Backstage in Corona-Zeiten:Wo die Musik jetzt spielt

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Beim ersten Backstage-Konzert nach dem Shutdown trat die Punkband "The Munich Fiend Club" Mitte Juni vor nur 50 Fans auf Abstand auf - nun sind auf unterschiedlichen Bühnen wieder größere Events möglich. (Foto: Stephan Rumpf)

Münchens größtes Subkulturzentrum leidet zwar unter der Corona-Pandemie, bietet jedoch im Rahmen von "Sommer in der Stadt" viel Programm - unter anderem in einer wetterfesten "Arena Süd".

Von Michael Zirnstein

Neulich in einer Regennacht habe er mit einem Schirm am Sicherungskasten gestanden, um die Elektrik vor dem durch das marode Dach eindringenden Wasser zu schützen. So erzählt es Hans-Georg Stocker, und er redet nicht von einem Einfamilienhaus, sondern von Münchens größtem Subkulturzentrum, dem Backstage. Seinem Backstage, das er im 30. Jahr privatwirtschaftlich betreibt.

Stocker sieht mit Wollmütze und Arbeiterhosen aus wie der Hausmeister eines Jugendheims, der sich gerade mächtig aufgeregt hat, aber im Grunde alle lieb hat. Probleme gibt es zuhauf, angefangen bei der Grundsubstanz: "Das Gelände gammelt uns weg", sagt er und meint, würde es einer kommunalen Institution wie dem Gasteig so nass reingehen, würde die Stadt Millionen locker machen.

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Aber es gibt tatsächlich Schlimmeres. Anfang des Jahres noch drängte Stocker auf die Sanierung des zwölf Jahre alten Provisoriums - dem Backstage IV an der Reitknechtstraße - und den teilweisen Umzug auf ein angrenzendes Grundstück. Was viel komplizierter ist, als es sich anhört, denn in der Nachbarschaft wird auch für die S-Bahn gebaut und ein Investor zieht 1100 Wohnungen auf dem Gelände der Paketposthalle hoch.

Eine Betriebsgenehmigung hat Stocker vorerst bis 2023. Er wollte längerfristige Perspektiven und einen Gesamtbebauungsplan für das neue Stadtquartier, um sicher zu sein, dass sich seine Investitionen rentieren. Heute ist er froh, dass er das Projekt, ein endgültiges Schutzgebiet für sein Lebenswerk zu besiedeln, abermals aufschieben musste. "Sonst hätten wir jetzt gerade auch noch Hunderttausende Euro Baukosten refinanzieren müssen, das hätte uns endgültig das Genick gebrochen. Glück im Unglück." Denn das große Übel ist auch für ihn die Corona-Pandemie.

Allein im März und April mussten 128 Konzerte abgesagt werden; die Hallen durften nicht an andere Veranstalter oder für Abiturfeiern vermietet werden; auch nach den ersten Lockerungen für den Kultur- und Gastrobetrieb kommen die Besucher spärlich zurück, wenn auch glücklich. Stocker beziffert den vom Virus angerichteten Schaden auf 100 000 Euro - monatlich. "Das macht dich kaputt." Es gehe ihm aber nicht nur um sich, er sieht - angesichts von vollbesetzten Ferienfliegern - eine "Diskriminierung der Kultur" und befürchtet eine Pleitewelle in der Branche, selbst die mutigsten Kollegen hätten resigniert. "Gerade jetzt sollen wir besonders kreativ sein, um die Lage zu meistern", sagt Stocker, "aber unter diesen Bedingungen kann man nicht kreativ sein, da geht keiner ein Risiko ein."

Backstage-Betreiber Hans Georg Stocker. (Foto: Stephan Rumpf)

An seinem 53. Geburtstag sangen 100 Veranstalter Stocker ein Ständchen. Sie hatten sich in der Muffathalle zur Fotoaktion "Ohne uns ist's still" getroffen. Stocker ist gerne laut, engagierte sich im Corona-Krisenstab des Verbands der Münchner Kulturveranstalter. Mit Erfolg: Der Stadtrat hat das VdMK-Konzept für von der Stadt finanzierte Freiluftbühnen im Programm "Sommer in der Stadt" aufgegriffen, auch wenn sich Stocker noch mehr Orte - wie den Schneckenplatz an der Alten Messe oder das Gut Freiham - gewünscht hätte, die die Veranstalter hätten rentabel bespielen können. Der VdMK darf nun das Programm auf der Zentralbühne im Olympiastadion organisieren. Auch das Backstage wird dort Konzerte veranstalten.

