Süddeutsche Zeitung

Bayerischen Staatsoper:Wo Silikonfüße Opern-Fans glücklich machen

Der Kostümverkauf der Bayerischen Staatsoper erweist sich als Publikumsrenner. An die 5000 Einzelteile hat die Staatsoper ausgemustert. Mit guten Preisen für handwerklich aufwändige Ware, und mit ein paar echten Schatzfunden.

Von Tom Soyer

"Diese Hose hat Rolando Villazon getragen - Wahnsinn!", jubelt Clara Egelhof. Die Münchner Schülerin ist Opernfan - und völlig hingerissen von ihrem Fund beim Kostümverkauf der Staatsoper. Absolute Sensation, für gerade mal 15 Euro. Braune Bermudas aus gutem Stoff, ungefähr sieben Kleidergrößen zu weit für die zierliche Schülerin. Wahrscheinlich nicht das, was sie sich in einer Boutique ausgesucht hätte. Aber durch und durch Opernstoff. "Mama, kannst du das umschneidern?" Judith Egelhof begutachtet die kurze Hose, mit der Rolando Villazon den Hoffmann in "Hoffmanns Erzählungen" nebenan gesungen hat, auf der großen Münchner Bühne. "Alles so genäht, dass man locker noch ein paar Zentimeter rauslassen kann", aber für Clara wohl doch zu weit.

Egal. Was zählt, sind Opernbegeisterung und das kleine Etikett der "Bayerischen Staatsoper" innen am Bund, auf dem "Villazon" eingetragen ist. Eine Bühnenbux mit Echtheitszertifikat.

Dafür hat es sich schon gelohnt, am Samstagvormittag 75 Minuten lang vorm Haupteingang der Oper auf dem Max-Joseph-Platz Schlange zu stehen. Denn dass der dortige Kostümverkauf ein Ereignis ist, das wissen Hunderte. Weil die Kleider aus den operneigenen Werkstätten, von ausgezeichneten Handwerkerinnen und Handwerkern fürs harte Bühnenleben geschneidert und genäht, allemal wertig genug sind für ein Leben nach der Oper. Im Münchner Fasching. Oder im unterfränkischen Fasching, von dem Martin Ballmann so schwärmt. Er hat sich eine grüne Polizeijacke, Modell vorvergangenes Jahrhundert, nebst zugehöriger Mütze für zusammen 42 Euro ausgesucht, dazu einen Lodenhut, den er seinem blasmusikalischen Sohn schenken will. Der habe noch keinen zu seiner Tracht, das passt. Lodenhüte, wilde Krönchen mit zuschaltbarer LED-Beleuchtung oder beeindruckend hohe Zylinderhüte: hier günstiger denn je.

Ballmann ist nicht zum ersten Mal bei diesem Kostümverkauf, bei dem es Lustiges, Imposantes oder auch Grundsolides zum Preis von einem bis 150 Euro gibt. Für ihn ist's zugleich ein fröhliches Wiedersehen, weil er fürs Rote Kreuz ehrenamtlich Sanitätsdienst in der Oper leistet. Und klar. "Es ist besonders schön, wenn man was aus einer Oper erwischt, in der man war!"

An die 5000 Einzelteile hat die Staatsoper im Kostümfundus an der Maximilianstraße sowie im größeren Kostümlager draußen in Poing (Landkreis Ebersberg) ausgemustert: Tiermasken, Petticoat-Kleider, und beispielsweise auch das gewaltige hellblaue Kostüm, welches Kammersängerin Diana Damrau als "Olympia" in "Hoffmanns Erzählungen" getragen hat. Ein Riesentrumm aus dünnem Neopren, das die meisten nur kurz in die Hand nehmen. Irgendwann entdeckt doch jemand, dass auch dieses Kostüm ein Schatzfund ist, für nur 40 Euro, mit "Damrau" innen auf dem Staatsoper-Etikett. Und ab geht's zur Kasse damit.

Pro Saison stehen in München 45 Opern und 15 Ballettwerke an, das erzeugt Platznot in den Kleiderkammern. Eine aktuelle Produktion wie "Herzog Blaubarts Burg" eher weniger, weil es da nur zwei Solisten und keinen Chor gibt. Aber bei ganz großen Opern zieht sich dann der Chor drei Mal um, macht 300 Kostüme. Und schwupps, landet dann so ein Regal voller witziger Silikon-Schuhe, die wie übergroße nackte Füße aussehen, am Samstag im Kostümverkauf.

Thomas Meier aus München, der schon einen tollen Robin-Hood-Filzhut trägt, greift sich ein Paar zu acht Euro, sein Bruder Jörg ein anderes. Sieht umwerfend komisch aus, den eigenen schwarzen Schnürschuh am einen, die hautfarbige Silikonlatsche am anderen Fuß. Jörg will eine Tischlampe draus bauen, mit farbigem LED-Licht - und Thomas lacht schon bei der Vorstellung, wie er damit durch den Englischen Garten laufen wird: "barfuß, aber glasscherbensicher".

Benjamin Böhme von der Theatergruppe Holzkirchen staffiert sich ebenfalls günstig aus, die Uniformen "von den Kollegen" kann er gut für das eigene Bauerntheater brauchen. Praktisch auch, dass die alten "Lohengrin"-Chor-Monturen sowohl auf Mütze wie Jacke jeweils ein "B" in Frakturschrift als Initial haben: BB, Benjamin Böhme. Und der groß gewachsene Jürgen Fella, gebürtiger Düsseldorfer und seit sechs Jahren in München, ist glücklich über einen imposanten blauen Neoprenmantel mit LED-Blinklichtern. Er feiere "legendäre Halloween-Partys" und habe "den halben Keller" voller Kostüme.

Wo alle zufrieden zugreifen, ist die Stimmung bestens. Und zudem gehoben anständig. Keiner ramscht, niemand neidet, man hilft sich gegenseitig. Jörg Meier etwa hält mehrmals als Model her für eine andere Kundin, die ihrem Freund ein Sakko mitbringen möchte. Und eine junge Dame, die bei der Anprobe zwei Ohrringe aus einer Lohengrin-Strickjacke (18 Euro) zieht, checkt sofort das Staatsopern-Etikett innen. Eine Opernmitarbeiterin wird die Ohrringe der Eigentümerin zurückbringen. Auch solche Schatzfunde gibt es beim Kostümverkauf.

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SZ vom 10.02.2020/bica
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