Baumschutz in der Innenstadt:Vorrang für die Kettensäge

Baumschutz in der Innenstadt: Oft fallen Bäume im Zuge von Umbauarbeiten. Was bleibt, ist Schutt.

Oft fallen Bäume im Zuge von Umbauarbeiten. Was bleibt, ist Schutt.

(Foto: Privat)

Jedes Jahr verliert München unterm Strich 2000 größere Bäume. Gerade in dicht besiedelten Vierteln wie der Maxvorstadt kämpfen Naturschützer um jedes einzelne Gehölz. Doch sie scheitern oft an Rendite-Erwartungen und an den Wohnungsbau-Zielen.

Von Jonas Wagner

Jahrzehntelang stand an der Adalbertstraße 55 in der Maxvorstadt ein stattlicher Ahornbaum. Anfang Oktober wurde er gefällt. "Ich bin darüber immer noch fassungslos", sagt Sabine Meier. Sie lebt in einer der Wohnungen in dem gelben Haus. Sie heißt in Wirklichkeit anders, doch fürchtet die Mieterin Konsequenzen. Fast 100 Jahre alt sei der Ahorn gewesen, berichtet sie, seine Fällung habe das Straßenbild verändert. "Das Entsetzen auf der ganzen Adalbertstraße ist groß."

Der Ahorn ist einer von mehr als 8500 Bäumen in München, für die im vergangenen Jahr eine Fällgenehmigung erteilt wurde. Zwar wurden 2021 auf privatem und öffentlichem Grund insgesamt auch mehr als 7100 neue Bäume genehmigt oder schon gepflanzt - rechnerisch gingen dennoch mehr als 1400 Bäume verloren. "Wenn man sich die Zahlen der letzten Jahre anschaut, haben wir pro Jahr circa 2000 Bäume weniger", kritisiert Angela Burkhardt-Keller, Baumschutz-Expertin beim Bund Naturschutz (BN). "Damit haben wir ein stetiges Verschwinden von Bäumen in der Stadt."

Dass diese Zahlen erfasst werden, hat mit der Münchner Baumschutzverordnung zu tun: Wer einen Baum fällen will, dessen Stammumfang in einem Meter Höhe mindestens 80 Zentimeter beträgt, braucht eine Genehmigung. Ausgenommen davon sind Hecken und einige Obstgehölze.

Die Verordnung legt auch fest, dass ein Ersatzbaum gepflanzt werden muss. Ist dafür kein Platz auf dem Grundstück, wird in der Regel eine Ausgleichszahlung von 750 Euro verlangt, die in die Pflanzung von Bäumen im öffentlichen Raum fließt.

Für Bauherren seien das "Peanuts", findet Burkhardt-Keller - und kein Grund, im Gegenzug für den Erhalt vieler Gehölze auf Nachverdichtungen zu verzichten. "Grund und Boden in München ist einfach wahnsinnig teuer - und damit wahnsinnig wertvoll."

Baumschutz in der Innenstadt: Einst ein Prachtbaum: Der Ahorn - hier als Torso während der Fällung - existiert nicht mehr.

Einst ein Prachtbaum: Der Ahorn - hier als Torso während der Fällung - existiert nicht mehr.

(Foto: Privat)

Auch der Ahorn an der Adalbertstraße wurde nicht gefällt, weil er krank war. Die Fällgenehmigung sei "für die Kellersanierung mit Außendämmung" erteilt worden, erklärt Ingo Trömer, Sprecher des Planungsreferats, zu dem die Baumschutzbehörde gehört. Dabei hatte sich der Bezirksausschuss Maxvorstadt im April noch einstimmig gegen die Fällung ausgesprochen. Statt von außen solle die Kellerwand von innen saniert werden, forderte das Gremium.

Ob der Kellerumbau eine Genehmigung gebraucht hätte, wird geprüft

"Die Kellerwand wurde gar nicht angefasst", sagt Anwohnerin Sabine Meier. Stattdessen seien die Fenster vergrößert und Lichthöfe gelegt worden. Meier vermutet, der Keller solle zu teurem Wohnraum umgebaut werden. "Der Baum ist unter anderen Antragsgründen gefällt worden", mutmaßt sie. Ob es sich bei dem Kellerumbau um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handle, prüfe die Lokalbaukommission derzeit, sagt Referatssprecher Trömer. Der Eigentümer hat auf SZ-Anfrage nicht geantwortet.

Gerade in dicht bebauten Stadtteilen wie der Maxvorstadt konkurrieren Wohnraum, Gewerbe und Sportstätten um die wenigen freien Flächen. "Es gibt somit nicht genügend Baumstandorte für Ersatzpflanzungen", erklärt Trömer. Deshalb möchte die Stadtverwaltung neue Baumstandorte schaffen, etwa mit der "Grenzbauminitiative": Pflanzen Nachbarn einen Baum auf ihre gemeinsame Grundstücksgrenze, zahlt die Stadt einen Großteil der Kosten.

Zudem sollen nach dem Willen des Planungsausschusses im Stadtrat künftig alle Ersatzpflanzungen für gefällte Bäume überprüft werden. Dafür will der Ausschuss neue Stellen schaffen, denn bislang schaffen es die drei dafür eingesetzten Mitarbeiter lediglich, 60 Prozent der Ersatzbäume an Ort und Stelle zu kontrollieren.

"Bäume sind der Klimafaktor für unser städtisches Wohnumfeld", sagt Angela Burkhardt-Keller vom BN. Sie spenden Schatten, sie kühlen und schaffen Versickerungsflächen. Je größer der Baum, desto größer diese Effekte. Deshalb fordert Burkhardt-Keller nicht nur, die Baumschutzverordnung auf kleinere Bäume und Obstbäume auszuweiten und die Ausgleichszahlungen zu erhöhen. Sondern auch, große und alte Bäume zu erhalten.

Wie dem Ahorn in der Adalbertstraße dürfte es indes in den kommenden Monaten weiteren Bäumen in der Stadt ergehen - denn derzeit ist Fäll-Saison. Viele Gehölze dürfen nicht im Frühling und Sommer gefällt werden, um brütende und nistende Vögel nicht zu stören. Deshalb rücken die Baumarbeiter mit ihren Kettensägen besonders häufig zwischen Oktober und März an.

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