Entscheidend fürs Überleben des Backstage aber ist: Was kann auf dem eigenen Gelände stattfinden? Jetzt steht fest: Das allsommerliche "Free & Easy"-Festival", das Geschenk des Backstage an die Münchner mit zwei Wochen voller Gratis-Konzerte, -Lesungen, -Kino, -Kabarett, -Partys und Politikdiskussionen, fällt heuer aus. Weniger bespielbare Flächen und Säle, weniger erlaubte Gäste, weniger Getränkeumsatz - das Minus wäre desaströs.

Die Kosten für die Kultur sind der Knackpunkt: 2018 hatte das Backstage erstmals Fördergelder bei der Stadt beantragt, die das von Stocker angegebene Jahresminus von 250 000 Euro hätten ausgleichen sollen - alles für die Subkultur als sozialen Kitt. Davon gab es dann ein Zehntel, gebunden an das "Free & Easy". 2019 standen im Kulturetat 50 000 Euro dafür bereit, die wurden aber nie ans Backstage ausbezahlt. Das Kulturreferat erklärt das damit, dass die vorgelegten Abrechnungen einfach nicht den Förderrichtlinien genügt hätten, man habe eigens Fristen verlängert, sich bemüht, Stocker "die Sprache der Revisionsabteilung" beizubringen - es brachte nichts.

Stocker kann das zwar nicht vollumfänglich nachvollziehen, attestiert aber Kulturreferent Anton Biebl, sich für ihn stark zu machen. Zu Recht, denn der sagt: "Ohne das Backstage wäre die Kulturszene Münchens für mich unvollständig. Das Engagement, mit dem sich die Stockers Mainstream und Gentrifizierung widersetzen, verdient größten Respekt."

Auch in der Krise will das Kulturreferat helfen. Nicht mit den abermals bewilligten 50 000 Euro fürs "Free & Easy", das ja nicht stattfindet. Auf Druck des Stadtkämmerers muss auch das Kulturressort heuer eine noch nicht bekannte Millionensumme einsparen, was auch die freie Szene betreffen wird. Aber das Kulturamt steht weiter zu seinen Förderzusagen, wenngleich man jeden Fall einzeln betrachten müsse - so wie die "komplexe" Lage im Backstage.

Dorthin soll nun aus dem 950 000 Euro-Sondertopf für "Sommer in der Stadt" unbürokratisch Geld fließen. Damit kann das Backstage eine weitere Freifläche bespielen: Die neue "Arena Süd" an den Bahngleisen für 400 Gäste wird gerade mit einem Zelt wettersicher überspannt. Im Gegenzug stellt das Backstage Bühnen, Personal und Ticketsystem zum Unkostenpreis anderen Veranstaltern zur Verfügung.

Das eigene Behelfsprogramm läuft fortan unter "Sommer in der Stadt". Es kann sich - bei meist, aber nicht immer freiem Eintritt - sehen lassen: Das ist der "Acoustix-Rausch" im Backyard-Garten für bis zu 200 Gäste, etwa mit dem Liedermacher Weiherer (23. Juli), einer Lesung von Dominik Bloh (28.7.) oder einem "Kopfhörer-Konzert" der Band Von Welt (29.7.); das sind täglich lärmberuhigte Open-air-Partys im Biergarten; das sind "Abstandskonzerte" drinnen im Backstage-Werk, mit 200 statt 1600 Gästen und Bands wie Bluekilla (23.7.) oder dem Rapper Monaco F (28.8.); und das sind Konzerte in der Arena-Süd, für die Backstage-Booker Daniel Lazak-Böhm deutschlandweit auf die Schnelle Künstler auftreibt, wie die guten Poltergeister des Hauses, die Emil Bulls.

Das Fördergeld sei gut angelegt, findet Stocker, der auch als Lobbyist den Schirm über seinem Laden aufspannt: "Wir Freien bieten doch Kultur mit viel weniger Kosten für die Öffentlichkeit als die städtischen Institutionen, deswegen ist es umso wichtiger, uns zu unterstützen."

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Von Melanie Staudinger (Text) und Stephan Rumpf (Fotos)

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