Baustellen:Wie München sein Gesicht verändert

Der Hauptbahnhof in München vor dem Abriss. Er wird bis zum Jahr 2028 neu gebaut.

Die Schalterhalle des Münchner Hauptbahnhofs wird demnächst abgerissen.

(Foto: Robert Haas)
  • In München verändert sich gerade so einiges: Unter anderem wird der Hauptbahnhof teilweise abgerissen. Die 1953 eröffnete Schalterhalle wird am 6. Mai zugesperrt.
  • Kaum wiederzuerkennen ist schon jetzt die einstige Kultfabrik hinter dem Ostbahnhof.
  • Am Heimeranplatz wird zudem gerade ein stadtbildprägendes Hochhaus Stück für Stück abgetragen.

Von Dominik Hutter

Die Zukunft von gestern wirkt verstaubt. Viele Fenster in der metallisch schimmernden Gebäudefront sind blind vor Schmutz, die türkis-grünen Fassadenplatten ausgebleicht. Wirklich gemocht haben die Münchner ihren Hauptbahnhof wohl nie, dazu wirkt der in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gebaute Riegel zu funktional. Aber wer genau hinsieht, kann sie noch ablesen: die damalige Sehnsucht nach der Moderne, die architektonische Aufbruchstimmung. Ein kühn geschwungenes Vordach, wie ein riesiger Nierentisch, markiert den Eingang unterhalb der mächtigen Glasfront. Warum dieses für das erste Nachkriegsjahrzehnt so typische Bauwerk nun plötzlich als "Schwammerl" tituliert wird, weiß kein Mensch - wirklich verbreitet war dieser Spitzname in München nie.

Es ist aber auch egal. Denn der Hauptbahnhof, und das ist ein durchaus gravierender Einschnitt ins Münchner Stadtbild, wird noch in diesem Jahr abgebrochen. Teilweise zumindest. Die 1953 eröffnete Schalterhalle wird am 6. Mai zugesperrt. Einst eilten die Fahrgäste des Orient-Expresses durch diese haushohe Flucht, vorbei am "Aktualitätenkino", das sich im Laufe der Jahrzehnte von einem Ort für die politische Wochenschau zum bekanntesten Porno-Schuppen der Stadt wandelte. In den Seitengängen kann man erkennen, dass der Münchner Hauptbahnhof keineswegs ein so einheitlich geplantes Bauwerk ist, wie man beim Anblick des Empfangsgebäudes vermuten könnte.

450 000 Fahrgäste

nutzen jeden Tag den Münchner Hauptbahnhof. Bald können sie nur noch durch die Seiteneingänge ihre Züge erreichen. Denn das Empfangsgebäude, das jahrzehntelang das Münchner Stadtbild prägte, wird abgerissen. An dessen Standort lässt die Bahn eine riesige Grube ausheben, das Zugangsbauwerk für die zweite S-Bahn-Stammstrecke, der sogenannte Nukleus. Später kommt an die Stelle des heutigen Fünfziger-Jahre-Baus ein futuristischer Neubau, der ebenfalls eine bedeutende Landmarke darstellen wird. Wie lange, weiß jedoch niemand.

Dort sind noch Reste des Vorkriegsbaus erkennbar, pittoresk geformte Fenster etwa. Sie stammen aus der Querhalle des auf den (Maximilianstraßen-)Architekten Friedrich Bürklein zurückgehenden Bahnhofsgebäudes aus Backstein mit seinen Rundbögen und Stilanleihen aus der Romanik und Renaissance. Das, was heute aussieht wie ein Hauptbahnhof aus den Fünfzigerjahren, ist in Wahrheit ein architektonisches Konglomerat, an dem sich Stadtgeschichte ablesen lässt.

Baustellen: Eines der führenden Luxushotels der Stadt, das jahrzehntelang wegen der mit Neonreklame überzogenen Fassade einen weltstädtischen Hauch verströmte, ist nur noch eine Ruine.

Eines der führenden Luxushotels der Stadt, das jahrzehntelang wegen der mit Neonreklame überzogenen Fassade einen weltstädtischen Hauch verströmte, ist nur noch eine Ruine.

(Foto: Stephan Rumpf)

All das wird nun verschwinden, und wer einen Spaziergang durch die Innenstadt macht, kann feststellen, dass gerade viele seit Jahrzehnten vertraute Landmarken im Münchner Stadtbild weichen müssen. Der Königshof etwa mit seiner Bullaugen-Architektur. Auch dieses 1955 fertiggestellte Gebäude in markanter Lage am Stachus kann vermutlich nur wenige Fans seines etwas schlichten Äußeren vorweisen. Jetzt ist durch die teilweise zersplitterten Fenster des oberen Stockwerks der blaue Himmel zu sehen. Eines der führenden Luxushotels der Stadt, das jahrzehntelang wegen der mit Neonreklame überzogenen Fassade einen weltstädtischen Hauch verströmte, ist nur noch eine Ruine. Da muss ein wenig Nostalgie erlaubt sein - auch wenn der (bei Traditionalisten umstrittene) Neubau der spanischen Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano zweifellos ein Gewinn für den ehemals verkehrsreichsten Platz Europas sein wird.

