Ganz ruhig und idyllisch liegt er da, der Starnberger See. So wie ihn Christian Ernst Bernhard Morgenstern auf seinem gleichnamigen Gemälde von 1840 dargestellt hat. Gerade mal ein oder zwei Boote lassen sich auf dem leeren See erkennen. Hinten ragen die Berge in die Höhe, vorne ein paar Pflöcke aus dem Wasser. Von einer solchen Ruhe kann man am Starnberger See heute nur noch träumen. Zu sehr ist dieser wie so viele andere Orte von Menschen überrannt. Somit ist das aktuell im Lenbachhaus zu sehende Gemälde das Dokument einer verlorenen Welt, zu der ein Stück weit auch sein Erschaffer gehört. Ist der 1867 in München gestorbene Morgenstern, der im 19. Jahrhundert als bedeutender Landschaftsmaler galt, heute doch weitgehend vergessen.
„Was zu verschwinden droht, wird Bild. Mensch – Natur – Kunst“ heißt die zugehörige, höchst sehenswerte Ausstellung im Lenbachhaus, das sich damit einem der Grundimpulse aller Kunst widmet: Der törichten, wahnwitzigen Idee, das Flüchtige, Vergängliche festhalten zu wollen. Man könnte das Ganze auch einen Gemeinplatz nennen. Nur ist es so, dass dieser Gedanke in Zeiten des Klimawandels eine neue Dringlichkeit erfährt. Mit der Folge, dass man statt einer schönen fast nur noch bedrohte Natur sieht. Und das führt auch dazu, dass man noch einmal ganz neu auf vergangene, teilweise sehr vertraute Naturbilder blickt.
Dazu gehören etwa Gemälde von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, bei denen Aspekte wie Licht- und Farbeffekte, Expressivität und Farbsymbolik eine wichtige Rolle spielen. Sie zeigen aber gleichzeitig auch jene Landschaft zwischen Kochel und Schlehdorf, wie sie Kandinsky im Sommer 1902 wahrnahm. Und die blühenden Bäume in Lana, wie sie Münter 1908 vor der Bergwelt Südtirols sah. Die französischen Landschaftsmaler, die von 1830 an im Wald von Fontainebleau zusammenfanden, gelten heute als Pioniere der Freilichtmalerei. Im Jahr 1842 wurden ebendort aber auch die ersten markierten Wanderrouten der Welt angelegt. Und durch den Einsatz des Malers Théodore Rousseau wurde ein Teil des Waldes zu einem der allerersten Naturschutzgebiete.

Ebenfalls dem intensiven Naturstudium verpflichtet sah sich der Maler Johann Georg von Dillis, der 1808 zum Professor für Landschaftsmalerei an der Münchner Kunstakademie berufen wurde. Bekannt war Dillis für seine Darstellungen bäuerlichen Lebens und für Reiseskizzen. Seine eindrucksvollsten Bilder widmete er aber den vielleicht flüchtigsten Dingen überhaupt: den Wolken. Viele seiner federleichten Wolkenstudien auf grauem und blauem Papier, die in der Ausstellung fast einen ganzen Raum einnehmen, entstanden mit Blick aus dem Fenster seiner Dienstwohnung im Münchner Hofgarten. Auf wirkliches Interesse stießen sie erst in den 1980er Jahren. Sucht man nach Vergleichen, fallen einem Gerhard Richters Wolkenbilder aus den 1970er Jahren ein.

Einen eigenen Raum hat auch Fritz Winter bekommen. Im Zentrum steht dabei seine Serie „Am Wehr“. Diese entstand um das Jahr 1936 herum mit Bezug auf einen expressiven Gedichtzyklus von Otto (Philipp) Huber. Zu sehen sind nächtliche, surreale Meeres-Szenen. Aus ihrer Düsternis spricht auch Winters Leiden unter dem Nationalsozialismus. Weit erbaulicher wirken da die Gemälde von Jean Bloé Niestlé, einem Weggefährten von Franz Marc. Darauf zu sehen sind „ziehende Stare“ und „Wasserpieper“, deren Vorbilder Niestlé in den Loisach-Kochelsee-Mooren fand.

Zu Künstlern anstatt zu Motiven hat Timm Ulrichs Honigbienen bei seiner „Bienenwaben-Wachscollage“ gemacht. Dafür setzte er einen Keilrahmen in einen Bienenstock ein und ließ die Tiere dort ihre Waben bauen. Hier ist die Natur also kein verfügbares Objekt, sondern gleichberechtigter Akteur. Und am Ende ist genau das wohl auch die wichtigste Botschaft: Der Ausweg aus der aktuellen Klimakrise gelingt nur im Schulterschluss mit der Natur.
Was zu verschwinden droht, wird Bild. Mensch – Natur – Kunst, bis Frühjahr 2026, Lenbachhaus, Luisenstr. 33, www.lenbachhaus.de