In Sachen Export war Deutschland einmal Weltmeister. Für den Europatitel reicht es aber immer noch. Und das gilt leider auch in Sachen Müll. Der Großteil der exportierten Abfälle landet in Südostasien, auch nach Afrika wird viel ausgeführt. Und das Absurde ist: Die ursprünglichen Rohstoffe stammen ebenfalls oft von dort. Sie werden bei uns zu Konsumartikeln verarbeitet, danach schicken wir sie gebraucht oder kaputt zurück.
Dort führen sie nicht selten noch ein zweites Leben, wie man nun auch in der Ausstellung " From Mystic To Plastic" im Museum Fünf Kontinente in München erfährt. Dort sind mit "Engungun" und "Homo Detritus" zwei Fotoserien von Stéphan Gladieu ausgestellt, die in den vergangenen fünf Jahren in der Republik Benin und der Demokratischen Republik Kongo entstanden sind.
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Das englische Wort "Detritus" steht für abgestorbene Tier- oder Pflanzenreste, kann aber auch Gesteinsschutt meinen. Der Begriff "Homo Detritus" wiederum steht für "ein neues Pantheon von Mutanten", wie der in der Republik Kongo geborene, französische Schriftsteller Wilfried N'Sondé in den Begleittexten zur Fotoserie schreibt. Sie sehen aus wie alte Superhelden, wie Superman oder Batman im "Kinshasa-Stil" oder wie Power-Rangers "Made in Congo". Nur bestehen ihre Kostüme allesamt aus Müll, das heißt aus: Mobiltelefonen, Kabeln, Rasierklingen, Plastikpuppen, Trinkbechern, Reifen, Haaren oder Pappkartons. Wodurch sich ihre Namen erklären, wie "Reifen-Mann", "Rasierklingen-Mann", "Trinkbecher-Mann" oder "Elektrik-Frau".
Fotografiert hat der Franzose Gladieu diese neuen Superhelden in Kinshasa. Auf den sorgfältig inszenierten Bildern stehen sie vor Mauern oder in den Straßen. Sie treten mitten im Alltag auf und sehen selbstbewusst, stolz und trotz ihrer "trashigen" Kostüme einfach fantastisch aus. Diese Ambivalenz ist es auch, die Gladieu fasziniert hat. Wer dahinter steckt? Nun, bei Superhelden soll man das ja eigentlich nicht verraten. Und außer dem Anführer Eddy Ekete Mombesa wird tatsächlich auch niemand namentlich genannt. Mombesa ist Künstler, und er hat seit 2018 peu à peu weitere Künstler um sich geschart, die sich als Kollektiv "Ndaku ya, la vie est belle" nennen.
Hinzu gesellen sich als Maskenträger zahlreiche Straßenwaisen, Flüchtlinge oder traumatisierte Veteranen, die meist als nicht integrierbar gelten. Auch sie sind Verstoßene, so wie der von uns verstoßene Müll. Und dieser "Müll" schaut uns nun stolz und fordernd in die Augen. Denn wenn sie als Helden einen wahren Gegner haben, dann sind das die Öko-Sünder und Bodenschatz-Räuber. Dann sind das wir. Aber es geht hier nicht nur um Bizarro-Varianten westlicher Superhelden. Die jungen Künstler knüpfen mit ihren anfangs aus Materialnot entstandenen Recycling-Kostümen zudem an afrikanische Maskentraditionen an, nach denen deren Trägern übernatürliche und spirituelle Kraft verliehen wird.
Bei den Engungun-Zeremonien rufen Familien ihre Ahnen zu Hilfe
Womit wir bei der Fotoserie "Engungun" wären. Mit "Engungun" sind bei den Yoruba und anderen Bevölkerungsgruppen in der Republik Benin die sichtbaren Manifestationen der Vorfahren gemeint. Einmal im Jahr kehren die toten Ahnen an einem großen Familienfest zurück. Anlass dafür kann ein Todesfall, aber auch ein Streit, eine Missernte oder eine andere Krise sein. In dem Fall ruft man die Vorfahren zu Hilfe, erhofft sich ihren Segen und dass sie das Wohlergehen der Gemeinschaft wiederherstellen. Dafür schlüpfen Mitglieder der Gemeinschaft, ausschließlich Männer, hinter Masken und in aus mehreren Lagen patchwork-artig zusammengenähte, meist sehr prunkvolle Kostüme, deren Wertigkeit etwas über den Status der Familie verrät.
Ansonsten kennen nur Eingeweihte die genaue Bedeutung der Masken, Kostüme oder Tänze. Gladieu, der seit 1989 als Kriegs- und Porträtfotograf weltweit unterwegs ist, hatte zumindest einen kleinen Einblick. Bei den Zeremonien kann es übrigens auch zu Gewalt kommen. Wenn rivalisierende Familien aneinandergeraten. In Benin gelten die Zeremonien heute als Voudou. Nur muss man wissen: Voudou ist seit den Neunzigern dort Staatsreligion. Der Tanz der Engungun, der wiederkehrenden Toten, er bleibt somit weiterhin lebendig.
"From Mystic to Plastic" . Afrikanische Masken. Fotografien von Stéphan Gladieu, bis 6. Aug., Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42, www.museum-fuenf-kontinente.de