Bad Forstenrieder ParkMünchen stampft ein Hallenbad ein – und die Schwimmer sind traurig

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Stammgast Lydia Bechmann (li.) war kurz nach der Eröffnung im Jahr 1976 zum ersten Mal im Stäblibad. Am letzten Tag kommt sie noch einmal mit Tochter Vanessa.
Stammgast Lydia Bechmann (li.) war kurz nach der Eröffnung im Jahr 1976 zum ersten Mal im Stäblibad. Am letzten Tag kommt sie noch einmal mit Tochter Vanessa. (Foto: Robert Haas)

Am letzten Öffnungstag kommen noch einmal viele, um sich mit einer letzten Bahn zu verabschieden. Nun wird das Wasser über mehrere Tage abgelassen. Was wird aus dem versprochenen Neubau?

Von Joachim Mölter

Als die letzten Gäste gegangen waren am Freitagabend, hat sich Martina Siebenborn erst mal hingesetzt und alles sacken lassen, ehe sie erledigte, was immer zu erledigen war, wenn Feierabend war im Hallenbad am Forstenrieder Park: Technik ausschalten, Licht ausknipsen, die Türen hinter sich zusperren. „Das Ritual wie jeden Abend“, fasste sie die Handgriffe zusammen. Nur, dass es diesmal kein Abend wie jeder andere war, sondern der letzte. Am Samstagmorgen schloss keiner mehr die Türen wieder auf, zumindest nicht für Badegäste.

Das Stäblibad, wie es von den Menschen im Münchner Süden genannt wird wegen seiner Lage an der Stäblistraße, wird dichtgemacht und abgerissen. Die Mitteilung der Stadtwerke München kam recht plötzlich, erst Mitte März. Vor nicht allzu langer Zeit hieß es noch, das Bad solle modernisiert und sogar erweitert werden. Stattdessen wird es also eingestampft. An diesem Montag wird damit begonnen, das Wasser abzulassen, „langsam und wohldosiert“, wie Siebenborn sagt, damit die Kanalisation nicht überflutet wird. Zwei Tage soll es dauern, bis die Wasserbecken leer sind.

Am letzten Öffnungstag war dort noch einmal ordentlich Betrieb, mehr jedenfalls als an anderen Freitagen, stellte die Schwimmmeisterin Martina Siebenborn fest: „Viele Leute sind extra gekommen, um sich vom Stäblibad zu verabschieden.“

Schwimmmeisterin Martina Siebenborn tätigt die letzten Handgriffe.
Schwimmmeisterin Martina Siebenborn tätigt die letzten Handgriffe. (Foto: Robert Haas)
Am letzten Öffnungstag war noch einmal mehr Betrieb als an anderen Freitagen.
Am letzten Öffnungstag war noch einmal mehr Betrieb als an anderen Freitagen. (Foto: Robert Haas)

Vor dem Eingang machten Eltern Fotos von ihren Kindern, die sich unters Vordach gestellt hatten mit dem Schriftzug „Bad Forstenrieder Park“ – so heißt das Stäblibad offiziell. „Und jetzt noch ein Foto mit traurigem Gesicht“, bat ein Mädchen seinen Vater. Auf den Stahlrahmen der Eingangstür hatte jemand mit Filzstift geschrieben „Tschüss Stäbli! Schön war’s!“, hinter jedem Ausrufezeichen ein Herz. Im Foyer hatten die Mitarbeiter eine Art Kondolenzbuch ausgelegt, in das jede und jeder noch ein paar Tränen hineintropfen lassen konnte. Selbst an den Wänden zu den Umkleidekabinen hatten Besucher Abschiedsworte hinterlassen. „Nach 48 Jahren sagen wir tschüss ... und sind traurig! Die Bechmanns.“

„Schade, dass wir das halbe Jahrhundert nicht mehr hinbekommen haben“, sagt Lydia Bechmann, die kurz nach der Eröffnung im Jahr 1976 zum ersten Mal im Stäblibad war. Ihre drei Kinder haben dort das Schwimmen gelernt, ihre Tochter Vanessa ist zur Feier des Abschieds sogar extra aus Daglfing gekommen, wo sie mittlerweile wohnt. Gemeinsam zogen Mutter und Tochter am Freitag noch einmal ihre Bahnen im 25-Meter-Becken.

Bei einer Pause auf der Sitzbank erzählen die beiden Frauen von früher. „Ich bin immer gern über Mittag gekommen, wenn die Schulklassen weg waren und die Frauen noch das Essen gekocht haben“, sagt Lydia Bechmann. Ihre Tochter schwärmt derweil vom schönen Licht, das bei Sonnenschein mittags bis abends durch die Glasfassaden in die Halle gefallen sei. Und vom Fliesenmosaik an der Stirnseite: „Das sollten sie abtragen und später wieder so einbauen“, findet sie.

