Beginnen wir mit einer guten Nachricht: Natürlich ist es bedrückend, dass bedingt durch die Corona-Pandemie so wenige Konzerte stattfinden können. Aber junge Musikerinnen und Musiker in München lassen sich nicht davon abhalten, im Stillen an ihrem Sound weiterzuarbeiten. Die junge Musik-Szene in München ist auch weiterhin extrem lebendig - man muss die Bands nur finden. Das hat sich auch bei der Wahl zur Band des Jahres der SZ-Junge-Leute-Redaktion gezeigt, die wie schon im vergangenen Jahr online stattfinden musste. Zehn Bands beziehungsweise Solokünstlerinnen sind zur Auswahl gestanden - alle hochtalentiert, wie die Jury fand, alle mit großem Potenzial, die meisten an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrer musikalischen Entwicklung, was die Entscheidung nicht einfacher gemacht hat. Am Ende hat sich die Jury für einen Rapper entschieden: AdyB.
Doch der Reihe nach: Im Vorfeld hat sich die Junge-Leute-Redaktion auf zehn Bands geeinigt. Vier davon sollten per Online-Voting ins Finale einziehen. Wegen einer größeren Zahl an Fake-Likes hat die Jury stattdessen alle zehn bewertet. Die Jury bestand aus den Münchner Musikerinnen Laura Glauber ( Lauraine , Band des Jahres 2020), Seda Yagci ( Seda), Alessa Patzer von der Fachstelle Pop vom Feierwerk sowie Clara Löffler und Michael Bremmer von der SZ.
Newsletter abonnieren:München heute
Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.
Alle Jurorinnen und Juroren sollten sich im Vorfeld auf drei Favoriten festlegen - schon das eine schwierige Entscheidung, wie immer wieder bei der Video-Jurysitzung erklärt wurde. Das Ergebnis? Zunächst einmal, dass acht der zehn Bands von mindestens einem der Jurymitglieder im Finale gesehen wurden. Hier wurde noch einmal deutlich, für was die Wahl zur Band des Jahres eigentlich steht: Die Vielfalt der Münchner Musikszene abzubilden und jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne, eine Plattform zu bieten, um gesehen und entdeckt werden zu können. Die insgesamt größte Entdeckung für die Jury und damit auch Band des Jahres: der Rapper AdyB. "Das hat was von Mac Miller. Wow. Einfach, wenn ich das so sagen darf, sick", sagt Jurorin Laura Glauber, Frontfrau der Band Lauraine . Sie bot gleich mal ein Feature mit ihm an. Auch Seda könnte sich eine Zusammenarbeit mit AdyB vorstellen.
Es ist das Gesamtpaket, das bei Adrian But, wie der 23-jährige Rapper bürgerlich heißt, überzeugt. Die Wortgewandtheit des Songwritings, die Themen, die er darin verhandelt und die in großen Teilen weit entfernt sind von dem, was in Rap-Texten sonst angesprochen wird. Wenn Adrian über seine Kindheit, die eigene Geschichte rappt, romantisiert oder glorifiziert er weder die erlebte Armut noch die Gewalt. Seine Songs sind viel eher akkurate Analysen. Analysen von sich selbst, von anderen Individuen und von der Gesellschaft. Und wenn jemand dies in einer solchen Genauigkeit auch noch in Songs packen kann, dann ist er wahrscheinlich ein ebenso guter Beobachter wie Texter.
Neben Adrians Songwriting konnten aber auch die Produktion der Songs, die Beats und die musikalische Vielfalt innerhalb der Veröffentlichungen punkten. AdyB ist damit ein außergewöhnliches Rap-Talent, das man so nicht unbedingt in München erwartet.
