Van-Gogh-Ausstellung:Selfie mit Vincent

Lesezeit: 3 min

Überlebensgroßes Fotomotiv: Die Sonnenblumen von Vincent van Gogh. (Foto: Florian Peljak)

Die Kunst-Show "Van Gogh Alive" in der Münchner Utopia-Halle will seine Besucher mit Farben, Tönen und sogar Gerüchen tief in die Welt des Künstlers ziehen - kann das funktionieren?

Von Anastasia Klimovskaya, München

Nach den ersten Tönen von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" explodiert an den Wänden ein Farbenfeuerwerk. Die Utopia-Halle füllt sich mit Projektionen der bekanntesten Werke von Vincent van Gogh - dem Künstler, der inzwischen so tief in der Pop-Kultur verankert ist, dass auch ein unerfahrener Zuschauer die einzigartigen Pinselstriche schnell auf den großformatigen Leinwänden erkennt. Als bunte Kleckse werden zu Beginn der Animationsreihe die Selbstporträts des Künstlers vorgestellt. Gemalt zu unterschiedlichen Phasen seines Werdegangs, zeigen sie van Goghs wechselnde Gemütszustände.

Es folgen Blumenbilder, Landschaftsmalereien, Stillleben und Porträts, die die Zuschauer mit auf eine Reise von der niederländischen Provinz durch Paris und Arles bis hin zur Nervenheilanstalt in Saint-Rémy und seinem letzten Zufluchtsort Auvers-sur-Oise nehmen. In den Focus von " Van Gogh Alive" gerät so der zehnjährige Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit zwischen 1880 und 1890.

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Pünktlich um 10 Uhr morgens am Eröffnungstag erscheinen die ersten Ausstellungsbesucher vor den Türen der Utopia-Halle. Innerhalb von wenigen Minuten füllt sich der Saal mit Publikum, von begeisterten Van-Gogh-Liebhabern und kunstaffinen Familien bis hin zu gelangweilten Oberstufenschüler oder Grundschulklassen. Das Konzept der Multimedia Ausstellung solle laut Mitveranstalter Julian Hackenberg einen niederschwelligen Zugang zu Kunst ermöglichen. Das Projekt "Van Gogh Alive" stammt vom in Melbourne ansässigen Unternehmen Grande Experiences und wurde seit 2011 bereits in mehr als 70 Städten weltweit gezeigt. Seit Jahren erleben die immersiven Ausstellungen einen Boom, und gerade in der Zeit nach der Pandemie, wenn die Menschen süchtig nach Interaktion sind, kann man bei so einem multisensorischen Spektakel mit Erfolg rechnen.

Die Selbstporträts des Künstlers sind in dichter Folge zu sehen. (Foto: Florian Peljak)

Es ist ein wahrhaftes Vergnügen für die Augen, die von Sonnenblumen, Sakura und Iris bedeckten Wände und Boden des Saals anzuschauen. Die musikalische Begleitung und Duftaromen von Muskatnuss und Sandelholz ergänzen das sinnliche Erlebnis. Die Zuschauer sitzen verträumt auf dem Boden, einige Kinder rennen in der Begeisterung herum. "Sind wir hier etwa im Kino?", fragt ein Grundschüler seine Lehrerin. Auch wenn die Frage naiv klingt, so zeigt sie auch gleichzeitig den Schwachpunkt der Show. Während man bei einem Museum an den Bildern vorbeigeht und sich länger vor einem Gemälde aufhalten kann, um die Details zu studieren, wird man bei "Van Gogh Alive" mit den Inhalten bombardiert.

Etwa 3000 Bilder und Ausschnitte werden in der Ausstellung gezeigt, auf der Projektionsfläche bleiben sie aber nur für wenige Sekunden stillstehen. Kann man wirklich von einem niederschwelligen Zugang zu Kunst sprechen, wenn die Show von einem Kind nicht gleich in den richtigen Kontext gesetzt werden kann und keines der Werke originalgetreu in Erinnerung bleibt? Gerade die Animationen allerdings bringen die jüngsten Zuschauer zum Staunen. Auch in einem Museum wirken die Gemälde von van Gogh wie beweglich ­- in den Projektionen wird der Effekt allerdings noch verstärkt.

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Die bunten Blumenfelder wechseln zu farbigen Stillleben aus van Goghs Pariser Zeit. Einer nach dem anderen erscheinen die animierten Äpfel und Birnen auf den gemalten Teller im Rhythmus der Musik. Danach wechselt die Kulisse zu Arles, einer Stadt in Südfrankreich, in der van Gogh wahrscheinlich die glücklichsten Momente seines Lebens verbrachte. Hier verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Künstlers, dem die Videoreihe nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenkt ­- vielmehr steht im Mittelpunkt, was für Werke in dieser Phase gemalt wurden.

Als der erste flackernde Stern auf den dunklen Wänden erscheint und die animierte "Sternennacht" mit dem schimmernden Wasser zum Vorschein kommt, sieht man im Publikum die höchste Form postmoderner Begeisterung: Knapp hundert Handys werden aus den Taschen geholt, um den Moment im Smartphone-Gedächtnis zu verewigen.

Van Goghs "Sternennacht über der Rhone" löst ein Handy-Foto-Gewitter aus. (Foto: Florian Peljak)

An Instagram-tauglichen Momenten mangelt es in der Ausstellung nicht, im Vorraum ist sogar eine Foto-Ecke eingerichtet, die van Goghs Schlafzimmer in Arles nachgebildet ist. Über den Werdegang des Künstlers wird allerdings nicht allzu viel berichtet. Wenn das Ziel der Ausstellung ist, van Goghs Kunst für alle zugänglich zu machen und in Form leichter Unterhaltung anzubieten, könnte man das Konzept als gelungen bezeichnen. Wer van Goghs Kunst bisher nicht so oft begegnet ist, verliert in der Fülle der Farben und visuellen Inhalten allerdings schnell den Überblick.

"Ein großes Feuer brennt in mir, aber niemand hält an, um sich daran zu wärmen, und die Passanten sehen nichts als ein wenig Rauch", steht als Zitat von van Gogh an der Wand in der Eingangshalle. Beinahe prophetisch beschreibt es die Ausstellung. Die Tiefe der Persönlichkeit des Künstlers wird reduziert auf einen genialen aber verrückter Maler, der in seinem Wahn zahlreiche farbige Bilder erschaffen und sich später ein Ohr abgeschnitten hat. Van Gogh starb mit 37 Jahren und konnte seinen Durchbruch als Künstler nicht mehr miterleben. 130 Jahre nach seinem Tod ist er jedenfalls ein Popstar, mit einer langen Schlange vor seiner Schlafzimmer-Selfie-Ecke und ohrförmigen Radiergummis im Museumsshop.

Van Gogh Alive - The Experience , Di., 27. Juli bis Mo., 1. Nov., , täglich von 10-21 Uhr, Utopia, Heßstr. 132, Tickets unter: www.vangogh-alive.de

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