Online-Bezahldienst Paypal und der Rüstungskonzern Lockheed Martin.

Geworben wird mit billigerem Wohnraum als zum Beispiel in Tel Aviv, mit weniger Staus und weniger Stress. Auch das Kulturprogramm mit einem guten Theater und der traditionsreichen Sinfonietta soll dazu beitragen, Be'er Scheva nicht länger zu unterschätzen. Auch neue Parks wurden angelegt, und die Altstadt wird mit Cafés, Restaurants und Galerien aufgemöbelt.

Das ehrgeizige Ziel: Be'er Scheva soll nicht nur lebenswerter werden, sondern auch auf 500 000 Einwohner anwachsen. Platz genug ist ja ringsherum auf kargem Wüstenboden. Mit Verspätung könnte sich damit noch der Traum des Staatsgründers David Ben-Gurion erfüllen, der schon zu seiner Zeit den Negev zum Blühen bringen wollte. Und mehr Hochhäuser als in München gibt es in Be'er Scheva sowieso jetzt schon.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2021
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