„Gerade wurden bei uns alle Keller überflutet, die keine Weiße Wanne haben, und die wollen in unser Viertel auch noch Hochhäuser reinbauen. Das kann doch nicht sein.“ Der Mann aus Feldmoching mustert eine Stellwand und ist erkennbar verärgert. In der Mehrzweckhalle an der Georg-Zech-Allee zeigt ein Plakat den Grundwasserstand in seiner Wohngegend. „Das Versickern von Niederschlägen“, ist da zu lesen, sei in der Gegend „teilweise erschwert oder wird durch das hoch anstehende Grundwasser ganz verhindert“. Daher müsse „untersucht werden, ob neue Tiefgeschosse das Grundwasser aufstauen“.
Die Stadt will im Münchner Norden eventuell neue Siedlungen schaffen. Quartiere mit Wohnbebauung, Arbeitsplätzen, Schulen sowie Grün- und Freiräumen – „identitätsstiftende Orte“, wie Torsten Brune vom Planungsreferat rund 200 Bürgern und Bürgerinnen aus Feldmoching, der Fasanerie und Ludwigsfeld an dem Abend erklärt. Überzeugungsarbeit ist gefragt, ist doch die Wasserproblematik nicht der einzige Kritikpunkt, der bei dem Infotermin zur Sprache kommt. In sogenannten Wunschsprechblasen fordern Anwohner auch, „kein zweites Freiham“ zu bauen, „viel Natur zu erhalten“ und „die Bauern nicht billig abzuspeisen“.
Die Fläche, die für diese seit Jahren umstrittene städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) infrage kommen könnte, ist bereits ausgemacht: ein 900 Hektar großes Areal in Feldmoching-Ludwigsfeld. Ein Gebiet, so groß wie Schwabing-West und die Maxvorstadt zusammen. Es wird derzeit im Wesentlichen landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzt. Das Bündnis München-Nord, ein Zusammenschluss aus mehreren Bürgerinitiativen und Vereinen, der sich gegen eine zu dichte Bebauung in Feldmoching einsetzt, nennt den Bereich die „Getreidekammer Münchens“.
Beliebtes Erholungsgebiet mit Grüngürtel und Seen
Zugleich ist die Ecke ein beliebtes Erholungsgebiet mit Grüngürtel und Seen. Noch ist offen, ob dort frühestens von 2035 an tatsächlich gebaut wird, wie viel und innerhalb welcher Zonen. Bislang ist nichts in trockenen Tüchern – zumal sich viele Anwohner und Bauern gegen das städtische Vorhaben wehren.
Erste Vorschläge, basierend auf Gutachten, existieren mittlerweile aber schon. In der Präsentation, die der Öffentlichkeit an dem Abend erstmals vorgestellt wird, sind auf dem Luftbild zum Plangebiet Ellipsen eingezeichnet. Sechs an der Zahl, die insgesamt lediglich ein Viertel des Gesamtareals ausmachen. Sie zeigen die Bereiche, in denen Wohnbebauung aus Sicht der Planer theoretisch möglich wäre. Die Stadtplaner nennen die Flächen Fasanerie-Nord, Feldmoching-West, Feldmoching-Nord, Feldmoching-Nordwest, Östlich Siedlung Ludwigsfeld und Östlich Schrederwiesen.
Jeder dieser Teilräume birgt unterschiedliche Potenziale und Herausforderungen, etwa in Bezug auf klimatische Besonderheiten, Fragen des Lärms oder der Nähe zu Naherholungsgebieten. Auch wie viele Quadratmeter im Eigentum der Kommune sind, ist von Belang. Unklar bleibt, wie viele Menschen dort zuziehen könnten. „Die geringsten Einschränkungen“, sagt Stadtplaner Brune, „gibt es in Feldmoching-Nord, die meisten östlich der Schrederwiesen“.
Dazwischen befinden sich Frischluftschneisen, die Parkmeile Feldmoching-Hasenbergl oder das Landschaftsschutzgebiet Schwarzhölzl, die einer Siedlungsentwicklung entgegenstehen. Freigehalten werden sollen zudem die Grünverbindungen zwischen dem Feldmochinger See und dem Fasaneriesee sowie der Feldmochinger Anger.
Was möglich ist, hängt zudem wesentlich von der Verkehrsanbindung ab. „Dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird, ist Grundvoraussetzung für eine Siedlungsentwicklung“, betont Brune. Fünf Planungsskizzen wurden bereits erstellt. Eine Idee könnte sein, die U2 ab Feldmoching ebenso wie die U1 ab Olympia-Einkaufszentrum bis nach Dachau zu verlängern – mit Haltepunkten in der einen oder anderen eventuell neu entstehenden Siedlung. Neue Tramverbindungen sind ebenfalls eine Überlegung. Die Verlängerung der Straßenbahnlinie 20 von Moosach über Karlsfeld bis nach Dachau etwa. Oder die Realisierung der sogenannten Tram Y-Nord, die vom Hauptbahnhof in den Norden zum Petuelring fahren soll, um sich dort ins Planungsgebiet Lerchenauer Straße mit Verlängerungsoption in den Raum Feldmoching und in Richtung Am Hart zu verzweigen.
In Stein gemeißelt ist bisher nichts, im Gegenteil: Statt eines klassischen Architekturwettbewerbs soll es bei diesem Vorhaben erstmals eine Ideenwerkstatt geben. Fünf interdisziplinär zusammengesetzte Planungsteams erarbeiten im Herbst von 19. bis 23. November auf Grundlage der Fachgutachten eine Woche lang Visionen für die künftige Entwicklung im Münchner Norden. Sie tauschen sich aus, beraten gemeinsam Umsetzungsvarianten ihrer Entwürfe.
Zielzahlen für Wohnungsbau werden „bewusst“ nicht vorgegeben
Dabei geht es um Konzepte für die Siedlungsstruktur und um Vorschläge zur baulichen Dichte, nicht um die Darstellung von Baukörpern. „Zielzahlen für den Wohnungsbau werden bewusst nicht vorgegeben“, sagt Brune. Eingeladen dazu sind ausdrücklich auch Grundstückseigentümer und Pächter, Vereine, Gruppierungen, Nachbarn – alle, die das Thema interessiert. Die Stadtplaner sprechen deshalb von einer „gläsernen Werkstatt“ mit einer offenen und kreativen Arbeitsatmosphäre, in der Entwurfsprozesse sicht- und erlebbar werden sollen.
Geplant ist die Werkstatt im Kulturzentrum Fat Cat, dem ehemaligen Gasteig. Die Bewohner fordern aber, sämtliche Treffen wohnortnah im 24. Stadtbezirk abzuhalten, beispielsweise in der Willy-Brandt-Gesamtschule. Der Ideenwerkstatt vorgeschaltet sind diverse Informations-, Dialog- und Beteiligungsangebote für Bürgerinnen und Bürger. Einfließen sollen alle Inputs in eine Machbarkeitsstudie. Was dann tatsächlich umgesetzt wird, entscheidet der Stadtrat – voraussichtlich 2027.
Was aber, wenn die Grundeigentümer ihr Land gar nicht für eine Siedlungsentwicklung hergeben? Denn der Kommune gehören in dem Gebiet bislang nur wenige Grundstücke. Dieser Frage einer Anwohnerin versuchen die CSU-Stadträte Alexander Reissl und Heike Kainz mit einem Antrag zu begegnen. Statt einer Ideenwerkstatt plädieren sie für den klassischen Weg einer Bauleitplanung.