Süddeutsche Zeitung

Inklusion im Konzertleben:Von wegen barrierefrei feiern

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Zwar soll es etwa beim Tollwood neben behindertengerechten Toiletten auch Rampen und abgesenkte Tresen geben. Doch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen bleibt die Teilhabe am Konzert- und Partyleben noch immer schwierig.

Von Dirk Wagner, München

"Wir müssen aufpassen, dass wir am Ende nicht von der Feuerpolizei regiert werden", hatte der Behindertenbeauftragte der Landeshauptstadt München schon vor Jahren gewarnt. Immer wieder seien es nämlich feuerpolizeiliche Auflagen, mit denen Bemühungen um eine Inklusion erschwert werden. So müssen zum Beispiel einige Bierbänke auf dem Tollwood-Festival am Boden festgeschraubt werden, damit sie nicht in den Fluchtweg verrückt werden können, sagt Johann Labermeier, der technische Leiter vom Tollwood. Für den Münchner Behindertenbeauftragten Oswald Utz, der selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist, bedeutet das aber, dass er sich mit seinem Rollstuhl nicht an den Tisch setzen kann, weil dort bereits unverrückbar eine andere Sitzgelegenheit steht. Ferner stehe aus Sicherheitsgründen für Menschen mit Behinderungen nur ein begrenztes Platzangebot für die Konzerte auf dem Tollwood zur Verfügung, sagt dessen Pressesprecherin Stefanie Kneer. Wobei solche Regelungen freilich nicht nur auf Tollwood gelten.

Seit im Januar 1973 Deep Purple das erste Konzert in der Olympiahalle gegeben hatten, haben sich Rollstuhlfahrer damit abfinden müssen, dass sie den dortigen Veranstaltungen quasi in einer anderen Zeitzone beiwohnen. Ganz weit oben sind nämlich die verhältnismäßig wenigen Rollstuhlplätze verortet, von denen aus man auf das eigentliche Konzertgeschehen schaut. Obwohl sogar Lastwagen in die Arena der Olympiahalle fahren können, um die wechselnden Bühnen dorthin zu transportieren, gibt es für Rollstuhlfahrer auch im 50. Jahr der städtisch betriebenen Olympiahalle noch immer keine Möglichkeit, in die Arena zu gelangen. Dabei fänden bestimmt auch sie Gefallen daran, das Bühnengeschehen gegen einen entsprechenden Aufpreis aus einer der vorderen Reihen direkt vor der Bühne zu beäugen. Dass dafür immer noch keine Möglichkeiten geschaffen wurden, unterstreicht einmal mehr, dass Menschen mit Behinderungen in den Veranstaltungsplanungen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Wo die Plätze für Rollstuhlfahrer sind, kann auch ein Zeichen dafür sein, wie viel der Gesellschaft Inklusion bedeutet

Wobei viele Veranstalter und Clubbetreiber gar nichts dafür können, dass die von ihnen genutzten Räume nicht barrierefrei sind. Die steile Treppe, die in eine Kellerbar führt, wurde ja nicht extra zur Ausgrenzung von Rollstuhlfahrern gebaut. Und auch eine behindertengerechte Toilette samt Personenlifter und Pflegetisch ist letztlich eine Platzfrage, an der kleinere Clubs aus nachvollziehbaren Gründen scheitern. Wenn aber selbst die große und regelmäßig bespielte Olympiahalle Rollstuhlfahrer noch immer als Randgruppe am obersten Rand des Geschehens belässt, kann das ein Zeichen dafür sein, wie wenig der Gesellschaft die von ihr selbst propagierte und gesetzlich sogar geforderte Inklusion tatsächlich wert ist. Wobei Rollstuhlfahrer hier immerhin noch als Menschen mit Behinderungen wahrgenommen werden. Gehörlose werden dagegen für gewöhnlich nicht von einem Gebärdendolmetscher ins Konzerterleben begleitet. Und als die kleinwüchsige Itje Kleinert von der Initiative Barrierefrei Feiern einmal mit der ihr zugestandenen Behindertenkarte die Olympiahalle besuchte, musste sie erfahren, dass man sie mit einer Rollstuhlfahrerin gleichgesetzt hatte. Entsprechend war für sie kein eigener Sitzplatz vorgesehen.

