Neben Sachertorten-Entwerfen, Schuhe-Sortieren, Shoppen in Mailand und Bibbern in der Schockgefrierkammer eines noblen Tiroler Spas konnte man Anna Netrebko in den vergangenen Monaten auf ihrem Instagram-Account auch dabei zusehen, wie sie völlig uneitel verschlumpft und mit dicker Lesebrille auf der Nase eine Opernarie einstudierte. Ihr Korrepetitor haute im heimischen Wiener Penthauswohnzimmer tapfer in die Klaviertasten, während sich die Diva abquälte - mit Wagner. Die Sopranistin liebt seine Musik, Problem nur, gesungen wird auf deutsch, und mit dieser Sprache hat es die Russin nun mal nicht so, was sie auch ganz offen zugibt. Schade eigentlich, nach einer bejubelten, Teleprompter-gestützten Elsa 2016 im Dresdner "Lohengrin" war's das bislang in diesem Fach. Ihr Debüt auf dem Grünen Hügel in Bayreuth hatte sie 2019 abgesagt. Immerhin, auf der aktuellen CD "Amata dalle Tenebre" hört man nun das schöne Ergebnis der Wohnzimmerprobe: Netrebko singt Isolde, "mild und leise".
"Du hast so viele Leben, wie Du Sprachen sprichst", sagt ein tschechisches Sprichwort. Doch so polyglott die Opernwelt ist, nicht jeder gleitet so geschmeidig von einer Sprache in die andere wie etwa der legendäre Tenor Nikolai Gedda. Der hatte eine schwedische Mutter und einen russischen Kantor zum Vater, und galt unter Kollegen als Pedant, was seine Diktion auch in Italienisch, Deutsch oder Französisch anging. Heute scheinen Opernsänger aus den Ländern des ehemaligen sogenannten Ostblocks die flexibleren Sprachwechsler. "Unser Job macht uns zu Weltenbummlern", schreibt die Lettin Elīna Garanča in ihrer Autobiografie "Wirklich wichtig sind die Schuhe". Mit Anna Netrebko spreche sie Russisch, mit Jonas Kaufmann Deutsch. Der Münchner Tenor wiederum singt, egal ob im deutschen, italienischen, französischen oder aktuell englischen Fach, so textverständlich wie kaum ein Zweiter. Weshalb er 2015 sogar bei der "Last Night of the Proms" in der Royal Albert Hall das imperiale Hurray "Rule, Britannia!" schmettern durfte. Das slawische Fach in Originalsprache aber mied der bekennende Perfektionist bislang weitgehend. "Jedes Wort ist mir wichtig, seine Bedeutung. Deshalb fällt es mir auch so schwer, russisches Repertoire zu singen. Ich beherrsche diese Sprache nicht", so Kaufmann in einem Spiegel-Interview 2015.
Wie die Sprache von Aliens
Susanne Thormann-Metzner kennt diese Bedenken nur allzu gut. Via-Zoom-Gespräch erzählt sie von einer sehr bekannten Sopranistin, die sie sich ganz wunderbar als Tatjana in Tschaikowskys "Eugen Onegin" hätte vorstellen können. Doch die Sängerin, deren Namen sie nicht verrät, habe das Gefühl gehabt, im Russischen den eigenen Ansprüchen nicht genügen zu können. Als Sprachcoach an der Bayerischen Staatsoper ist es Thormann-Metzners Aufgabe, den Künstlern solche Berührungsängste zu nehmen. Sie an Idiome heranzuführen, die ihnen anfangs - ihre "Schülerin" Mezzosopranistin Angela Brower bringt es auf den Punkt - wie eine "Sprache von Aliens" vorkommen. Wie gut das funktioniert hat, kann man aktuell in Leoš Janáčeks Oper "Das schlaue Füchslein" im Nationaltheater erleben. Brower, die Frau aus Phoenix, Arizona, singt da tief berührend den Fuchs in Tschechisch, gar im Mährischen Dialekt.
Sprachcoachs wie Susanne Thormann-Metzner kommt an den Opernhäusern eine immens wichtige Rolle zu. Natürlich bringen die meisten Sängerinnen und Sänger (Grund-)Kenntnisse in den gängigen Opernsprachen wie Italienisch, Französisch oder Deutsch mit. Sie gehören zur Gesangsausbildung an den Konservatorien. An der Hochschule für Musik und Theater München zum Beispiel stehen für angehende Sängerinnen und Sänger Italienisch, Französisch und auch slawische Sprachen im Studienplan. Hinzu kommen laut Professorin Waltraud Lehner, die das Institut für künstlerische Gesangs- und Theaterausbildung leitet, Workshops in verschiedenen Sprachen, die von Coachs begleitet werden. "Gerade arbeiten wir an einem Konzertprogramm von Komponistinnen und Komponisten in hebräischer und jiddischer Sprache mit dem Arbeitstitel ,unerhört'." Es soll Mitte Mai in der Reaktorhalle stattfinden.
Auch Angela Brower hatte Standardopern-Sprachen im Gepäck, als sie 2008 zum Nachwuchs-Ensemble, dem traditionell sehr international zusammengesetzten Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, stieß. "Natürlich hatten wir auch Sprachkurse, sie wollen einem da so viel wie möglich anbieten", erzählt die 38-Jährige via Zoom. Doch hätten die Mitglieder des Opernstudios in der Regel zu viel zu tun, um dem Unterricht regelmäßig folgen zu können. Um so wichtiger seien die Sprachtrainer beim Einstudieren anstehender Partien. Brower, die bis 2016 zum Ensemble der Staatsoper gehörte und nun für die Janáček-Oper quasi "nach Hause" zurückkehrte, schildert, wie sie sich ihren tschechischen Fuchs erarbeitet hat. Mit einem gewissen Vorsprung vor den meisten anderen in der Produktion: Sie und Elena Tsallagova, die die Titelrolle singt, waren 2021 zusammen mit Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla und deren City of Birmingham Symphony Orchestra mit dem Füchslein auf Konzerttour.
