Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Im Land der Heimwerkerkönige

In der Heimat unseres Kolumnisten ist es üblich, Reparaturen den Profis zu überlassen. In Bayern versucht es man es lieber selbst. Ob das gut gehen kann?

Kolumne von Olaleye Akintola

Es war das Geräusch von einem Hammer, das die Nachbarschaft am Samstagmorgen viel zu früh aufwachen ließ. Keine Eruption wie bei einem Crash auf der Straße, eher ein stetiges Pochen, das verstummt, aber verlässlich wiederkehrt. Es stammte von drei Männern, die gleich nebenan ein Hausdach belagerten. Wie sich herausstellte, hatte einer von ihnen seine beiden Brüder zu Gast, um kaputte Schindeln auszuwechseln. Sie kämpften sich Ziegel für Ziegel vor, oft mussten sie eine bereits platzierte Schindel neu justieren. Ich spähte immer wieder durchs Fenster und beobachtete die Szenerie mit einer Mischung aus Gespanntheit und Besorgtheit. Es war unschwer zu erkennen, dass hier definitiv keine Profis am Werk waren.

Die Bayern nehmen Dinge gerne selbst in die Hand und unterscheiden sich darin grundlegend von so manch anderem Kulturkreis. Zum ersten Mal fiel mir das in meinen Anfangstagen in Bayern auf, als ich noch in Ebersberg östlich von München wohnte. Damals begleitete ich einen Freund zu einer jungen Frau, die ihm ein gebrauchtes Fahrrad versprochen hatte. Das Rad stand da, allerdings mit platten Reifen. Wir wollten das Fahrrad schon einpacken, da packte sie etwas aus: ein kleine Schatulle mit Flickzeug. Nach 20 Minuten war sie fertig - und wir fragten sie, wo sie ihre Radmechaniker-Ausbildung absolviert hat. Sie erklärte uns, dass sie Germanistik studiere.

Wie praktisch. Selbst ist der bayerische Mann - und die Frau. Wobei sich natürlich die Frage aufdrängt, ob das nicht auch Nachteile mit sich bringt. In Nigeria wäre auf dem Dach des Nachbarn und bei den platten Reifen Jobs angefallen. Die Preise für einen Handwerker sind dort - anders als etwa in München - meist eher niedrig. Auch wenn eine Qualitätsgarantie äußert selten ist, wird in Nigeria gern dieser Spruch zitiert: Warum selbst nach der Schaufel greifen, wenn man dadurch Spezialisten vom Markt drängt?

Es sind nur zwei von vielen Beispielen für das Phänomen des bayerischen Self-Repair-Individuums. Das technische Know-How ist hier enorm. Der Deutsche und seine Maschine - beide sind wie miteinander verschmolzen. Die Einheimischen wirken oft so, als seien ihnen Gebrauchsanweisungen für Automotorhauben und Fahrradsattelhalterungen von Geburt an ins Hirn gepflanzt. Sie sind wie geschaffen dafür, einen Bolzen zu verlieren und ihn dann wieder festzuziehen. Wenn ihnen danach ist, zerlegen sie ein Gerät auch gerne mal komplett und bauen es wieder zusammen, zum Beispiel einen Computer oder ein Radio. Manchmal machen sie dabei auch einen Fehler, den sie aber nicht zugeben. Stattdessen erklären sie den Hersteller für untauglich, gerne fluchend.

In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Gerät auf den Wertstoffhof verbannt, oder aber es landet an einem sicheren Ort. So manche bayerische Garage gleicht deswegen einer Bastelstube für Hobbymechaniker. Man sieht dort diverse Werkzeugkästen mit Instrumenten, die - je nach Kiste - in allerlei Farben schillern. Dazu gehören Ölkannen und nicht mehr identifizierbare Elektroteile, aus denen Drähte herausschauen. Sicherheitsschuhe, Overalls mit schwarzen Flecken und Handschuhe komplettieren das Bild. Alles, damit einem der Handwerker nicht mit einem überteuerten Angebot aufs Dach steigt.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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Quelle:
SZ vom 19.07.2019/vewo
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