Als jüngst im Feierwerk auf dem Fachtag Awareness & Diversity diskutiert wurde, wie man das Kultur- und Nachtleben sicherer gestalten könnte, erzählte Itje Kleinert von jenem Konzerterlebnis. Damit verdeutlichte sie einmal mehr, wie weit Bayern noch von jener Barrierefreiheit entfernt ist, die der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer 2013 für den gesamten öffentlichen Raum ab 2023 versprochen hatte. Tatsächlich besteht nicht einmal ein kollektives Bewusstsein dafür, welche Barrieren es überhaupt gibt. Zumal Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen natürlich auch unterschiedliche Bedürfnisse haben. Pointiert machte Kleinert darum auf dem Fachtag Awareness & Diversity darauf aufmerksam, was es zum Beispiel für einen blinden Menschen bedeutet, wenn zugunsten der Rollstuhlfahrer alle Gehsteige abgeflacht würden. Prompt fehle dem Blinden die Kante als Orientierungsmöglichkeit.

Durch Rampen und abgesenkte Tresen werden Gastrostände auch für Rollstuhlfahrer zugänglich

Immerhin würden mittlerweile sehr viele Veranstalter und Gastronomen das Angebot der vor einem Jahr von der Initiative Barrierefrei Feiern gegründeten Berateragentur Wir Kümmern Uns nutzen. Hier erklären Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache, wie Räume und Veranstaltungen inklusiver gestaltet werden können. Dazu gehören auch behindertengerechte Toiletten, wie es sie auf dem Tollwood-Fest gibt. Sogar an einen Wickeltisch und einen Kran hat man dort gedacht. Zudem sind dort Rampen und abgesenkte Tresen versprochen, die die Gastrostände auch Rollstuhlfahrern zugänglich machen.

Wie schwierig es vor allem für kleinwüchsige Menschen, aber auch für Rollstuhlfahrer sein kann, die oft zu hoch gehängten Tafeln auf dem Tollwood zu lesen, wäre eine weitere oft übersehene Barriere. Und natürlich könnte man überlegen, wie Rollstuhlfahrer näher an der Bühne des Konzertzeltes platziert werden können. Ein seitlich aufgestellter Podest ermöglicht Rollstuhlfahrern dort nämlich nur einen, wenngleich guten, aber dennoch fernen Blick zur Bühne. Immerhin ist man hier noch nicht auf die Idee gekommen, zwischen dem Podest und der eigentlichen Bühne eine zweite Bühne für eine weitere Showeinlage aufzubauen. Als Menschen mit Behinderungen nämlich das Konzert von Rammstein im Stadion miterleben wollten, verhinderte laut Itje Kleinert eine solche zweite Bühne deren Blick auf die Hauptbühne.

Für den Behindertenbeauftragten Oswald Utz scheitert der Konzertgenuss indes schon an der Unmöglichkeit, Eintrittskarten für Menschen mit Behinderungen ganz normal an den gängigen Vorverkaufsstellen im Internet zu kaufen. "Vom reinen Online-Verkauf sind Tickets für Menschen mit Behinderung ausgenommen, da für ihren Erwerb die Vorlage eines Berechtigten-Ausweises erforderlich ist", erklärt dagegen Stefanie Kneer, die Pressesprecherin von Tollwood. Im Online-Verkauf bestünde die Möglichkeit, dass auch andere Interessierte ohne Berechtigung diese Tickets erwerben. Doch dem widerspricht der Behindertenbeauftragte: "Ich habe nach etlichen Versuchen jemanden telefonisch erreicht. Sodann bekam ich eine Mail, in der stand, wohin ich das Geld überweisen soll. Dabei musste ich meine Anschrift hinterlassen, dann habe ich meine Karten bekommen. Meinen Behindertenausweis habe ich niemanden gezeigt." Davon abgesehen fehlen ihm aber auch weitere Informationen auf der Webseite von Tollwood: "Darf meine Begleitperson bei mir sitzen oder stehen? Ich bin ein soziales Wesen und möchte das Konzert gemeinsam erleben. Darf ich während des Konzertes meinen Platz verlassen? Und wieso braucht es noch immer zugewiesene Rollstuhlplätze?", fragt Oswald Utz. Das sei, sagt Johann Labermeier von Tollwood, eben eine der feuerpolizeilichen Auflagen.

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