Süddeutsche Zeitung

Schienenverkehr:Flatterband, Warndreieck und hoffen, dass alles gut geht

Rund um die Uhr stehen an einem Bahnübergang in München Mitarbeiter und sperren mit einem Seil die Gleise, wenn ein Zug kommt. Seit einem Unfall vor sieben Monaten geht das so - und die Reparatur der Schrankenanlage lässt auf sich warten.

Von Andreas Schubert

Es ist ein recht merkwürdiger Akt, der sich am Bahnübergang Feldmochinger Straße, gleich neben der S-Bahn-Station Fasanerie, täglich mehr als 120 Mal beobachten lässt. Das Signal ist auf Rot, gleich kommt ein Zug. Da erst wird einem klar, worauf die Männer in orangefarbener Kleidung am Straßenrand gewartet haben. Sie schnappen sich das rot-weiße Absperrband, schnallen es auf der anderen Straßenseite fest und stellen noch ein Warndreieck auf, damit auch ja keiner auf die Idee kommt, sich noch in letzter Sekunde durchzumogeln. Das wäre lebensgefährlich.

Aber Autofahrer, Radler und Fußgänger warten geduldig. Für sie sind die Männern in Orange die lebenden Bahnschranken des Bahnkilometers 12,183 auf der Strecke 5500 von München nach Regensburg, wo S-Bahnen sowie Güter- und Personenzüge durchrauschen.

Seit vor bald sieben Monaten die Schranke bei einem Unfall zerstört wurde, geht das schon so. Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche oder 24/7, wie es neumodisch heißt. Doch so richtig wie in der Moderne kommt man sich hier nicht vor, eher wie am Set für einen Film, der "Die Fifties in Feldmoching" heißen könnte - eine Zeit, in der Handarbeit noch was zählte, auch an Bahnübergängen. Hier, mitten auf der Straße, treffen Gestern und Heute zusammen.

Zusätzlich zu der Sicherung mit dem Flatterband schließt sich vor den Gleisen auch noch eine nach dem Unfall als Ersatz montierte Schrankenanlage, wozu der Bahnwärter immerhin keine Kurbel mehr braucht. Da reicht ein Knopfdruck, so zeitgemäß sind sie dann doch bei der Deutschen Bahn (DB). Weil diese provisorischen Schranken aber zur kurz sind, kann die Bahn nicht auf die Sicherung per Seil verzichten.

Vor Kurzem hat die Bahn nun begonnen, den Übergang zu reparieren. Am 24. August 2022 hatte ein 80-jähriger Autofahrer die Schranken demoliert. Wer damals dachte, der Schaden wäre bald behoben, lag völlig falsch. Denn laut DB ist so eine Anlage eine recht komplexe Angelegenheit, mit ein paar neuen Schlagbäumen ist es nicht getan. Die gesamte Technik des Bahnüberganges inklusive der Steuerung muss komplett neu aufgebaut und mit der Signal- und Stellwerkstechnik verknüpft werden. Und wie so oft heutzutage zieht sich das Projekt in die Länge: Material beschaffen planen, bauen, das dauert eben.

Dabei ist der Bahnübergang nicht ungefährlich. Am 3. Januar wäre es beinahe zu einem folgenschweren Unfall gekommen. Der Fahrer einer S 1 Richtung Freising konnte mit einer Notbremsung gerade noch einen Zusammenstoß mit Fußgängern und Autos verhindern, die den geöffneten Bahnübergang passierten. Eine Katastrophe blieb zum Glück aus. Jedoch hatte der Vorfall den Lokführer so mitgenommen, dass er abgelöst werden musste. Seither ermittelt die Bundespolizeiinspektion wegen Gefährdung des Bahnverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung, die Ermittlungen sind noch nicht gänzlich abgeschlossen. Es deute jedoch alles auf eine Alleinverantwortung des Schrankenwärters hin, teilt die Bundespolizei auf Nachfrage mit.

Nach derzeitigen Erkenntnissen lief der Vorfall so ab: Dem Schrankenwärter waren gegen 21.20 Uhr vom Fahrdienstleiter per Funk zwei Züge gemeldet worden, einer aus Landshut sowie eine S-Bahn aus München. Die Sicherung des Bahnüberganges erfolgte durch drei Sicherungsposten, die auf Anweisung des Schrankenwärters den Übergang mit Bändern sicherten. Nachdem der Zug aus Landshut vorbeigefahren war, erteilte der Schrankenwärter wohl irrtümlich die Anweisung, die Sicherung des Übergangs wieder aufzuheben. Der Lokführer reagierte geistesgegenwärtig, trotzdem kam die S-Bahn nach Auskunft der Bundespolizei erst nach 17 Sekunden und einem Fahrweg von 152 Metern auf dem Bahnübergang zum Stehen.

Ginge es nach den Anwohnern, sollte es diesen eigentlich schon lange nicht mehr geben. Seit Jahrzehnten warten sie auf eine Unterführung, die den Bahnübergang ersetzen soll. Sie werden sie auch bekommen, sogar zwei davon: Fußgänger und Radler sollen die Trasse künftig am heutigen Standort unterqueren, Autos etwa 270 Meter südwestlich davon. Die Staufalle auf der viel befahrenen Feldmochinger Straße wäre dann beseitigt. Die Unterführungen sind längst beschlossene Sache. Das Baugenehmigungsverfahren läuft derzeit noch, 2024 sollen die Bauarbeiten starten, um das Jahr 2030 könnten sie dann fertig sein.

So lange aber werden die DB-Mitarbeiter an Kilometer 12,183 nicht Hand anlegen müssen. Mitte des Jahres soll die Reparatur des Bahnübergangs laut DB abgeschlossen sein. Dann könnten sich die Schranken wieder automatisch öffnen und schließen. Die Feldmochinger Straße wäre dann um ihre aktuell wohl bekannteste Attraktion ärmer.

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