Aber es ist eine knappe Entscheidung gewesen. Deswegen wurde natürlich nicht nur AdyB gelobt. Auch in der Musik von Siamese Twin, der im Ranking mit nur einem Punkt Abstand hinter AdyB Platz zwei belegte, sah die Jury etwas, das in München eher selten zu hören ist. Shoegaziger (Synthie)-Wave. Ein Sound, der mit seiner The Cure-Attitude gerade einen Nerv zu treffen scheint. Die Songs von Siamese Twin wirken dabei wie Soundcollagen. Nicht wahllos zusammengebastelt, sondern mit einem guten Gespür für das große Ganze, übertragen in eine professionelle, aber nicht langweilige DIY-Ästhetik.
Es sind unter anderem die Gegensätze, die diesen Musiker und seine Musik besonders machen. "Die Musik von Siamese Twin zu hören ist, als würde man sein Tagebuch lesen. Das alles ist sehr gefühlvoll, intim und tief. Aber eben auch tanzbar", bewertet Alessa Patzer von der Fachstelle Pop die Musik des 21-Jährigen. "Irgendwie musste ich mich ja auf drei Favoritinnen und Favoriten festlegen, aber eigentlich hätte ich sechs Bands gehabt, die für mich ins Finale gemusst hätten."
Für Seda sei es schwer gewesen, Musikerinnen, die auf teils sehr unterschiedlichen Levels agieren, zu bewerten. Um zum einen der Jury die Wahl zu erleichtern, aber auch, um die Wahl insgesamt transparent zu machen, gab es deswegen drei Kriterien, nach der die Musikerinnen und Musiker beurteilt wurden. Deren Potenzial, das Songwriting, sowie die künstlerische Eigenständigkeit. "Stimmige Ästhetik, die auf ironische Weise mit einer trashigen Hiphop-Stilistik spielt und Ohrwurmpotential", so bewertete Clara Löffler von der Junge-Leute-Redaktion die Musik von Not A Rappe r. Es ist Musik, die ausgesprochen professionell klingt - vom Songwriting über das Producing bis hin zur glasklaren Stimme von Rafaela Bucher. Vergleichen lässt sich die Musik vielleicht am ehesten mit dem österreichischen Pop-Duo Leyya, hat trotzdem etwas ganz Eigenes. Das liegt zum einen an der bereits erwähnten Stimme Rafaelas, die in Zusammenspiel mit dem Producing eine eingängige, catchy Harmonie innerhalb der Songs erzeugt. Es liegt aber auch daran, dass jeder Track mit Elementen überrascht, die das Zuhören immer zu einem spannenden Erlebnis machen. Am Ende landet Not A Rapper auf dem dritten Platz.
Platz vier belegt die 19-jährige Malva. Bei ihr sieht die Jury das größte Potenzial, denn sie steht momentan mit ihrer Musik noch ganz am Anfang. "Zwar gibt es von ihr noch nicht so viel Eigenes zu hören, doch habe ich selten eine Künstlerin erlebt, die mich beim ersten Hören so begeistert hat", erklärt SZ-Redakteur Michael Bremmer. Getragen wird diese Musik von Malvas samtig-kraftvoller Stimme, begleitet meist von der Gitarre. Vor allem in der Pandemie hatte Malva mehr Zeit für die Musik und so soll bald auch die erste EP erscheinen. Auftreten konnte sie noch nicht. Doch das wird sich hoffentlich bald ändern.
Es gibt wohl kaum einen Lebensbereich, auf den die Pandemie keinen Einfluss hatte. Beim Hören von Musik aber fällt auf, dass man Künstlerinnen und Künstler schon lange vor ihren ersten Auftritten entdecken kann. Als Dauerzustand nicht unbedingt verlockend, aber bis auch die kleinsten Bühnen wieder die Vorhänge öffnen, sollte man diese Möglichkeit nutzen und auch mal den noch unbekannten Newcomern zuhören. In jedem Genre lassen sich Bands finden, bei denen das genaue Hinhören lohnt. Das beweist auch regelmäßig die "Band der Woche" der Junge-Leute-Redaktion.