Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Gut betucht

Eine Ausstellung im Museum Fünf Kontinente präsentiert kostbare Stickereien und Alltagsgegenstände aus dem Osmanischen Reich.

Von Jürgen Moises

So könnte es aussehen, das Paradies. Pavillons und Zelte in blühenden Gärten. Dazwischen Zypressen, Platanen und riesige Blumen. Dargestellt ist diese Szenerie auf einem Yağlik, einem an der Schmalseite bestickten, osmanischen Leinentuch, mit dem beim Essen die Knie bedeckt wurden. Man könnte auch Serviette dazu sagen. Die genannten Motive wurden auf das Tuch gestickt, in goldenen, silbernen, roten, dunkelgrünen und weiteren Farben. Die Besonderheit: Das Tuch hat keine Vorder- und Rückseite, sondern zwei identische, gleichwertige Schauseiten. Wer sie geschaffen hat, ist nicht bekannt. Genauso wie bei den meisten anderen gewebten und bestickten Tüchern aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, die man aktuell im Münchner Museum Fünf Kontinente sehen kann.

"In trockenen Tüchern. Gewebtes und Besticktes aus dem Osmanischen Reich" heißt die Ausstellung, die in eine fremde, vor 100 Jahren zu Ende gegangene Welt entführt. Am 1. November 1922 schaffte die Regierung in Ankara unter Mustafa Kemal das Sultanat ab. Und damit auch die höfische, elitäre Alltagskultur, die sich in vielen der Exponate widerspiegelt. Darunter sind Kopf-, Gürtel- und Badetücher, Einschlag- oder Spiegeltücher und die erwähnten Servietten. Hergestellt wurden sie in häuslicher Arbeit von Frauen, für den eigenen Bedarf, die Aussteuer und zuweilen den Verkauf. Ein Großteil der luxuriösen Exemplare mit Stickereien auf Samt, Leder oder Satin wiederum stammte aus städtischen Manufakturen. Und dort arbeiteten vielfach Männer.

Mit der Qualität und Mode der verwendeten Tücher demonstrierte man seinen Reichtum, seine soziale Stellung. Das galt genauso für die Kaffeekannen oder Tassen, die Süßigkeitendose oder die Sandalen, die man im Hamam, im Badehaus trug. Auch dafür gibt es in der sehr informativen und sinnlich ansprechenden Ausstellung Beispiele zu sehen. Man lernt viel über die symbolische Bedeutung und gesellschaftlichen Hintergründe der Motive, bekommt verschiedene Stick-Techniken erklärt oder auch wie eine Leinwandbindung funktioniert. Im von Anahita Nasrin Mittertrainer verantworteten Katalog wird vieles davon noch vertieft. Und im Begleitprogramm werden neben Vortrag, Lesung und Führung auch Stickworkshops für Kinder und Erwachsene angeboten.

Entsprechende Stickmuster, Materialien und Motivvorlagen liegen bereits auf einem Tisch inmitten der Ausstellung. Man kann diese anschauen und anfassen, während auf Leinwänden ringsumher kurze Filme laufen, in denen Hände gewaschen werden oder eine Hand Kaffee in Tassen gießt. Das soll zeigen: Diese Dinge, die man hier in Vitrinen sieht, gehörten zum Alltag. Sie hatten ein sehr sinnliches Moment. Man bewahrte sie zwar teilweise in Truhen auf. Aber sie sollten nicht nur beeindrucken und gefallen, sondern auch benutzt, in die Hand genommen werden. Dementsprechend sieht man auf manchen Tüchern Ausbesserungen und ihnen damit ihre Geschichte an.

Interessant ist auch, wie die Motive sich veränderten. So zeigten sich im 18. Jahrhundert Einflüsse des Barock und Rokoko. Und im 19. Jahrhundert gab es mit Girlanden, flatternden Seidenbändern oder naturalistisch dargestellten Pflanzen fast nur noch westliche Motive. Die gezeigten Stücke stammen aus museumseigenen Beständen sowie den Privatsammlungen von Werner Middendorf und Ulla Ther. Manche wurden auf Märkten gekauft, andere wurden vergleichbar mit der westlichen Tradition der Aussteuer von Müttern an ihre Töchter weitergegeben. Daran erinnern Zitate ganz am Ende. "Es ist das Einzige, was mir über Generationen übrig geblieben ist", schreibt eine Frau über den Inhalt einer vermachten Truhe. Was zeigt, dass zahlreiche der Tücher nicht zuletzt sehr persönliche Schätze waren.

In trockenen Tüchern. Gewebtes und Besticktes aus dem Osmanischen Reich, bis 11. Juni, Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42, www.museum-fuenf-kontinente.de

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