Ausstellung:Unter einem Dach

Lesezeit: 2 Min.

Geschichten und Geschichte überlagern sich in den Werken von Alice Rekab, wie hier in der Collage "MeandMyMumsLament" von 2021, die auf einem Gemälde von Louis Meade basiert. (Foto: Alice Rekab)

Die Künstlerin Alice Rekab aus Irland macht aus der Münchner Villa Stuck ein Mehrfamilienhaus.

Von Jürgen Moises

Was wir sind, das sagt die Wissenschaft, bestimmen zu einem Großteil unsere Gene. Aber da sind auch noch die Geschichten, die wir selbst oder die andere von uns erzählen. Auch sie bestimmen unsere Identität. In einer sozialen Gemeinschaft kommen wir dem gar nicht aus. Eine große Rolle spielt zudem die familiäre Herkunft. Und bei heutigen migrantischen Biografien kann das zuweilen kompliziert werden.

So wie bei Alice Rekab, die mit " Mehrfamilienhaus" aktuell in der Münchner Villa Stuck ihre erste Einzelausstellung in Deutschland hat. Die Künstlerin wurde 1987 in Dublin geboren. Ihre Mutter ist Irin, ihr Vater stammt aus Sierra Leone. Und dieser Identitätsmix ist äußert prägend für Rekabs Arbeit.

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Konkret für die Ausstellung heißt das, dass man in den ehemaligen Wohn- und Arbeitsräumen von Franz von Stuck auf Dokumente und Fragmente aus Rekabs Familiengeschichte stößt. Das gilt vor allem für das Erdgeschoss, wo die von ihr hinterlegten Objekte oder Bücher den Eindruck eines aktuell bewohnten Raums erzeugen sollen. So als würde Rekabs Familie dort leben. Dazu gehört ihre Großmutter aus Sierra Leone. Die steht nun als Foto auf einem Kaminsims. Daneben liegt ein Tuch, in das ihr altes Gebetsbuch gehüllt ist. Am Boden liegen eine Baumwoll-Spule und ein Buch von 1958, auf dessen aufgeschlagener Seite man eine Diamantenmine sieht. Verweise auf die wirtschaftliche und politische Geschichte von Sierra Leone.

Die Schlange ist ein wiederkehrendes Motiv

Die Objekte, zu denen auch ein Englisch-Wörterbuch und Werke von Denkern wie Frantz Fanon gehören, stammen fast alle aus den 1950er- bis 1970er-Jahren. Einer Zeit, in der Rekabs Eltern jung waren. Sie sind mit kleinen, ungebrannten Tonfiguren kombiniert, die Menschen, Tiere, Mischwesen oder Gottheiten aus der sierra-leonischen Mythologie darstellen. Ein wiederkehrendes Motiv sind Schlangen. Als vieldeutiges Symbol können sie für Verführung, das Böse aber auch für Gesundheit stehen. In Irland denkt jeder dabei an St. Patrick, der angeblich die Schlangen von dort vertrieben hat. Weil diese sich häuten und damit quasi eine neue Existenz beginnen können, stehen sie gleichsam für den Wandel der Identität.

Gefundene, bereits benutzte Objekte zu verwenden, ist für Rekab wichtig. Weil sie lebendig sind, genauso wie das organische Material im Ton. (Foto: Jann Averwerser)

Auch Spiegeln begegnet man in der Ausstellung immer wieder. In Stucks ehemaligem Arbeitszimmer etwa liegen mehrere davon auf dem Boden. Darauf hat Rekab Tonfiguren drapiert. Man kann die Spiegel als Symbol für Selbstreflexion und das häusliche Umfeld verstehen. Für Rekab sind sie aber auch ein magisches Portal. In ihren Collagen führt sie digitale Zeichnungen mit Fotofragmenten zusammen. Auf einem sieht man ihren jungen Vater, einen Musiker, kombiniert mit archivarischen Fotos von der Villa Stuck. Für "Samir's Dream" hat Rekab ein ausrangiertes Bett als Untergrund verwendet. Bei "MeandMyMumsLament" hat sie ein altes Gemälde ihrer Mutter, einer Malerin, kopiert und mit einer Collage darauf reagiert.

Alice Rekabs Vater lebte zehn Jahre in Deutschland

Gefundene, bereits benutzte Objekte zu verwenden, ist für Rekab wichtig. Weil sie lebendig sind, genauso wie das organische Material im Ton. Das alte Bett etwa hat sie 2022 während einer vom Kunstverein München organisierten Künstler-Residenz am Ammersee entdeckt. 2021 hatte sie eine Residenz in der Villa Waldberta. Viele Arbeiten der Ausstellung sind dort entstanden. Der Kontakt zur Villa Stuck kam durch die Kuratorin Sabine Schmid zustande, die 2019 selbst eine Residenz in Dublin hatte. Einen biografischen Bezug zu Deutschland hat Rekab übrigens auch. Ihr von der Mutter längst getrennter Vater lebte für rund zehn Jahre hier.

Über ihn hat sie auch das deutsche Wort "Mehrfamilienhaus" kennengelernt, das nun für die Utopie steht, Kulturen, Narrative und Materialien zusammenzubringen, aber auch ihre auf Irland und Sierra Leone verteilte Familie. Die glaubt man nach dem Besuch der Ausstellung zu kennen. Aber trotz aller Privatheit bewahren sie ihr Geheimnis. Weil nur Alice Rekab die Geschichten dazu kennt, die sich nun mit der von Franz von Stuck und mit der unsrigen vermengen. Wie das so ist im Mehrfamilienhaus.

Alice Rekab. Mehrfamilienhaus, bis 14. Mai, Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, www.villastuck.de

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