Süddeutsche Zeitung

Alternative Rock aus München:Teenage Angst in Germany

Mit Weltuntergangs-Krawall und Aufbruchs-Pop empfiehlt sich die Münchner Band "Blackout Problems" für die internationale Bühne. Ihr drittes Album "Dark" ist kürzlich auf einem großen Label erschienen.

Von Michael Zirnstein

Nicht alles ist so leicht zu deuten wie das Mädchen im gelben Greta-Ölzeug, das im Video zum Weltretterstück "Lady Earth" einen übergroßen Papierflieger wirft. "Murderer" ist schon eine ganz andere Nummer, eine verwirrendere. "The best politician is a dead one, get your shotguns out", plärrt Mario Radetzky da zu Bildern voller Blut und Düsternis - irritierenderweise in einem Imker-Anzug. Wer sich von dem Kostüm nicht zu "Rettet die Bienen"-Gedanken ablenken lässt, könnte diese Rock-Attacke als Aufruf zur Gewalt gegen den Staatsapparat verstehen.

Die dafür verantwortliche Münchner Band Blackout Problems spürte dies fast körperlich, als sie 2019 als Vorband von Royal Republic durch England tourte. "Klar, dort verstehen die Leute unsere englischsprachigen Texte schneller als bei uns daheim und achten auch sehr darauf", sagt Radetzky, "wir haben den Song immer als Letztes gespielt, und die Reaktionen waren krass." Eine Masse kann zu dieser rockistischen Reaktion auf das Attentat eines Rechtsradikalen an dem Politiker Walter Lübke stoßtruppartig geschlossen abgehen, das "get you shotguns out" mit gehobenen Fäusten als Schlachtruf plärren. Ein rabiater Radetzky-Marsch.

Die im Punk sozialisierten vier begannen backstage zu diskutieren, ob sie das Spiel mit der bösen Rolle einfach im Raum stehen lassen sollen, für derlei kunstvolle Provokationen schätzt der Sänger etwa Jim Morrison von den Doors sehr. Oder sollten sie das Abartige nicht doch erklären, wie das "Monster" Marilyn Manson, dessen Interviews der Drummer Michael Dreilich überaus klug findet. Als die Single dann im Vorlauf des Albums "Dark" just zum Auftakt des Lübke-Prozesses herauskam, war ihnen bewusst: "Der Song kann jetzt von der falschen Seite benutzt werden." Um zu zeigen, wo sie stehen, stellten sie dem Video ein Zitat von Martin Luther King voran: "Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur Licht. Hass kann Hass nicht vertreiben, das kann nur die Liebe."

Die Blackout Problems haben sich viel erklärt in jüngster Zeit. Das liegt daran, dass sie viel zu sagen haben, aber auch daran, dass ihnen viele zuhören. "Dark" stoppte erst kurz vor den Top Ten auf Platz zwölf der Album Charts. Sie haben nach dem Start vor acht Jahren alles dafür getan, Radetzky hat sein Studium für die Musik geschmissen. Sie haben sich wie kaum eine andere hiesige Band ihre Gefolgschaft errackert: Hunderte Konzerte, Festivals und in TV-Shows wie "Circus Halligalli" gespielt, das eigene Label Munich Warehouse gegründet, auf dem sie sich, andere Bands und Fan-Produkte ("kein Plastik-Scheiß") vermarkten; und sie haben sich nun zum dritten Album durchgerungen, das Vertragsangebot des Majorlabels Sony anzunehmen.

Anders als Kurt Cobain fühlte sich Radetzky in seiner Jugend behütet

"Wir sind keine Aufbaukünstler, wie waren immer schwierig und bestimmend für die", sagt Dreilich. Aber der neue Partner könne ihnen, die sich schon zur Deutsch-Rock-Ära sprachlich lieber an Vorbilder aus USA und UK hielten, helfen, in die Welt hinaus zu kommen, das Ziel sei "greifbar nahe". Erstmals konnten sie Interviews für Magazine in Frankreich, Italien, Norwegen und in England dem von ihnen geschätzte Kerrang geben. Dort sollten sie dann als Stellvertreter meist erklären, wie die deutsche Jugend tickt. Und warum auch nicht, mit um die 30 sind sie nah dran, auch inhaltlich stehen sie dafür: "Wir könnten Anti-Trumps-Songs machen oder über sunny californian beaches singen, aber wir haben hier verschneite dreckige Straßen und machen lieber Songs über die Probleme in unserer Heimat, die sind auch global vernetzt", sagt Radetzky.

So fängt "Germany, Germany" mit der Anspielung auf ein Zitat von Nirvana an: "Teenage angst should have paid off well." Aber anders als Kurt Cobain fühlte sich Radetzky in seiner Jugend behütet, furchtsam, und besorgt ist er eher jetzt mit 31. Aus seiner "Alternative-Rock-Blase" heraus, in der die meisten lieb zu allen seien, habe er Rassismus, Sexsismus und andere "Scheiß-ismen" gesehen, und die Band glaubt, dagegen etwas tun zu können. Nein: zu müssen.

Das klingt naiv, auch ein bisschen nach Promo-Sprüchen. "Dark Pop" könne ein Werkzeug sein, die Wut in Leidenschaft zu leiten, steht im Beiblatt von "Dark". Das könnte man gut als Soundtrack der aufmuckenden Generation "Fridays for Future" verkaufen. Aber es wirkt echt. Die Band ging aus dem Probenraum zu den Demos, nahm dort zur Inspiration die Schüler-Chöre auf, ging nach den "Black Lives Matter"-Protesten auf dem Königsplatz zurück ins Studio und nahm ihr Lied der Deutschen noch einmal auf - "20 Prozent aggressiver". Aufrichtig erscheint das Anliegen von Mario Radetzky, Michael Dreilich, Marcus Schwarzbach (Bass) und Moritz Hammrich (Gitarre) auch durch ihre professionelle Dokumentation "Dark Days".

In sechs bewegenden Filmen erzählen sie nicht nur wie üblich von den Träumen und Nöten einer Band ("Wir sind noch nicht mal halb da"). Sie legen auch die Wurzeln für ihren Aktivismus offen und lassen junge Forscher über etwa Klimaflüchtlinge und dunkelhäutige Deutsche über Alltagsrassismus sprechen. "Das sind die Experten", sagt Dreilich, "wir sind die Musiker." Danach aber versteht man ihre zwischen Weltuntergangs-Krawall und Aufbruchs-Pop oszillierenden Stücken mehr. Diese spielen dank ihres auf der Expo in Kasachstan kennengelernten neuen Mit-Komponisten Sebastian Horn alias Geistah spannend mit Elektro-Knistern und -Dröhnen.

Alles freilich, erklären sie nicht, auch die sich durch die meisten Videos ziehenden verstörenden Bilder wie aus der Albtraumwelt eines soziophoben Teenagers - Gasmasken, Tänzer mit Augenbinden, schwarze Trocken-Rosen, cellophanierte Körper am Haken, brennende Einkaufswagen - lassen viel Interpretationsraum. Aber ihre Haltung ist immer deutlich, so wie Radetzky dem "Murderer" herzlich ein "I disagree" entgegnet, so wie die von einem Chor ansteckend gesungene Parole: "R.E.S.P.E.C.T. and love is for everyone."

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Quelle:
SZ vom 04.02.2021/blö, van
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