Ausstellung:Wenn der Nebel fällt

Ausstellung: Ein Wellness-Bad im Haus der Kunst? Nein, die erste umfassende Werkschau von Fujiko Nakaya außerhalb Japans: "Nebel Leben". Hier eine Installationsansicht von "Munich Fog (Wave), #10865/I".

Ein Wellness-Bad im Haus der Kunst? Nein, die erste umfassende Werkschau von Fujiko Nakaya außerhalb Japans: "Nebel Leben". Hier eine Installationsansicht von "Munich Fog (Wave), #10865/I".

(Foto: Andrea Rossetti/Haus der Kunst)

Die Japanerin Fujiko Nakaya erschafft im Münchner Haus der Kunst faszinierende Skulpturen aus Wasserdampf.

Von Jürgen Moises

Blau schimmerndes Wasser, in dem sich die hohe Decke spiegelt. Darum herum und mittendrin ein Holzsteg, mit dem man das kühle Nass umschreiten kann. Wenn dann plötzlich auch noch Nebel aufsteigt, könnte man das Gebäude für ein Wellness-Bad halten. Oder für eine Ausgeburt des Traums. Denn schließlich ist man vorhin an der monumentalen Fassade des Hauses der Kunst vorbeimarschiert und danach im Eingangsbereich an der Kasse. Von Wellness oder Dampfbad stand dort nichts, dafür etwas von "Nebel" und von "Leben". Außerdem war mit "Fujiko Nakaya" ein japanischer Name zu lesen, der am Ende aber erklärt, warum sich die große Mittelhalle im Ostflügel des Hauses auf eine so wunderliche Art verändert hat.

Denn Fujiko Nakaya ist Nebelkünstlerin. Aus diesem flüchtigen, zwar sicht-, aber nicht greifbaren Material erschafft die 1933 in Sapporo geborene Japanerin Skulpturen und Installationen. Damit wurde sie in Japan, auch in Amerika und in Künstlerkreisen sehr bekannt, in Europa aber weniger. Und so ist erst jetzt, wo Nakaya bald 89 wird, unter dem Titel "Nebel Leben" ihre erste umfassende Werkschau außerhalb von Japan zu sehen. Wieso? Das könnte am Material liegen. Lässt sich Nebel doch nicht sammeln. Zudem wurden viele ihrer mehr als 90 Nebel-Arbeiten nur ein einziges Mal gezeigt. Auch Dokumentationen gibt es nicht viele. Von ein paar kann man Videos und Fotos in der Ausstellung sehen. Andere wurden dafür rekonstruiert, zwei wurden völlig neu geschaffen.

Dazu gehört "Munich Fog (Wave), #10865/I" im Mittelsaal. Die andere heißt "Munich Fog (Fogfall) #10865/II" und ist im Außenraum an der Ostseite des Hauses angebracht. Oben unter dem Dach, wo unter hohem Druck aus winzigen, mit mikroskopisch kleinen Stiften versehenen Düsen pures, ultrafein zerstäubtes Wasser spritzt. Eine Technik, die Nakaya bereits 1969 mit dem Ingenieur Thomas Mee für die Expo' 70 in Osaka entwickelt hat. Konstruktions- und atmosphärische Skizzen dazu sind in der Ausstellung zu sehen. Wie auch zu anderen Arbeiten, die fast alle Kombinationen wie "#10865/I" im Titel tragen. Diese beziehen sich jeweils auf die nächstgelegene Wetterstation, deren Daten die Planung der Installationen beeinflussen.

Das Haus der Kunst öffnet für Nakaya die Türen zum Eisbach

Damit man Zugang zu "Fogfall" hat, sind während der Ausstellung zwei Türen zur Terrasse und damit zum Eisbach hin geöffnet. Aber auch deswegen, damit der Nebel abziehen kann. Und das führt zu dem kleinen Wunder, dass der Innenraum seine Monumentalität einbüßt, er sich öffnet und weitet. Eine Transformation, die an vorangegangene Ausstellungen von Phyllida Barlow oder Ai Weiwei erinnert. Mehr Offenheit, mehr Transparenz, Vielfalt und Inklusion zu wagen, das hat sich der neue Direktor Andrea Lissoni tatsächlich auch auf die Fahnen geschrieben. Oder auch Geschichten, die Kunstgeschichte anders zu erzählen, wie er bei der Vorstellung des Jahresprogramms sagte.

Die Kunst von Nakaya, die auch eine begnadete Netzwerkerin ist, bietet dafür eine hervorragende Grundlage. Da sie das Privileg hatte, in den USA, Paris und Madrid zu studieren, lernte sie früh Künstler wie Andy Warhol oder Robert Rauschenberg kennen und trat 1966 der Gruppe E.A.T. - Experiments in Arts and Techology bei. Im Jahr 1980 gründete sie mit "Scan" die erste japanische Videogalerie, und von 1987 an organisierte sie das Japan International Video Television Festival in Tokio. Ihre eigene, 1979 beendete Videokunst-Phase ist dokumentiert durch Arbeiten wie "Static of the Egg" (1974), wo man sie bei dem Versuch sieht, ein Ei zu balancieren. Oder "Pond" (1976), wo man durch Überblendung und ein Video-Feedback-System sein Gesicht im virtuellen Wasser sieht.

Der Nebel macht Unsichtbares sichtbar

Eine Versuchsanordnung, die an Arbeiten von Nam June Paik oder Bill Viola erinnert, mit dem Nakaya eng befreundet ist. Aber auch an die Wissenschaft, was nicht verwundert. Ist Nakaya doch die Tochter des bekannten Physikers Nakaya Ukichirō, der die ersten künstlichen Schneeflocken erzeugte und für seine filmische und fotografische Dokumentation von atmosphärischen Erscheinungen bekannt ist. Und man könnte sagen, dass die Tochter seine Forschungen auf künstlerische Weise weiterführt. Die Besonderheit: Sie überlässt der Atmosphäre, der Natur, dem Klima die Kontrolle. Und sie nutzt Nebel als ein künstlerisches Medium, das Sichtbares unsichtbar und Unsichtbares (wie den Wind) sichtbar werden lässt.

Geprägt ist das von einem ökologischen Bewusstsein, in dem die damals erwachte Umweltbewegung aus den Siebzigern nachwirkt. So wie das Werk von Fujiko Nakaya wiederum andere beeinflusst hat. Wie etwa Ólafur Elíasson oder Carsten Nicolai, von dem von 3. Juni an eine Ausstellung im Haus der Kunst läuft. Davor zeigt das japanische Künstlerkollektiv Dumb Type vom 6. Mai an konsum- und medienkritische Arbeiten, und vom 10. Juni an wird das Haus der Kunst durch ortsspezifische Arbeiten von Tony Cokes erstmals mit dem benachbarten Kunstverein München vernetzt. Mit der Pionierin der Video-Performance-Kunst Joan Jonas rückt im September schließlich eine Künstlerin ins Zentrum, die ebenfalls auf das Fluide, Ephemere setzt. Wie Nakaya war und ist die 85-Jährige eine Brückenbauerin und für viele eine prägende Figur. Ihre erste Videokamera hat Jonas, heißt es, 1970 auf einem Japan-Trip erstanden.

Fujiko Nakaya: Nebel Leben, bis 31. Juli, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, hausderkunst.de

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