München:Gericht will städtischen BDS-Beschluss kippen

Lesezeit: 3 Min.

Die Stadt stellt der antisemitischen Kampagne keine Räume zur Verfügung - der Verwaltungsgerichtshof sieht die Meinungsfreiheit unzulässig beschränkt.

Von Stephan Handel, München

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) scheint gewillt zu sein, den sogenannten BDS-Beschluss des Münchner Stadtrats aus dem Jahr 2017 zu Fall zu bringen: In einer mündlichen Verhandlung äußerte der 4. Senat des VGH Bedenken, ob der Beschluss nicht gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verstößt. Ein abschließendes Urteil wurde jedoch noch nicht gesprochen.

BDS steht für "Boycott, Divestments and Sanctions" - Boykott, Veräußerungen und Sanktionen - und ist eine weltweite Kampagne mit dem Ziel, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren. Der Bundestag verurteilte im vergangenen Jahr Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung als antisemitisch. 2017 hatte der Münchner Stadtrat beschlossen, in städtischen Räumen keine Veranstaltungen zu oder mit BDS zuzulassen - und zwar nicht nur zustimmende, sondern auch ablehnende.

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Ein Jahr später wollte der pensionierte Physiker Klaus Ried - dessen Beziehung zum BDS ungeklärt ist - eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel "Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?" veranstalten und beantragte bei der Stadt, ihm dafür Räume im Stadtmuseum zu vermieten. Die Stadt befand, man könne ja wohl schlecht über den Beschluss diskutieren, der BDS ächte, ohne dass Boykottaufruf und politische Inhalte zur Sprache kämen, und lehnte die Raumvergabe ab.

Vor dem Verwaltungsgericht bekam das Rathaus im Dezember 2018 recht: Der Zweck des Stadtmuseum, so hieß es in einem Urteil, sei laut Satzung die "Förderung der Kunst, der Kultur, der Volksbildung und der Heimatpflege"; Rieds Veranstaltung falle nicht unter diese Kriterien. Zudem lasse sich aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kein Benutzungsrecht für öffentliche Räume ableiten.

Gegen dieses Urteil ging Ried in Berufung zum VGH - mittlerweile verstärkt durch drei weitere Kläger, unter ihnen der LMU-Professor Michael Meyen, der vor Kurzem Unmut in seinem Institut für Kommunikationswissenschaft ausgelöst hat, weil er in seinem Blog fragwürdige Thesen unter anderem zu Bill Gates und dem antisemitischen Verschwörungsideologen Ken Jebsen vertritt oder zumindest duldet.

Die Verhandlung am Mittwoch kam zu ihrem eigentlichen Knackpunkt erst nach knapp einer Stunde: Darf die Stadt ihren Standpunkt in einer politischen Frage zum Ausdruck bringen, indem sie per Widmung die Nutzung öffentlicher Räume einschränkt, fragte Dieter Zöllner, der Vorsitzende Richter. Außerdem: Der Kläger hatte ja angeführt, es solle nicht über BDS diskutiert werden, sondern über den Stadtratsbeschluss. Auch da fragte Zöllner: Darf die Stadtratsmehrheit das Meinungsspektrum nach ihrer Vorstellung zuschneiden und beschränken?

Die Vertreter der Stadt hielten entgegen, dass die Meinungsfreiheit des Klägers ja nicht eingeschränkt werde: Er dürfe seine Meinung überall äußern, sogar im Stadtmuseum - die Stadt könne aber nicht dazu gezwungen werden, ihm dafür Räume zur Verfügung zu stellen. Ein Mitarbeiter der städtischen Fachstelle für Demokratie wollte ausführen, wie diese denn zur Einstufung von BDS als antisemitisch gekommen sei - Zusammenarbeit mit terroristischen Akteuren, Äußerungen von Protagonisten der Kampagne -, wurde aber vom Richter schnell unterbrochen: Diese politische Einordnung "steht einem Gericht nicht zu", sagte Zöllner, nicht ohne anzufügen, es sei ihm schon klar, dass sich in BDS und ihrem Umfeld "sehr zweifelhafte Gestalten" zu schaffen machten.

Letztlich gehe es darum, ob bei der Veranstaltung, wenn sie denn stattfinden würde, strafbare Handlungen zu erwarten seien, sagte Zöllner. Dann könne die Stadt einschreiten. "Aber mit solchen Beschränkungen die politische Diskussion in einer Stadt zu lenken und zu beschneiden, ist ein illegitimer Zweck." Und: "Antisemitismus ist höchst unappetitlich und verwerflich - aber strafbar ist er nicht." Zöllner sagte aber auch, in diesem Fall seien so viele rechtliche Fragen offen, dass sich höhere Instanzen damit beschäftigen sollten: "Wir brauchen eine höchstrichterliche Entscheidung." Deshalb kündigte er an, die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen. Zunächst aber geht es beim Münchner Prozess im schriftlichen Verfahren weiter. Wann eine Entscheidung verkündet werden soll, steht noch nicht fest.

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter äußerte sich am Nachmittag zu dem Verfahren: Das Gericht, teilte Reiter mit, "hat sich noch nicht abschließend geäußert, ob es sich der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts anschließen wird. Die aktuelle Zunahme antisemitischer Vorfälle und Straftaten zeigt, wie wichtig entschlossenes Handeln gegen jede Form der antisemitischen Stimmungsmache ist. Ich werde mich daher weiterhin dafür einsetzen, dass die Stadt klarstellt, dass Antisemitismus in München und insbesondere in städtischen Räumen keinen Platz hat."

© SZ vom 28.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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