Wolfram Kastner wird gemeinhin als "Aktionskünstler" bezeichnet, der Öffentlichkeit ist er mit provozierenden "Aktionen" bekannt, die in Wahrheit immer schmerzhafte Konfrontationen mit unangenehmer deutscher Vergangenheit organisieren. Ob auf der Fraueninsel im Chiemsee als Protest gegen ein Ehrengrab für den Kriegsverbrecher Alfred Jodl oder auf dem Königsplatz mit der Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nazis. Er schafft soziale Kunstwerke - mit einer Bilanz, die man als Künstler auch erst einmal aushalten muss: Zehn Morddrohungen, die nie aufgeklärt wurden, 20 Strafanzeigen, zumeist mit für ihn teuren Urteilen, und noch nie auch nur einen Preis in Bayern oder München, der seine Arbeit gewürdigt hätte. Seit Sonntag ist das anders: Die Humanistische Union (HU) hat ihm in München den Preis "Aufrechter Gang" verliehen.
Christa Scholtissek vom HU-Landesvorstand überreichte ihm eine kleine grüne Kaktusskulptur in Menschengestalt, mit Grundgesetz unterm Arm und rotem Käppi auf. Das passe gut, scherzte sie vor nahezu 100 Gästen, Kastner hatte bei der Preisverleihung im Rio-Kino am Rosenheimer Platz ein weißes Käppi auf und steht mit seinen Aktionen immer auch für aufklärerische Erinnerungskultur, für Zivilcourage und Menschenrechte. So lobte das auch Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des NS-Dokuzentrums München und gegenwärtige Direktor der Abteilung Bildende Kunst der bayerischen Akademie der schönen Künste, in der Preisrede. "Dieses besonders in Deutschland gepflegte Vergessen und Verdrängen wirkt provozierend auf Kastner", der deshalb laut Nerdinger von sich sage, "nicht ich provoziere, sondern die Zustände provozieren mich".
Kampf gegen des Ehrengrab
Beispiel: Das leere Ehrengrab für den in Nürnberg verurteilten Wehrmachtsgeneral Jodl auf der Fraueninsel im Chiemsee. Für die Intervention mit roter Farbe, berichtete Kastner später, sei er in mehreren Instanzen teuer verurteilt worden, lasse aber nicht locker. Unter Jodls Leitung wurde der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geplant, mit 27 Millionen Toten und Ermordeten. Dessen Ehrengrab in Nachbarschaft zur Herreninsel, wo das deutsche Grundgesetz entstand, das treibe ihn um.
"Kastner macht Verdrängtes sichtbar", lobte Nerdinger und erinnerte an dessen Aktion am Königsplatz, wo er mit einem verbrannten Stück Rasen und Lesungen an die NS-Bücherverbrennung erinnerte. Nerdinger weiter: "Durch nachahmende Aktion wird von ihm ein historisches Ereignis auf verfremdete Weise eindringlich wieder sichtbar gemacht - das ist das genaue Gegenteil zu der lächerlichen Bodenplatte mit Buchtiteln ohne Verfassernamen, die im vergangenen Jahr im Auftrag des Kulturreferats der Landeshauptstadt buchstäblich im Kies des Königsplatzes versenkt wurde." Könnte noch dauern, bis die Landeshauptstadt den Unbequemen ehrt.