Ausstellung:Vom Straßenkind zum Wikinger

Ausstellung: Hägar der Schreckliche im Kreise seiner Lieben

Hägar der Schreckliche im Kreise seiner Lieben

(Foto: Dik Browne)

Mit vielen Original-Seiten und Zeichnungen erzählt die Ausstellung "Yes, we käng" im Münchner Amerikahaus die faszinierende Geschichte der Zeitungscomics.

Von Jürgen Moises

Er gilt als gefürchteter Eroberer. Für ihn selbst ist das Rauben und Brandschatzen aber nur ein Job, mit dem er seine vierköpfige Familie ernährt. Seine wahre Leidenschaft: das Essen. Auch in seiner Stammkneipe hängt er gerne ab. Mit Hausarbeit kann man ihn dagegen jagen, und genauso wenig mag er es, wenn seine Schwiegermutter zu Besuch kommt. Man sieht: Abgesehen vom Plündern könnte "Hägar der Schreckliche" unser Nachbar sein.

Und das mag erklären, warum der bärtige, in einem dreckigen Bärenfell herumlaufende Wikinger nach seiner Premiere am 4. Februar 1973 rasenden Erfolg hatte und noch heute in mehr als 1900 Zeitungen erscheint. Das heißt 50 Jahre, nachdem er im allerersten Strip mit seinem Heer vor die falsche Burg zog. Der Grund? Hägar hatte sich in der Hausnummer geirrt.

Wer sich nun als Hägar-Fan den Karolinenplatz 3 in München als Adresse notiert, dem dürfte das dagegen nicht passieren. Denn dort, im Amerikahaus, wird aktuell im Rahmen des am 8. Juni startenden Münchner Comic Festivals unter dem Titel "Yes, we käng" der fünfzigste Geburtstag von Hägar gefeiert. Zumindest war das die ursprüngliche Idee von Kurator Michael Kompa, die sich in der Zusammenarbeit mit Autor Timur Vermes und dem Comic-Historiker Alexander Braun zu einer Ausstellung über "Zeitungscomics von Yellow Kid über Hägar bis Känguru Comics" geweitet hat. Hägar ist trotzdem prominent vertreten. Es gibt viele Originalzeichnungen von Hägar-Erfinder Dik Browne sowie Werke des aktuellen Hägar-Zeichners Gary Hallgren.

Auch noch weitere Werke von Hallgren sind zu sehen. Darunter ein Cover der Underground-Comic-Zeitschrift "Air Pirates" von 1971, auf dem man Minnie Maus als Prostituierte sieht. Das Cover hat Hallgren nie vollendet, es ist nie erschienen. Denn die "Air Pirates"-Macher befanden sich damals aufgrund ähnlich böser Parodien in einem jahrelangen Rechtsstreit mit der Disney Company. Von Hägar-Vater Dik Browne gibt es ebenfalls frühere Arbeiten, aus der Serie "Hi & Lois", mit der er seinen Durchbruch hatte. Im Jahr 1988, ein Jahr vor seinem Tod, gab er die beiden Serien an seine Söhne Chance und Chris Browne weiter. Am 8. Juni ist Chance Browne zusammen mit Gary Hallgren im Amerikahaus zu Gast.

Ausstellung: Die erste Comic-Figur: Die Textzeilen hatte Richard Felton Outcault auf das Nachthemd seines glatzköpfigen "Yellow Kid" geschrieben.

Die erste Comic-Figur: Die Textzeilen hatte Richard Felton Outcault auf das Nachthemd seines glatzköpfigen "Yellow Kid" geschrieben.

(Foto: Richard Felton Outcault)

Eine solche innerfamiliäre Staffelübergabe war durchaus üblich im Zeitungscomics-Gewerbe, dessen Geschichte die höchst sehenswerte Ausstellung bis zum 5. Mai 1895 zurückverfolgt. An diesem Tag hatte das "Yellow Kid" in der New York World seinen ersten Auftritt. Das von Richard Felton Outcault gezeichnete, glatzköpfige Straßenkind im gelben Nachthemd agierte damals noch in einem Wimmelbild und noch nicht in den heute bekannten Panels. Und seine Textzeilen hatte Outcault auf das Nachthemd geschrieben. Was das "Kid" zur ersten Comic-Figur machte: Es kehrte in der Zeitung zuverlässig wieder. Das machte es zur Identifikationsfigur und zum ersten Comic-Superstar.

Zu verdanken hatte es das Joseph Pulitzer. Denn der berühmte Verleger hat nicht nur die Boulevard-Presse erfunden. Er legte seiner Zeitung New York World 1892 erstmals die "Funny Pages" bei. Das neue Unterhaltungsformat schlug ein wie eine Bombe. Aus den Bildwitzen wurden die ersten Zeitungscomics und diese zu einem einträglichen Geschäft, was bald zu einem erbitterten Verleger-Wettstreit führte. So kaufte etwa William Randolph Hearst bald Pulitzer das komplette Comic-Team ab, mit der Folge, dass "Yellow Kid" zeitweise in zwei Zeitungen erschienen. Bei den "Katzenjammer Kids", die der deutsche Wirtschaftsflüchtling Rudolph Dirks für Hearst erfand, war das ähnlich.

Ausstellung: Für Randolph Hearst erfand der deutsche Wirtschaftsflüchtling Rudolph Dirks "The Katzenjammer Kids".

Für Randolph Hearst erfand der deutsche Wirtschaftsflüchtling Rudolph Dirks "The Katzenjammer Kids".

(Foto: Rudoph Dirks)

Was die als "Max und Moritz"-Kopie gedachte Serie um zwei Radau-Brüder neben ihrer langen Laufzeit bis 2006 historisch macht, ist die Tatsache, dass Dirks erstmals Sprechblasen darin verwendete. Innovationen wie diese gab es ständig. Und es ist verblüffend, anhand der vielen Original-Seiten zu sehen, wie rasant sich der Comic als Kunstform entwickelt hat. So hat etwa der großartige Winsor McKay in "Little Nemo in Slumberland" den Surrealismus 20 Jahre vor dem Surrealismus erfunden. In Serien wie "Polly and Her Pals" zog schon früh der Expressionismus ein. George Herriman warf von 1913 an mit "Krazy Kat" dann sämtliche Konventionen über den Haufen. Und neue Genres wie der Abenteuer- und Superhelden-Comic etablierten sich.

In Deutschland bekam man davon nicht viel mit. Denn der Zeitungscomic konnte hier nie wirklich Fuß fassen. Weshalb man die in der Ausstellung ebenfalls vertretenen "Peanuts" oder "Garfield" hier nur aus Büchern, Heften oder dem Fernsehen kennt. Bezeichnend auch: Die zwei einzigen, ausgiebig vorgestellten deutschen Zeitungs-Strips, Volkert Reiches FAZ-Serie "Strizz" und die während Corona für die Zeit entstandenen "Känguru Comics" von Marc-Uwe Kling und Bernd Kissel, stammen aus den vergangenen 20 Jahren. Und davor? Da gab es mit Zeichnern wie Loriot ein paar Experimente, ansonsten kaufte man sich bei Bedarf Strips aus Amerika ein. Dem Land, in dem der Comic von Beginn an ein kapitalistisches Massenmedium war, aber schon früh auch große Kunst.

"Yes, we käng", bis 30. Sept., Amerikahaus München, Karolinenpl. 3, www.amerikahaus.de

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