Städte leben von ständiger Erneuerung, auch von architektonischer. Und vermutlich ist die Zahl der Baustellen derzeit nicht exorbitant höher als in anderen Jahren. Aber es ist eben etwas anderes, ob irgendein gesichtsloser Büroklotz durch einen neuen gesichtslosen Büroklotz ersetzt wird oder ob ein so prägendes und riesenhaftes "Stadttor" wie der Hauptbahnhof von der Münchner Bühne verschwindet.

Auch hier gilt: Nichts gegen den geschwungenen gläsernen Neubau der Architekten Auer, Weber und Assoziierte. Aber für viele Münchner gehört eben das alte, grün-silbrige Monster mit seiner (bereits entfernten) Riesenuhr zur eigenen Stadt wie Frauenkirche und Ludwigstraße. Zur eigenen Geschichte. Dort starteten frühmorgens die Sonderzüge einer bekannten Münchner Skischule, als man noch in Massen per Bahn in die Berge aufbrach. Dort trank man schnell einen Espresso im Stehen, in Reminiszenz an den soeben aus der Halle gerollten Nachtzug gen Roma Termini. Via Brenner, Verona und Bologna. Und dort - in einem der armseligen und längst geschlossenen Warteräume - wurde der Tscharlie aus Helmut Dietls "Münchner Geschichten" beklaut. Obwohl er als Cowboy verkleidet war und einen Colt am Gürtel trug. Auf dem langen Weg nach Sacramento.

Werksviertel

Wo heute das Werksviertel ist, befand sich vor dem Hallen-Quartier das Werk des Knödelproduzenten Pfanni.

(Foto: KWiucha; OTEC)

Auch wenn die 1960 fertiggestellte Gleishalle bleibt: Das Gesicht des Bahnhofs, die Vorzeigeseite des sogenannten Empfangsgebäudes, wird bald nur noch als temporärer Stadtzustand auf Fotos existieren. Wie der Königshof. Oder die vertraute Innenausstattung des U-Bahnhofs Sendlinger Tor, der nach Abschluss der auf viele Jahre angelegten Bauarbeiten ganz anders aussehen wird. Auf den Bahnsteigen der U 1/U 2 erinnert schon seit längerem nichts mehr an den betont sachlichen Stil, mit dem 1980 eine ganze U-Bahnlinie ausgestattet wurde, die in einem Sitz auf kompletter Länge zwischen Olympiazentrum und Neuperlach Süd in Betrieb genommen wurde. In der bereits 1972 eröffneten Bahnsteig-Etage von U 3 und U 6 prangt groteskerweise noch eine einzige einsame Säule im hellblauen Kachel-Design, das für die gesamte Station prägend war. Bald wird niemand mehr verstehen, warum das Aids-Memorial oben auf dem Platz so aussieht, wie es aussieht - als an die Oberfläche beförderte Säule eines Alltags-Orts.

München wandelt sich aber auch außerhalb der Altstadt, zum Beispiel an exponierten Stellen wie dem Heimeranplatz hoch oben über der Betonfurt des Mittleren Rings. Dort reißen Bautrupps gerade ein stadtbildprägendes Hochhaus von 1958 ab. Das architektonisch eher schlichte Gebäude, an dem vor langer Zeit eine "Philips"-Werbung prangte, wird gerade Etage für Etage abgetragen. Das dafür benötigte Gerüst muss parallel mitgekürzt werden. Als würde ein Betonklotz einfach im Boden versinken. Die Adresse wird in einigen Jahren völlig anders aussehen als heute: mit einem markanten Hochhaus, dessen Stockwerke leicht verdreht sind. Ein Hingucker.

Die architektonische Aufwertung eines wenig vorzeigbaren Platzes hat begonnen. An das Firmengelände von Philips wird dann ebenso wenig erinnern wie an das des Foto-Riesen Agfa, dessen Hochhaus an der Tegernseer Landstraße vor Jahren bei einer spektakulären Sprengung in sich zusammensank. Stadt im Umbruch. Aktuell fällt das ganz besonders auf. Auch in unmittelbarer Nähe zum Heimeranplatz: An der Trappentreu-/Landsberger Straße wird ein markantes Eckhaus neu gebaut.

Kaum wiederzuerkennen ist schon jetzt die einstige Kultfabrik hinter dem Ostbahnhof, die Nachfolgerin des Kunstparks Ost. Der wiederum das erste große Münchner Club-Ensemble am Flughafen Riem ersetzte, den Schauplatz des letzten Konzerts der Band Nirvana im März 1994. An diesen Flächen lässt sich der beständige Wandel besonders gut ablesen. Wo heute das Werksviertel ist, befand sich vor dem Hallen-Quartier das Werk des Knödelproduzenten Pfanni. Viele Jahrzehnte lang. Die Riemer Messe war einst ein Flughafen. Und das frühere Messegelände auf der Theresienhöhe ist jetzt Museum und Wohnquartier. Ein ewiges Kommen und Gehen. Aber immer noch München.

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