Krieg in der Ukraine:Retter der Archive

Krieg in der Ukraine: Die Initiative "Save Ukranian Cultural Heritage Online" arbeitet auch mit ukrainischen Künstlern zusammen. Hier ein Plakat der Illustratorin Olga Rodzik, zu sehen ist das Opernhaus ihrer Heimatstadt Odessa.

Die Initiative "Save Ukranian Cultural Heritage Online" arbeitet auch mit ukrainischen Künstlern zusammen. Hier ein Plakat der Illustratorin Olga Rodzik, zu sehen ist das Opernhaus ihrer Heimatstadt Odessa.

(Foto: Olga Rodzik / SUCHO)

Wie die Bayerische Staatsbibliothek in München dabei hilft, digitales Kulturgut aus der Ukraine zu schützen.

Von Jürgen Moises, München

Was kann ich tun? Nachdem bekannt war, dass russische Soldaten in der Ukraine einmarschieren, wurde das hierzulande für viele zu einer wichtigen Frage. Sei es, um den betroffenen Menschen zu helfen oder vielleicht auch nur um gegen das Gefühl der Ohnmacht anzugehen. Auch bei Gudrun Wirtz und ihren Mitarbeitern von der Osteuropaabteilung in der Bayerischen Staatsbibliothek tauchte bereits am ersten Kriegstag diese Frage auf. Aber auch die: Was bedeutet das für unsere Arbeit? Ihre erste Reaktion: Bei der Öffentlichkeitsarbeit ihres Fachinformationsdienstes Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa "Informationen zur Ukraine und zu unseren eigenen Ukraine-Beständen in den Mittelpunkt" zu stellen, so Gudrun Wirtz. "Um dem russischen Narrativ, eine Ukraine oder ukrainische Kultur existiere gar nicht, sozusagen uns ganz klar entgegenzustellen."

Klar, gegen Panzer und Raketen hilft das nicht. Aber in diesem Krieg geht es eben auch um einen Angriff auf und um die Verteidigung der ukrainischen Kultur. So gibt es bereits mehrere Initiativen, die versuchen, ukrainisches Kulturgut zu retten. Dazu gehören physische Güter wie Bücher, Bau- und Kunstwerke, aber auch digitale wie E-Books, Digitalisate oder Webseiten. "Und da haben wir gleich am Montag nach Kriegsbeginn beschlossen", erzählt die Leiterin der Osteuropaabteilung am Telefon, "dass wir in größerem Maßstab E-Books aus ukrainischen Repositorien downloaden". Das heißt aus Dokumentenservern von Universitäten und Bibliotheken. Und ein weiterer Beschluss: "Die Websites, die wir katalogisiert haben, zu archivieren."

Es gibt in der Ukraine auch viele archäologische Forschungen

Denn die Osteuropaabteilung erwirbt nicht nur zwei- bis dreitausend ukrainische Bücher pro Jahr (den Gesamtbestand schätzt Wirtz auf 150 000). Sie führt bereits seit 20 Jahren "eine Datenbank mit wissenschaftlich relevanten Internet-Ressourcen". Und dort sind auch rund 1300 ukrainische Webseiten verzeichnet. Also Seiten von Kulturinstitutionen, Museen, elektronische Zeitschriften oder Repositorien, die wissenschaftliche Publikationen auflisten. "Nehmen sie nur die Webseite eines Stadtmuseums. Die hat ja oft ganz viele Informationen zur Geschichte der Stadt. Oder Digitalisate von Ausstellungsobjekten. Es gibt in der Ukraine auch viele archäologische Forschungen und digitale Dokumentationen von Ausgrabungen. Das sind Dinge, die hoch gefährdet sind, weil sie die alte, von Russland unabhängige Geschichte der Ukraine dokumentieren."

Krieg in der Ukraine: Gudrun Wirtz leitet die Osteuropaabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek.

Gudrun Wirtz leitet die Osteuropaabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek.

(Foto: Min-an Wu)

All das könnte durch Angriffe auf Institutionen, Server oder direkt auf Webseiten verloren gehen. Deshalb die Idee, die Seiten nicht nur zu katalogisieren, sondern auch zu archivieren. Nur: Erlaubt ist so etwas in Deutschland nur mit Zustimmung der Urheber. Und so wurde Wirtz hellhörig, als sie auf Twitter den Aufruf von Sebastian Majstorovic vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage in Wien zur Mitarbeit bei SUCHO (www.sucho.org) mitbekam. SUCHO steht für "Save Ukrainian Cultural Heritage Online". Eine Initiative, die Majstorovic zusammen mit zwei amerikanischen Biliothekarinnen gegründet und die mittlerweile mehr als 1300 Bibliothekare, Archivare oder Programmierer als freiwillige Mitarbeiter hat. Gemeinsam haben sie inzwischen mehr als 40 Terrabyte Material von mehr als 4500 Webseiten gesichert. Darunter auch die, die von der Staatsbibliothek katalogisiert wurden.

Auch das Internet Archive und Amazon unterstützen SUCHO

Unterstützt wurde SUCHO dabei vom Internet Archive aus San Francisco. Auch Amazon hat Speicherplatz in seiner Cloud zur Verfügung gestellt. In der Staatsbibliothek waren es neben Gudrun Wirtz sechs Mitarbeiter aus der Osteuropa- und drei Mitarbeiterinnen aus der Digitalisierungsabteilung, die schließlich bei der Kooperation mit SUCHO mithalfen. Ab dieser Woche werden zusätzlich zwei geflüchtete ukrainische Bibliothekarinnen die Osteuropaabteilung unterstützen. Ihre Stellen werden vom Förderverein der Bayerischen Staatsbibliothek finanziert.

Krieg in der Ukraine: Daria Filippova aus Odessa hat dieses Plakat für die Organisation SUCHO gestaltet.

Daria Filippova aus Odessa hat dieses Plakat für die Organisation SUCHO gestaltet.

(Foto: Daria Filippova / SUCHO)

Was mit den Webseiten passiert? Nun, der Idealfall ist: Die meisten bleiben erhalten, und ihre Kopien werden gar nicht gebraucht. Ansonsten wird SUCHO nichts ohne die Zustimmung der Ukrainer damit machen. "Und das gefällt mir auch an dem Projekt", sagt Gudrun Wirtz. Im Moment ist ihre Abteilung übrigens auch dabei, in Kooperation mit der Bibliothek der Uni Berkeley ein Archiv mit weltweiten Webseiten aufzubauen, die sich mit dem Krieg in der Ukraine befassen. Und auch sonst hätten sie noch "Diverses vor". Um die Ukraine zu unterstützen und all das, was ihnen als Bibliothek möglich ist, zu tun.

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