BenefizaktionEin Handwerk, das ein Lächeln ins Gesicht zaubert

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Chrissy Eberle, Leiterin des Barber-Angels-Chapters Allgäu-Bayern, und zehn weitere Barber Angels haben Bedürftigen und Obdachlosen im Münchner Nußbaumpark kostenlos Haare und Bart geschnitten.
Chrissy Eberle, Leiterin des Barber-Angels-Chapters Allgäu-Bayern, und zehn weitere Barber Angels haben Bedürftigen und Obdachlosen im Münchner Nußbaumpark kostenlos Haare und Bart geschnitten. (Foto: Robert Haas)

Im Nußbaumpark schneiden elf Friseure und Friseurinnen der Barber Angels  obdachlosen und bedürftigen Menschen kostenlos die Haare. Den Kunden gibt das weit mehr als nur ein neues Aussehen.

Von Tom Soyer

Statt rotem Teppich passiert Erhan ein rotweißes Flatterband, statt Kaviar-Häppchen gibt es Leberkässemmeln oder gelbe Rüben, statt Prinzregententheater und Haute-Volée geht es um den Nußbaumpark und um Obdachlose und Bedürftige: ein sehr lebendiger Sonntagnachmittag in München. Anders als bei Film- und sonstigen -festen geht es hier mal weniger um Würdigung derer, mit denen es das Schicksal gut meint, sondern sehr intensiv um die Würde derer, die es nicht so einfach haben. Wie Erhan, der gerne wieder eine eigene Wohnung hätte.

Als einer von elf Friseurinnen und Friseuren der „Barber Angels“ schneidet ihm Henrik Aschenbrenner gerade die Haare zu einem blitzsauberen Scheitel und trimmt ihm den Bart. Kostenlos, weil es Ziel der gemeinsamen Aktion der „Barber Angels“ mit dem Obdachlosen-Hilfeverein „Aktion Brücke“ ist, Menschen Gutes zu tun, denen so etwas nicht oft widerfährt. Seit 2016 gibt es die „Barber Angels“ in Deutschland als Verein, seit 2017 ist Aschenbrenner dabei. „Also quasi von der zweiten Minute an“, scherzt der gutgelaunte Friseurmeister, der in Neustadt an der Donau und in Pförring zwei Läden mit zwölf Mitarbeitern führt.

Er ist Vize-Landeschef der Angels, die in einer Art sanft abgewandelter Motorradkutte zu ihren Benefiz-Aktionen antreten, um die Schwelle zur Gratiskundschaft niedrig zu halten. „Optio“ steht bei Aschenbrenner auch noch auf der Lederweste, bei Barber-Angels-Bayernchef Uwe Pichl gar „Zenturio“ - das seien bei Asterix entliehene Rangbezeichnungen, wie bei der römischen Legion, erklärt Aschenbrenner, und spricht begeistert von solchen Aktionen für Bedürftige. „Ich habe das Glück, wo geboren zu sein, wo's mir gut geht, und ein Handwerk erlernt zu haben, mit dem man ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann.“

Exakt mit diesem Lächeln enden die Gratis-Haarschnitte heute: Der Meister hat zwischendrin schon gemerkt, dass es Erhan taugt. „Du bist so chillig, du schlafst glei ei, oder?“ Beim Blick in den Spiegel reckt sich Erhan dann: „Ach, ich fühl mich so wohl!“ Dass es um mehr als nur einen Haarschnitt geht, sagt der 49-jährige Erhan deutlich. Er lebt in Neuperlach, das Leben in München sei „härter geworden“, sagt er - und zieht auch frisches Selbstbewusstsein aus dem kostenlosen Nußbaumpark-Salon. Er liege im Clinch mit den Behörden, sagt er, sie zahlten ihm kein Bürgergeld. Aber nun fühle er sich persönlich bereit, gleich am Montag zur Clearingstelle der Stadt München zu gehen. Gepflegt, mit Top-Frisur und neuer Zuversicht. Und wenn jene Hürde genommen sei, dann werde es vielleicht auch wieder was mit einer eigenen Wohnung.

