Sigi Sommer:Spaziergänger mit Schmäh

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Kein Respekt vor nichts und niemandem: Sigi Sommer (hier ein Foto von April 1976) kam an mit seiner bairisch-schnoddrigen Art. (Foto: Heinz Gebhardt/ Imago Images)

Vor einem Vierteljahrhundert starb der außergewöhnliche Autor und München-Philosoph. Sein Wortwitz ist in der Stadt unvergessen.

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Es herrschte ehrfürchtiges Schweigen, als die Türe des Aufzugs im Parterre der Münchner Abendzeitungs-Redaktion sich zu schließen begann. Denn es war Anneliese Friedmann mit ihrem engen Geviert, die Herausgeberin des Blatts, elegant gewandet wie immer, mit einem freundlich distanzierten Lächeln, das zum Ausdruck hatte, man möge sie bitte nicht ansprechen, und umwölkt von so edlen Düften, als hätte Jean-Baptiste Grenouille ihr eine Spezialmischung vermacht.

Da schob sich ein Tennisschuh zwischen Türe und ihrem Türstock, sie ging wieder auf, und hereinspazierte ein älterer, recht sportlicher Herr mit ledernem Gesicht, lederner Jacke und einer ledernen Baskenmütze auf dem bis in den Nacken reichenden, sonst eher schütternen Haar. Da änderte sich Frau Friedmanns Miene, das Lächeln wurde fast zärtlich, und sie fragte: "Na Sigi, wie geht's Ihnen denn?" Der antwortete bezüglich seines Befindens mit jener unschlagbar miesepetrigen bairischen Gegenfrage, die jede weitere Bemerkung überflüssig macht: "Ja mei, Prinzipalin, wia sois ma scho geh?"

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Sigi Sommer, der im Alter von 81 Jahren vor genau einem Vierteljahrhundert verstorbene literarische Spaziergänger, nannte seine Arbeitgeberin gern "Prinzipalin". Nur beim Tennisspielen duzte er sie als "Annamirl", ließ sie aber nur selten gewinnen. Es schien, als würde Anneliese Friedmann dies alles nicht nur dulden, sondern auch ein bisschen genießen, war doch Sigi Sommer ihr bestes Auflagenzugpferd im AZ-Stall, dazu ein echter Freund und ein von der ganzen Stadt und auch Nicht-AZ-Lesern höchst geschätztes journalistisch-literarisches Original. Eines, das auch davon lebte, mit Respekt recht sparsam umzugehen, erst recht gegenüber Menschen, die glaubten, ihn aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung verdient zu haben.

Es sind zwar zwei Romane von Siegfried Sommer, geboren am 23. August 1914 in Untersendling, verfilmt worden, der eine, "Meine 99 Bräute" mit wenig, der andere "Und keiner weint mir nach" mit beachtlichem Erfolg (nach seinem gleichnamigen Roman, den angeblich Bertolt Brecht als "besten Roman, der nach dem Krieg in Deutschland geschrieben wurde" lobte, was keiner, der je über Sigi Sommer schrieb, zu erwähnen vergaß). Was bisher aber verabsäumt wurde: einen Film zu drehen über das Leben und Wirken dieses wirklich außergewöhnlichen Autors und München-Philosophen, der es vom Klassenprimus auf der Gotzinger Volksschule nahe der Implerstraße bis zum Stammtischherrn im Augustiner mit Gästen wie Willy Brandt oder Franz Josef Strauß gebracht hat. Von den vielen Tausend Kolumnen zuerst in der Süddeutschen Zeitung, dann in der AZ ganz zu schweigen.

Dabei war ihm das Schreiben, gar das schriftstellerische, beileibe nicht in die Wiege gelegt worden. Sein Vater war Möbelrestaurator und Mitbegründer des (heute noch wirkenden) Cowboyclubs München, was in Sigi Sommer weiter lebte, bezeichnete man ihn doch gerne als "Stadtindianer". Er durchlief eine Elektrikerlehre, frönte seiner Leidenschaft fürs andere Geschlecht als Eintänzer (eine Liebe, die recht oft auf Gegenliebe stieß, was zu mancher Turbulenz führte), begann da aber schon mit ersten journalistischen Arbeiten für das Münchner Abendblatt.

Der Krieg brachte ihn an die West- und die Ostfront und er fand nach der Rückkehr nach München sehr schnell im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung, erste Seite, links oben eine erste Heimat als Kolumnenautor. Und dies mit solcher Eleganz und solchem Sprachwitz, dass sich sogar ein Mann namens Karl Valentin in einem Leserbrief dankend äußerte. Der damalige SZ-Lokalchef Bernhard Pollack verpasste dem Jungstar das Pseudonym "Blasius", SZ-Chef und AZ-Gründer Werner Friedmann warb diesen Blasius mit dem Zusatz "der Spaziergänger" für sein neu gegründetes, munteres Boulevardblatt ab, und von nun an hatte München einen sowohl sinn- wie identitätsstiftenden Literaten in seiner Zeitungslandschaft, der freitags bissig als Blasius schrieb und samstags weit nachdenklicher als Sigi Sommer.

Für Sigi Sommers Lebenserfolg gibt es zahllose Erklärungsansätze. Einer stützt sich auf seine Lust an der Beobachtung von Menschen, vornehmlich solchen, die nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ein anderer auf den schon erwähnten äußerst spärlichen Umgang mit Respekt. Ein dritter, sicher nicht der unwichtigste, auf ein wunderbares und wendiges Sprachgefühl, das vor allem dann aufblitzte, wenn es um seine ganz private Leidenschaft ging, um die Frau als solches.

Er stünde (auch ganz ohne den mittleren Skandal, den er mit verursachte, weil er sein Appartement dem Freund Werner Friedmann für amouröse Abenteuer überließ) sicher heute im Visier der "Me-Too"-Bewegung angesichts seiner überbordenden Fantasie, die er der weiblichen Brust widmete. Schien sie ihm, das nur ein Beispiel, zu klein, schalt er sie als "nicht viel größer, als wenn eine Maus eine Faust macht". Doch auch über den Föhn wusste er kundig zu räsonieren: "Nur unsere Stadt ist föhnig. Das übrige Abendland dagegen windig." Und dass Sigi Sommer das Auto als solches sowohl "Gaulus Stinkadorus" als auch "Schlawinerschäserl" nannte, verschaffte ihm eine gewisse Zeitlosigkeit, denn solcherlei Benennungen hätten auch heute noch ihre Berechtigung.

So schrieb Werner Meyer, legendärer AZ-Chefreporter und Sigi-Sommer-Bewunderer, anlässlich dessen 90. Geburtstages den trefflichen Satz: "Was er schrieb, ist jung geblieben." Wenn also an diesem Montag anlässlich des 25. Todestages von Sigi Sommer die Stadt München ihren großen literarischen Freund und Chronisten mit einem Kranz samt Stadtschleife auf dem Grab in Neuhausener Friedhof an der Winthirstraße ehrt (Grabnummer 4-5-5) und sein Denkmal in der Rosenstraße, unweit der Stelle, wo früher einmal das Redaktionsgebäude der Abendzeitung stand, mit Blumen schmückt, wäre das ein wunderbarer Anlass, in dessen alten Geschichten zu schmökern. Es gibt sie noch als Buch, hier und dort.

© SZ vom 25.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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