Bahnstreik in München:"Zur Not setz ich mich in den Gang"

Bahnstreik in München: Für ein neues Ticket heißt es am Münchner Hauptbahnhof erst einmal: warten und bangen.

Für ein neues Ticket heißt es am Münchner Hauptbahnhof erst einmal: warten und bangen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Lange Schlangen vor den Auskunftszentren und viele Reisende, die sich über den Zeitpunkt des Streiks ärgern: Der Ausstand der Lokführer mitten in der Ferien- und der Corona-Zeit bringt an großen Bahnhöfen wie in München einiges durcheinander.

Von Andreas Schubert

Die Schlange ist lang im Bistro Rubenbauer Genusswelten und vor der Bäckerei Rischart. Doch um Semmeln, Hendl oder Döner stehen die Leute gar nicht an. Sie gehören zum Wurmfortsatz der Warteschlange vor dem Reisezentrum der Deutschen Bahn am Münchner Hauptbahnhof - und haben die Hoffnung, dass sie an diesem Mittwoch irgendwann noch raus kommen aus dieser Stadt. Ein schneller Imbiss: Kein Problem. Doch für ein neues Ticket heißt es erst einmal: warten und bangen. Denn garantieren kann die Bahn nicht, dass die Menschen tatsächlich auch noch am selben Tag zu ihrem Ziel aufbrechen können.

Dass sich so mancher Aufenthalt in München unfreiwillig verlängert, ist dem Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) geschuldet. Diese fordert unter anderem Lohnerhöhungen von etwa 3,2 Prozent mit einer Laufzeit von 28 Monaten sowie eine deutliche Corona-Prämie. Das Angebot der Bahn dagegen sieht zwar ebenso 3,2 Prozent mehr Lohn vor, allerdings verteilt auf spätere Stufenzeitpunkte und einer Vertragslaufzeit von 40 Monaten.

Solche Details kümmern die Reisenden am Mittwoch herzlich wenig. Verena Wudy aus Linz, zum Beispiel. Eigentlich ist sie unterwegs nach Paris. Der Zug um 8.27 Uhr fuhr schon mal nicht. Nun hofft sie, dass es ein alternatives Ticket gibt. Ob sie der Streik ärgert? "Ich bin entspannt", sagt Verena Wudy. "Ist ja Urlaub."

Auch Victor Hall will nach Paris - allerdings wohnt er dort und ist gerade mit einem Freund durch Österreich geradelt. Ein bisschen müde sitzt er am Ausgang zur Bayerstraße neben den verpackten Rädern und hofft, dass er in einem späteren Zug mitfahren darf. Noch mal mehr als 800 Kilometer nach Hause radeln, sagt er, will er jedenfalls nicht.

Bahnstreik in München: Viele Reisende halten den Streik für unverhältnismäßig in der Ferienzeit.

Viele Reisende halten den Streik für unverhältnismäßig in der Ferienzeit.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Auch in München gilt, dass etwa nur ein Viertel aller Züge fahren kann. Trotz aller Unsicherheit geben sich die meisten Leute kurz nach 8 Uhr morgens noch relativ gelassen. Viele wischen an ihren Smartphones herum oder warten, bis ihnen ein DB-Mitarbeiter Auskünfte gibt - doch auch die Service-Leute können nicht vorhersagen, ob sich in einem späteren Zug noch ein Platz findet. Das ändert sich im Laufe des Vormittags nicht, die Warteschlangen an den Infoständen und im Reisezentrum werden eher länger.

Ein älteres Ehepaar aus Kiel erzählt, dass ihr Zug nach Hamburg-Altona ausgefallen ist, und der nächste erst zwei Stunden später in der Münchner Gleishalle anrollt. Geplant war eine Bahnreise erster Klasse mit Sitzplatzreservierung. Und jetzt? "Zur Not setz' ich mich in den Gang", sagt die Frau und meint, eigentlich fahre sie sonst eher nicht mit dem Zug. Für die Woche Urlaub in München habe man eine Ausnahme gemacht - und eben Pech gehabt. Mehr als sechs Stunden dauert die Fahrt nach Hamburg, doch noch haben die beiden Senioren gute Laune. Schließlich, sagen sie, hätten sie eine schöne Zeit in München verbracht. Und für den Streik habe man durchaus Verständnis - auch wenn ihrer Auffassung nach von beiden Seiten mehr Kompromissbereitschaft erforderlich sei.