Erhan lebt in München-Neuperlach. Er hat sich bei Friseurmeister Henrik Aschenbrenner auf den Stuhl im Nußbaumpark gesetzt ...
Erhan lebt in München-Neuperlach. Er hat sich bei Friseurmeister Henrik Aschenbrenner auf den Stuhl im Nußbaumpark gesetzt ... (Foto: Robert Haas)
... und war vom coolen Seitenscheitel so begeistert, dass er nun auch seinen Streit ums Bürgergeld bei der Münchner Clearingstelle angehen möchte. Gleich am Montag. Mit gepflegter Frisur.
... und war vom coolen Seitenscheitel so begeistert, dass er nun auch seinen Streit ums Bürgergeld bei der Münchner Clearingstelle angehen möchte. Gleich am Montag. Mit gepflegter Frisur. (Foto: Robert Haas)

Wie Erhan hat auch der 55 Jahre alte Christian, der an der Münchner Freiheit auf der „Platte“ lebt, über den Hilfsverein „Aktion Brücke“ von der Aktion der Barber-Angels erfahren. Auch er will seinen Nachnamen lieber nicht nennen, die Familie braucht nicht zu wissen, dass er seit März wieder so obdachlos sei, wie er das früher schon jahrelang war. Die „Aktion Brücke“ verteilt jeden Sonntag an sechs verschiedenen Orten in der Stadt Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung und Tiernahrung an Bedürftige in der Stadt und ist für die rund 100 Menschen, die sich heute im Nussbaumpark um einen Haarschnitt anstellen, von überlebenswichtiger Bedeutung. Wobei sich die „Aktion Brücke“ rein durch Spenden und Ehrenamt trägt, mit Sitz in Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck), und ganz ohne jede Unterstützung der Stadt München.

Auch die 25-jährige Jessica ist mit ihrer Mutter in den Park neben der Matthäuskirche gekommen. Sie lässt sich die Haare radikal kurz schneiden von Gabi Segenschmid aus Grasbrunn-Neukeferloh. Jessica lebe vorübergehend bei ihrer Mutter und sei gerade in Wiedereingliederung in ihre Ausbildung als Beiköchin in einem Altenheim. Da sei es beim Spülen wie beim Kochen immer heiß, da passe der Kurzhaarschnitt. Auch sie ist den Barber-Angels richtig dankbar für die Seelenmassage mit Schere und Haargel: Sie habe am Dienstag ein Gespräch, bei dem es um einen Platz in einer therapeutischen Wohneinrichtung geht, also den Schritt zu selbständigem Wohnen. Die neue Frisur sei dafür „sehr erfrischend - momentan geht's voran“.

Auch für die 25-jährige Jessica aus München bietet die Aktion der Barber Angels nicht nur einen neuen Haarschnitt ...
Auch für die 25-jährige Jessica aus München bietet die Aktion der Barber Angels nicht nur einen neuen Haarschnitt ... (Foto: Robert Haas)
... sondern den hochwillkommenen Aufbruch in ein besser geregeltes Leben. Sie geht mit neuer Frisur gestärkt und „erfrischt“ in die Bewerbung um einen eigenständigen Wohnplatz.
... sondern den hochwillkommenen Aufbruch in ein besser geregeltes Leben. Sie geht mit neuer Frisur gestärkt und „erfrischt“ in die Bewerbung um einen eigenständigen Wohnplatz. (Foto: Robert Haas)

Gabi Segenschmid ist das zweite Mal dabei, auf ihrem T-Shirt steht deshalb auch „Gastengel“. Nach dem dritten Einsatz für die Barber-Angels kann sie selbst „Apostel“ werden. Das ist nicht von Asterix entlehnt, erschließt sich aber recht leicht hier im Nußbaumpark, innerhalb des rotweißen Flatterbandes: Das sind die aktiven Friseurinnen und Friseure, die in schwarzer Kutte immer wieder auf den Glücksmoment hinarbeiten, ihren Gästen den Spiegel vorzuhalten und sie lächeln zu sehen. Elf Friseure schneiden an diesem Sonntag drei Stunden lang Haare, Bärte, sie trimmen die Augenbrauen, sie ratschen mit den Menschen vor ihnen.

Also eine tolle Aktion, finden Zenturio Uwe Pichl aus Neutraubling und seine Partnerin Andrea Debernitz, der er vor einigen Jahren das Handwerk beibrachte, als sie ihres Bürojobs überdrüssig war. Aber: Die Zwei kommen ebenso wie die anderen Freiwilligen teils von weiter her in Bayern: Allershausen, Schwabach, Rottal/Inn, Simbach am Inn, Oberallgäu, Abensberg, Roth ... und nur ein Gastengel aus dem Landkreis München. „Die Friseurdichte in München ist höher als in jeder anderen Stadt“, sagt Uwe Pichl, „aber aus München ist kein Friseur dabei!“ Da sei für die Zukunft noch Luft nach oben.

Die Schlange am Einlass zu den Picknickplätzen, die heute zu Friseurstühlen umfunktioniert werden, ist auch um 14.30 Uhr immer noch ziemlich lang. „Gäste haben wir genügend - Friseure können wir noch gebrauchen“, resümiert der Zenturio. Und packt seine Münchner Zunftkolleginnen und -kollegen ein bisschen bei der Ehre. Es würde Würde und dankbarstes Lächeln einbringen.

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