Zunächst, so Brower, war da nur sie und das Libretto. Das dicke Textbuch in der Alien-Sprache. An der Uni hat sie gelernt, mit dem IPA, dem International Phonetic Alphabet, umzugehen. Mit diesem Werkzeugkasten an Symbolen kann sie Sprachen in ihrer klanglichen Umsetzung transkribieren. "Ich notiere mir beispielsweise, ob ein E offener gesprochen werden muss, oder ein A wie ein Ä", erläutert die Sängerin. Von großer Hilfe war ihr beim Selbststudium ihrer Partie die Aufnahme mit einer tschechischen Muttersprachlerin. "Es ging mir nicht darum, sie zu imitieren, aber so lernte ich die Farben der Sprache und begriff, wo eine Phrase hinläuft", sagt sie. Das sei, gerade bei einer ihr so fremden Sprache wie dem Tschechischen, unschätzbar viel wert.
Ein Waliser wagt den Wotan
Für Susanne Thormann-Metzner ist Tschechisch vertraut, es ist die Sprache ihrer Großeltern, Sudetendeutsche. Sie hat Slawistik, Anglistik und Gesang studiert. Seit 20 Jahren arbeitet sie an der Bayerischen Staatsoper, zunächst als "Maestra Suggeretrice", also Souffleuse, war sie oft die letzte Rettung im Kasten, wenn oben auf der Bühne mal wieder der Blackout drohte. "Anfangs habe ich mich nur nebenbei auch um die Aussprache bei den Sängern gekümmert, irgendwann wurde ich gefragt, ob ich das nicht hauptamtlich machen will", erzählt sie. Sie hat dann erst mal Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Ihre Schüler waren unter anderem der extrem sprachbegabte britische Bariton Simon Kennlyside, der sich die Titelrolle in Alban Bergs schwierigem Meisterwerk "Wozzeck" in nahezu akzentfreiem Deutsch erarbeitet hat. Oder sein walisischer Kollege Bryn Terfel, der an der Staatsoper schon als Wotan oder Holländer mit seinem Wagner-Deutsch glänzte.
Die tückischen "Hatscheks"
Irgendwann hat man am Haus auch begonnen, auf Thormann-Metzners Kenntnisse im Tschechischen und Russischen zurückzugreifen. Und wieder war sie von Simon Kennlysides Sprachtalent beeindruckt, der in München ein bewundernswertes Russisch als Onegin ablieferte. Oft läuft es so wie aktuell beim "Schlauen Füchslein", erzählt sie: Alles beginnt mit reinen Leseproben, ohne Piano. "Bevor wir in den Inhalt gehen, erkläre ich, wo die Schwerpunkte der Sprache liegen, die Verben, die Subjekte, dann die Aussprache-Regeln für die Vokale und Konsonanten, die Sonderzeichen." Kein leichtes Unterfangen, sitzen die tückischen "Hatscheks" (tschechisch für Häkchen) nicht nur auf dem C sondern auch auf dem S und dem R, liegt doch die Betonung stets auf der ersten Wortsilbe. "Weil wir im Ensemble sehr international aufgestellt ist, versuche ich hier Brücken zu bauen in die jeweilige Muttersprache", sagt Thormann-Metzner. Nach der reinen Leseprobe geht sie mit den Sängern dazu über, den Text auf die Gesangslinie zu bekommen. Denn natürlich ist es die Musik, die ihnen immens dabei helfen wird, die schwierigen Texte zu memorieren. Nun beginnen sie, jeweils mit dem Pianisten zu arbeiten. Erst nach diesen musikalischen Einzelstunden kommt das Ensemble dann wieder zusammen, nun geht es an den Feinschliff. "Bis zur Schlussprobe sind wir dabei und nehmen noch Korrekturen vor". Mit "wir" meint sie ihren Kollegen Ivan Unger, einen Muttersprachler, der auch die Nuancen des für die Janáček-Oper wichtigen mährischen Dialekts beherrscht. Mit ihm zusammen kümmert sie sich auch um die Übertitel fürs Publikum.
Sängerinnen und Sängern aus dem slawischen Sprachraum wie der Russin Elena Tsallagova oder dem Schweizer Bassbariton Milan Siljanov, dessen Familie mazedonische Wurzeln hat, falle das Tschechische deutlich leichter, beobachtet Thormann-Metzner. Aber auch der Burghausener Bariton Wolfgang Koch, der den Förster singt und in der Premieren-Matinee verriet, dass man die Sprachcoachs zuweilen an den "Rand der Verzweiflung" gebracht habe, hat wunderbar in den Klang des Tschechischen hineingefunden. Und Angela Brower? Die Amerikanerin fühlt sich nun sehr wohl in dieser weichen, ausdrucksstarken Opernsprache. Letztlich, so sagt sie, sei es nicht entscheidend, perfekt zu sein, sondern glaubhaft und authentisch eine Geschichte zu erzählen.
Das schlaue Füchslein, Bayerische Staatsoper, weitere Vorstellungen: 10., 12. und 15. Februar, Karten unter www.staatsoper.de , Tel. 21 85 19 20