So sehen das bei Weitem nicht alle Reisenden. Viele, die man fragt, halten den Streik für unverhältnismäßig in der Ferienzeit, andere machen sich wegen Corona und fehlender Abstände in vollen Zügen Sorgen.

Diese Sorge haben viele Pendler, die mit der S-Bahn unterwegs sind am Mittwoch nicht. Einige wichtige Verbindungen, wie etwa die S8 zum Flughafen, fahren nach wie vor alle 20 Minuten, andere Züge, wie die S 7, dagegen nur einmal pro Stunde. Doch durch die Ankündigung habe man, so ist es an den Bahnsteigen am Hauptbahnhof und am Marienplatz zu hören, Zeit gehabt, sich früher aufzumachen.

Den Pendlern kommt zugute, dass in der Ferienzeit die Züge ohnehin leerer sind als sonst. In den meisten Zügen, die durch den Stammstreckentunnel rollen, ist genug Abstand möglich. Die Leute hätten sich auf den Streik eingestellt, erklärt ein Bahnsprecher. Und der Notfahrplan, den die DB am Dienstagnachmittag veröffentlicht hat, sei auch stabil angelaufen. Vom befürchteten Chaos ist deshalb zumindest in der Stadt nichts zu sehen. Und auch wenn viele Pendler vermutlich aufs Auto umgestiegen sind, bewegt sich der Verkehr auf den innerstädtischen Straßen doch in normalen Dimensionen. Den Fernsehteams, die ihre Kameras in der Gleishalle des Hauptbahnhofs aufgebaut haben, bieten sich jedenfalls wenig spektakuläre Bilder.

Bahnstreik in München: Bahnmitarbeiter haben sich mit ihren Streikwesten aufgestellt.

Bahnmitarbeiter haben sich mit ihren Streikwesten aufgestellt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Streikenden selbst halten sich ebenfalls eher im Hintergrund. Sie haben ihren Streikposten um 2 Uhr morgens vor der Dienststelle beim Holzkirchner Bahnhof aufgebaut, außer Sicht vom Querbahnsteig, an dem sich die Reisenden tummeln. Etwa zwei Dutzend Bahnmitarbeiter - unter ihnen Lokführer, Zugbegleiter, Fahrdienstleiter, haben sich mit ihren Streikwesten aufgestellt, Fahnen und ein Transparent in der Hand. Eine Frau, die das Grüppchen passiert, klatscht in die Hände, für Heiko Sann, den Chef der GDL-Ortsgruppe Hauptbahnhof, ist das eine Bestätigung. Ob er nicht glaube, dass der Streik jetzt zu einem ungünstigen Zeitpunkt stattfinde? "Es gibt nie einen richtigen Zeitpunkt", sagt Sann. Eine Nullrunde in diesem Jahr werde man nicht dulden. Die durch die Corona-Krise und Flutschäden arg gebeutelte DB selbst sieht das freilich anders und teilte schon am Dienstag mit, dass der Ausstand eine "unnötige Eskalation auf dem Rücken der Bahnkunden" sei.

Diese müssen nun noch bis Freitagfrüh, 2 Uhr, mit den Einschränkungen leben - und hoffen, dass es nicht wieder eine Streikwelle der GDL wie 2014 und 2015 gibt. Auszuschließen ist dies nicht, die Fronten scheinen verhärtet zu sein. Aus dem Mund von Heiko Sann klingt dies allerdings etwas anders. "Wir wollen eigentlich gar nicht streiken, sondern lieber arbeiten", sagt Sann, der seit 1988 Lokomotivführer ist. Bei diesem Ausstand gehe es außer um Geld auch um Wertschätzung.

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