Der Charme der Siebzigerjahre, den das Stäblibad ausströmt, gefällt auch dem 18 Jahre alten Leopold. „Umso älter es wird, desto mehr gewinnt es dann doch wieder an Schönheit“, sagt er. Der Schüler aus Schwabing war am Freitag zum ersten Mal im Stäblibad; er hatte gelesen, dass es schließt, und wollte es sich vorher noch anschauen. Sein Eindruck: „Ein schönes, kleines Bad, ohne viel Drumrum“, also ohne Schnickschnack – ein „Basisbad“ halt. So sieht es auch Vanessa Bechmann: „Klein, fein und unaufgeregt.“ Und es sei doch „gut, dass es auch noch Nicht-Spaßbäder gibt“ wie dieses: „Nett und beschaulich, ein Ruhepol in der Großstadt.“

Der 18-jährige Leopold wollte sich das Bad noch einmal vor dem Abriss anschauen.
Der 18-jährige Leopold wollte sich das Bad noch einmal vor dem Abriss anschauen. (Foto: Robert Haas)
Viele Besucher schießen Erinnerungsfotos – etwa vor der Wand, die als Kondolenzbuch genutzt wird.
Viele Besucher schießen Erinnerungsfotos – etwa vor der Wand, die als Kondolenzbuch genutzt wird. (Foto: Robert Haas)

Ihre Mutter hadert ein wenig damit, dass es keinen Ersatz in der Nähe gibt. „Da hätten sie doch längst nebenan schon was Neues bauen können“, glaubt sie. So wie es Ende der Neunzigerjahre geschah, als zuletzt ein Hallenbad in München abgerissen wurde. Während damals das alte Westbad dem Erdboden gleichgemacht wurde, zogen sie daneben schon den Neubau hoch.

Dass das Stäblibad jetzt einfach abgerissen wird, findet auch Leopold „nicht optimal – das ist halt nicht nachhaltig, weil die Rohstoffe ja auch knapper werden.“ In dieser Hinsicht beruhigen die Stadtwerke als Betreiber des Bades. Im Sinne von Abfallminimierung und Kreislaufwirtschaft solle „ein möglichst hoher Anteil“ der anfallenden Bauabfälle wiederverwendet, recycelt oder verwertet werden, versichern sie auf Anfrage.

Erst in zwei Jahren soll das Gebäude vollständig abgerissen sein, weil vorher der Boden auf Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg untersucht werden muss; damals befand sich auf dem Gelände eine Flakstellung. Das allein dürfte ein Jahr dauern. Weil die Stadtwerke zuletzt recht vage verlauten ließen, dass verschiedene Varianten für eine künftige Nutzung geprüft würden, sind einige Kommunalpolitiker hellhörig geworden.

Schließung Stäblibad München (Video: Robert Haas)
Die Stadtwerke haben einen Neubau versprochen, aktuell prüfen sie nach eigener Aussage „mehrere Varianten“.
Die Stadtwerke haben einen Neubau versprochen, aktuell prüfen sie nach eigener Aussage „mehrere Varianten“. (Foto: Robert Haas)

CSU-Stadträtin Veronika Mirlach, die auch dem Bezirk München-Süd ihrer Partei vorsitzt, hat deshalb schon eine Anfrage an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) initiiert, ob auf der Fläche auch vollkommen andere Nutzungsmöglichkeiten in Betracht gezogen würden, wie zum Beispiel der Bau einer Geothermieanlage. Auf SZ-Nachfrage präzisierten die Stadtwerke: „Aktuell werden verschiedene Varianten eines möglichen Badneubaus geprüft.“

Bis am Forstenrieder Park wieder geschwommen wird, dauert es also. Solange müssen die Bewohner im Münchner Süden auf andere Bäder ausweichen, auf Süd- oder Westbad oder aufs Bad Giesing-Harlaching. Für die acht Vereine, die bislang im Stäblibad Schwimm- oder Tauchtraining abgehalten haben, wird auch noch Ersatz gesucht. Für ältere Stammgäste käme ein Umzug in andere, weiter entfernte Bäder freilich kaum in Frage, hat Schwimmmeisterin Siebenborn in ihren Gesprächen erfahren: „Ich hatte zuletzt noch eine 96-Jährige bei der Wassergymnastik.“ Das spreche für die Verbundenheit der Menschen mit dem Stäblibad. „Das ist eine Institution“, stimmt Lydia Beckmann zu.

Martina Siebenborn war 29 Jahre im Stäblibad beschäftigt, „ich bin schon als Kind hier geschwommen“, sagt die gebürtige Sendlingerin. „Das war meine zweite Heimat, jetzt bin ich quasi heimatlos“, fügt sie hinzu. Nach einer neuen Heimat suchen wie ihre Stammgäste und die Sportvereine muss sie freilich nicht. Martina Siebenborn tauchte schon am Samstag in ihre neue Welt ein: Da war sie für die Spätschicht im Nordbad eingeteilt.

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