Gerechter unter den Völkern – das ist ein Ehrentitel für nichtjüdische Menschen, die ihr eigenes Leben riskiert haben, um während der NS-Diktatur verfolgte Jüdinnen und Juden vor der Ermordung zu retten. Etwa 28 000 mutige Männer und Frauen weltweit zählt die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu ihnen. Knapp hundert dieser „stillen Helden“, wie sie Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) nennt, leben noch. Einer von ihnen ist der 95 Jahre alte Andrzej Sitkowski. Er war Ehrengast bei einer Ausstellung, die unter allerhöchsten Sicherheitsvorkehrungen am Donnerstagabend im Justizpalast eröffnet wurde – eine Woche nach dem Terroranschlag auf das NS-Dokuzentrum und das israelische Generalkonsulat in München.
Es war das erste Zusammentreffen von Politik, Stadtgesellschaft und hochrangigen Vertreterinnen der jüdischen Gemeinde nach den Schüssen. Schlangen vor den Ausweiskontrollen, penibles Durchleuchten der Taschen, Dutzende Justizangestellte und bewaffnete Polizeibeamte, die das Gebäude am Stachus weiträumig absichern: So sieht es aus in diesen Tagen, in denen Antisemitismus und Rassismus wieder erstarken. „Es ist bestürzend, wenn 79 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Juden wieder das Gefühl der Unsicherheit haben müssen“, sagte denn auch Hausherr Eisenreich eingangs.
Dass in den Stuhlreihen hinter Gästen wie Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, oder Talya Lador-Fresher, der israelischen Generalkonsulin, bei Veranstaltungen mindestens zwei verkabelte Personenschützer sitzen, ist inzwischen längst ein übliches Bild. An diesem Abend schienen es noch mehr zu sein im großen Gerichtssaal, in dessen Nähe einst die Weiße-Rose-Prozesse verhandelt wurden.
„Auf derselben Seite – Die Letzten der Gerechten unter den Völkern“ heißt die neue Ausstellung im Justizpalast (Prielmayerstraße 7), die bis zum 15. November öffentlich zugänglich ist. Die Münchner Rechtsanwältin und Fotografin Lydia Bergida und der Berliner Fotograf Marco Limberg haben 17 Menschen besucht und porträtiert, die jüdische Leben gerettet haben. „Wir wollen mit unseren fotografischen Erzählungen den Gerechten eine Stimme geben, in einer Zeit, in der Hass, Antisemitismus, Krieg und die Erosion von Demokratien weltweit wieder an der Tagesordnung sind“, sagen die beiden.
Dem im Allgäu lebenden Andrzej Sitkowski etwa, der mit seiner Familie während des Zweiten Weltkriegs in Warschau eine jüdische Frau und ihre beiden Töchter vor den Nazis gerettet hatte. Die Familie versteckte sie bei sich, gab den Kindern Unterricht. Auch sein Porträt ist im Atrium des Justizpalastes zu sehen, auf einer beleuchteten Stellwand. „Wir trafen auf Menschen, die eine starke Persönlichkeit ausstrahlen, mit viel Empathie und menschlicher Wärme“, berichtet Bergida.
„Die Gerechten aus den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt, heißt es im Talmud. Aber sie müssen auch einen Platz in dieser Welt haben“, sagte Hans-Joachim Heßler, Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Oberlandesgerichts München. Das Erinnern an die Verbrechen des Holocaust komme von verschiedenen Seiten unter Druck. Viele fragten sich, was der Einzelne tun könne, so Heßler. Charlotte Knobloch sagte, dass die Gerechten unter den Völkern bewiesen hätten, dass niemand im Angesicht der Judenverfolgung zur Untätigkeit verurteilt war. „Jeder Einzelne hatte die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Jeder hatte die Wahl.“
„Gerade heute hat die Ausstellung eine besondere Aktualität und zeigt, dass Menschenwürde und Rechtsstaat unverzichtbare Elemente der Demokratie sind“, sagte Ludwig Spaenle in einer leidenschaftlichen Rede. Der Beauftragte der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und Antisemitismus hat gemeinsam mit der Brodt Foundation und dem Förderverein NS-Dokumentationszentrum München die politische Kunstaktion unterstützt. Auch Charlotte Knobloch meint: „Es gibt keinen passenderen Zeitpunkt für diese Ausstellung als jetzt.“