Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Zeitreise mit Astro Boy

In einer Ausstellung im Museum Fünf Kontinente treffen Manga-Figuren auf traditionelle japanische Malerei.

Von Jürgen Moises

Was passiert, wenn ein Maler und ein Schriftkünstler zusammen wirken? Nun, heute könnte man raten: Es kommt vielleicht ein Comic heraus. Im Japan des frühen 17. Jahrhunderts entstand auf diese Art der Rimpa-Stil. Eine Kunst, eine Ästhetik, die eine auffällige Tendenz zum Dekorativen hat. Typisch sind ineinander verschwimmende Tuschtöne, leuchtende Farben, Goldgründe, abstrakte Formen und stilisierte Darstellungen. Inhaltlich gibt es Bezüge zur Natur, den Jahreszeiten und zur klassischen japanischen Literatur. "Erfunden" wurde Rimpa von Tawaraya Sōtatsu, der heute als einer der innovativsten Maler Japans gilt, und Hon'ami Kōetsu, einem der größten Schriftkünstler seiner Zeit. Gemeinsam schufen sie luxuriös gestaltete Gedichtpapiere und hatten damit neben der Malerei auch auf die japanische Textil-, Keramik- und Lackkunst sowie den europäischen Jugendstil Einfluss.

Dass ihre Kunst bis heute weiterwirkt, kann man aktuell in der Ausstellung " Rimpa Feat. Manga. Japanische Malerei aus der Sammlung Hosomi" im Museum Fünf Kontinente in München sehen. Hier werden nicht nur Rimpa-Werke aus den vergangenen drei Jahrhunderten gezeigt, sondern wie der Titel andeutet auch japanische Comics. Die sind vor allem bei Jugendlichen populär. Auch in Deutschland hat das Manga-Fieber schon so einige ergriffen. Ähnliches gilt für die virtuelle Sängerin Hatsune Miku, die eigentlich als Werbefigur für eine Stimmsynthesizer-Software geschaffen wurde und zu einem Popstar und Internet-Phänomen geworden ist. In der Ausstellung trifft Hatsune Miku gemeinsam mit Manga- und Anime-Figuren wie Astro Boy, Prinzessin Saphir oder Kimba auf klassische Rimpa-Motive. Und das Ergebnis ist mal komisch, mal irritierend, sehr verblüffend oder einfach nur: niedlich.

So sieht man etwa Astro Boy, einen Roboterjungen, wie er mit Düsenantrieb über den Berg Fuji fliegt. Oder Phönix, einen mythischen Feuervogel, der über drei Inseln und einem tosenden Meer schwebt. Astro Boy und Phönix stammen von Tezuka Osamu (1928 - 1989), der in Japan als "Gott des Manga" gilt. Der Berg und die Inseln stammen von Ogata Korin (1658 - 1716), dem bekanntesten Vertreter des Rimpa-Stils (tatsächlich heißt "Rimpa" nichts anderes als "Schule des Korin"). Das heißt: Die Originale, zwei mit Tusche, Farben und Gold bemalte Stellschirme, sind von ihm. Mitarbeiter des Kimono-Ateliers Toyowadō in Kyōto haben die Stellschirme erstaunlich gut kopiert und um Astro Boy und Phönix erweitert. In der Ausstellung stehen sich die Originale und "modernisierten" Kopien gegenüber. Ein Grundprinzip, das die gesamte Schau bestimmt.

Aber was ist das nun? Ein Gag, eine Hommage oder gar Blasphemie? Für Shinya Yamada, Leiter der Textil-Firma Toyowadō, ist es in erster Linie eine Hommage sowie der Versuch, ein junges Publikum an die Rimpa-Malerei, die klassische japanische Kunst, heranzuführen. Denn Astro Boy und Hatsune Miku kennen alle. Aber welcher Teenager hat schon von Ogata Korin gehört? Oder von Sakai Hōitsu (1761 - 1828), der den Rimpa-Stil im 19. Jahrhundert wiederbelebt und in Edo, dem heutigen Tokyo, etabliert hat. Oder von Suzuki Kiitsu (1796 - 1858), der das Dekorative der Rimpa mit detaillierten und äußerst realistischen Zeichnungen verband. Oder Kamisaka Sekka (1866 - 1942), der den Rimpa-Stil Anfang des 20. Jahrhunderts stark modernisiert hat. Von ihnen allen sind Werke und Neufassungen zu sehen.

Eine Ausnahmefigur stellt in mehrfacher Hinsicht Itō Jakuchū (1716 - 1800) dar. Er galt als "Exzentriker", malte Vögel, Gemüse, Insekten. Themen, die es zuvor in der japanischen Kunst kaum gab. Aber er war kein eigentlicher Rimpa-Maler. Seine "Hähne, Hühner und Küken" auf einem Stellschirmpaar sind jedenfalls eine Entdeckung. Durch Jakuchūs expressive Pinselstriche wirken die Vögel äußerst lebendig. Auf den Kopien darf Hatsune Miku neben zwei Hähnen stolzieren. Und auf der Neuschöpfung von Jakuchūs "Welpe und Besen" wurde der Welpe durch Unico ersetzt, ein junges Einhorn, das Tezuka Osamu in den Siebzigern für eine Zeitschriften-Serie erschaffen hat.

Die Originale stammen aus dem Hosomi Museum in Kyōto. Dessen mehr als 1000 japanische Kunstwerke umfassende Sammlung geht zum großen Teil auf den Vater und Großvater des heutigen Leiters Hosomi Yoshiyuki zurück. Der Kontakt zwischen den Museen wurde durch die in Köln ansässige Japan Foundation vermittelt, nachdem ein anderes deutsches Museum wegen Corona abgesprungen war. Die Chance, die Bilder nach München holen, wollte sich die Direktorin des Museums Fünf Kontinente, Uta Werlich, nicht nehmen lassen, wie sie bei der Eröffnung sagte. Und sie sieht sie vor allem als "Geschenk" an die Besucher. Hosomi Yoshiyuki betonte bei der Eröffnung wiederum seine Verblüffung darüber, wie gut Rimpa und Manga zusammenpassen. Mit der Folge, dass er sich beim Betrachten von Ogata Kōrins Original-Stellschirm mit dem "Berg Fuji" nun jedes mal die Frage stellt: Wo ist Astro Boy?

Rimpa Feat. Manga. Japanische Malerei aus der Sammlung Hosomi, bis 9. Januar, Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42, www.museum-fuenf-kontinente.de.

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