Süddeutsche Zeitung

München:Bade-Kultur

Nach der Expedition in die städtische Kanalisation ist das Kunst-Projekt "Overflow" nun ins Müllersche Volksbad eingetaucht. Dort gab es Wassertropfen aus der Pipette, Feenhaftes aus der Brause und singende Steine

Von Jutta Czeguhn

Am vergang'nen Freitag warn wir zwa im Tröpferlbad, dass Sie net dabei warn, des is schad, schad, schad, schad, schad, schad, schad, schad." Auf YouTube hat sich Suzon Fuks das Couplet von Pirron & Knapp in zig Variationen angehört. Dass die Belgierin mit Wohnsitz Australien den gscherten Originaltext nicht verstand, war kaum von Belang. Ihr ging's um die Melodie, die wollte sich die Künstlerin einprägen. "Ich habe eine ganze Weile gebraucht, aber nun bekomme ich das Tröpferlbad nicht mehr aus dem Kopf", erzählt die Stipendiatin des städtischen Künstlerhauses Villa Waldberta. Das waren beste Voraussetzungen für ihre Performance im schönsten aller Tröpferlbäder, dem Müllerschen Volksbad.

Suzon Fuks war dort Teil des Kunstprojekts "Overflow". Im blauen Schwimmanzug, mit blau gefärbten Haaren wanderte sie durch den Badetempel und verteilte unaufdringlich, die Melodie summend, mit einer Pipette Wassertropfen an die Besucher. Die reagierten auf die surreale Erscheinung zunächst irritiert, dann mit Neugierde. "Einige Leute kamen auf mich zu und baten um einen Tropfen", sagt Fuks, in deren Kunst Wasser eine wesentliche Rolle spielt. Sie ist Mitbegründerin der Plattform "Waterwheel", der weltweit gut 1500 Künstler, Wissenschaftler und Aktivisten angehören. Es geht ihnen darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Ressource Wasser. "Um ein olympisches Schwimmbecken zu füllen, braucht man 2,5 Millionen Liter Wasser" oder "Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht" - konnten die Besucher im Volksbad auf den Pipetten lesen, die Fuks überall verteilt hatte. Unbehagliche, klare Botschaften, in sanften Dosen tröpfelweise verabreicht.

Über Waterwheel hat Suzon Fuks auch die Starnberger Künstlerin Carlotta Brunetti kennengelernt, die das Overflow-Projekt zusammen mit Cornelia Oßwald-Hoffmann kuratiert. An atmosphärisch prägnanten, unerwarteten Ausstellungsorten in der Stadt lassen Künstler - internationale Gäste der Villa Waldberta und Münchner Kollegen - die Dinge kreativ aus dem Ruder laufen, öffnen Ventile, verlieren die Kontrolle, gehen Wagnisse ein und über ihre Grenzen, kümmern sich um das Überflüssige und die Überflüssigen. Nach einem ersten "Abtauchen" in das Münchner Kanalsystem ging es nun ins Volksbad, an einen Ort, der von jeher Sinne und Seele öffnet und empfänglich macht, wie Dampf die Poren der Haut.

So überfluteten die Overflow-Künstler das Bad ganz sanft, passten sich dem geruhsamen Betrieb dort an. Carlotta Brunetti etwa ließ ein Kleid aus Federn wie Schaum aus einer Brause im Wannenbad strömen, eine feenhaft schwerelose Wasser-Metapher. Verstörend war ihre Video-Installation in der kleinen Schwimmhalle; über ihren Köpfen sahen die Badenden Fische zappeln und konnten sich so ein wenig fühlen wie im Aufzuchtbecken des Betriebs am Starnberger See, in dem Brunetti gefilmt hatte.

Ins Schwitzen kamen alle im Dampfbad, wo Rasha Ragab und Christoph Nicolaus auf ihren Steinharfen musizierten. "Sonst müssen die Instrumente ja immer wieder nass gemacht werden, dort konnten Christoph und Rasha durchspielen, solange sie es aushielten. Das Publikum hielt auch eisern durch, manche Leute kamen sogar mehrmals", freut sich Kuratorin Oßwald-Hoffmann. In den Umkleidekabinen begegnete das Bade-Publikum den singenden Flüssen des polnischen Künstlers Jarek Lustych. In der großen Apside zeigte der Australier James Cunningham meditative Videos von seinem Spaziergang im Feldafinger Starzenbach.

Aus den feuchten Atmosphären der Kanalisation und des Jugendstilbads wird Overflow nun auftauchen und sich Ende September an einen staubtrockenen Ort begeben: ins Referat für Arbeit und Wirtschaft, kurz RAW, wo ein offenes Büro entstehen soll mit Regentonnen voller übrig gebliebener Dinge im Schaufenster. "Overflow goes raw" ironisch wortgespielt. Es wird roh, rau und ungeschlacht. Das klingt sehr verheißungsvoll.

Näheres über das städtische Kunstprojekt auf der Facebook-Seite von Overflow.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2017
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