Kunst und Kultur:Heimatkunde im Vorüberfahren

Lesezeit: 4 min

Eine Kuhherde, die in den Ruhrauen Schutz unter einer Autobahnbrücke (A40) sucht. (Foto: Michael Tewes/Verkehrszentrum Deutsches Museum)

In den Osterferien sind wieder alle unterwegs. Ein paar Gedanken zur deutschen Autobahn anlässlich der Ausstellung "Auto Land Scape" von Michael Tewes im Münchner Verkehrszentrum.

Von Jürgen Moises

Alle wollen an Ostern in den Süden. Das hat der ADAC in den vergangenen Tagen prognostiziert und deshalb vor Staus auf deutschen Autobahnen gewarnt. In Bayern seien etwa die A 8, A 9 und A 93 betroffen, und es hieß, dass vor allem an Gründonnerstag und Ostermontag mit viel Verkehr zu rechnen sei. Der Grund? Die Deutschen seien nach zwei Jahren Corona wieder reisefreudiger geworden. Und wenn sie verreisen, dann immer noch am liebsten mit dem Auto (oder inzwischen verstärkt dem Wohnmobil). Wo sie hinwollen? Nach Österreich, Italien oder in die oberbayerischen Naherholungsgebiete. Raus aus dem grauen Alltag, heißt, so darf man annehmen, die Devise. Nur dass einen diese zunächst auf die graue Autobahn führt.

Die Ausstellung

Auf Autobahnen ist auch der Berliner Fotograf Michael Tewes in den letzten Jahren viel gewesen. Nur wollte er nirgends hin, sondern genau dort bleiben. Zumindest so lange, bis er das richtige Motiv gefunden und eingefangen hatte. Dann ging es mit dem VW-Bus weiter. "Auto Land Scape" heißt das daraus entstandene Fotobuch (Hatje Cantz, 48 Euro). Und so heißt auch seine Ausstellung, die im Verkehrszentrum des Deutschen Museums zu sehen ist. Tewes' Motive: Straßen, Schallschutzwände oder Pfeiler. Und dann noch andere Dinge, die er auf oder an dem mit 13 200 Kilometer Länge größten zusammenhängenden Bauwerk in Deutschland entdeckt hat.

Dazu gehört etwa eine Kuhherde, die in den Ruhrauen Schutz unter einer Autobahnbrücke (A 40) sucht. Ein kleines Wäldchen, das in der Nähe von Schnaittach zwischen zwei Autobahntrassen (A 9) steht. Oder ein himmelblauer Tisch mit Bänken, die mit ihren knalligen Farben wie moderne Skulpturen bei Silberbach (A 6) in der Landschaft stehen. Der Brückenpfeiler bei Berchum (A 45) wirkt ebenfalls wie eine monumentale Skulptur. Der nachts von unten aufgenommene Werbepylon bei Thurnau (A 70) hat dagegen etwas von Science-Fiction. Vielleicht wegen der mysteriösen Lichtstimmung. Oder weil er einen an die Tripods aus der gleichnamigen britischen Fernsehserie erinnert.

Eine Komposition aus Linien und Flächen: Ein himmelblauer Tisch mit Bänken, die mit ihren knalligen Farben wie moderne Skulpturen bei Silberbach (A 6) in der Landschaft stehen. (Foto: Michael Tewes/Deutsches Museum Verkehrszentrum)

Der "Autobahn-Native"

Jedenfalls sind das Dinge, die man bei 130 km/h leicht übersieht oder nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt. Dafür muss man schon auf 0 km/h herunterbremsen. Etwas, was man sonst nur bei Stau oder bei einer Panne tut. Mit der Folge, dass man vieles oder die Autobahn als solche gar nicht wahrnimmt. "Den Blick neu auszurichten" sei seine Absicht, so der Fotograf, der zwar in Berlin lebt, aber in Remscheid aufgewachsen ist. Einer Stadt, die zeitweise mit dem Slogan "Remscheid - 1 a an der A 1!" warb. Als "Autobahn-Native" habe er deshalb zu Autobahnen schon fast eine heimatliche Bindung.

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Stille Botschaften

Was man auf Tewes Bildern nicht sieht, das sind Menschen. Auch an Schildern ist nicht viel zu sehen. Dabei sind die doch letztlich so etwas wie die "Gebrauchsanweisung" für die Autobahn, indem sie uns über Ausfahrten, den Streckenverlauf oder Verkehrsknotenpunkte belehren. Oder uns etwa in Form von blinkenden Lettern bitten, langsamer zu fahren. Wer da mit uns spricht, das ist die Frage, jedenfalls hat man den Eindruck: Hier wird ständig kommuniziert.

Neben blauen gibt es auch braun-weiße Verkehrszeichen, auf denen Dinge wie "Stauferland. Drei-Kaiser-Berge" oder "Ringelnatz-Stadt Wurzen" stehen. Mehr als 3400 gibt es bundesweit davon und etwa 800 in Bayern, um uns auf naheliegende Sehenswürdigkeiten hinzuweisen. Eine "Heimatkunde im Vorüberfahren" könnte man die Schilder nennen, die es seit den Achtzigern in Deutschland gibt. Und laut einer 2019 von der Hochschule Harz durchgeführten Umfrage, ließ sich dadurch jeder Sechste schon einmal zum spontanen Abfahren von der Autobahn verführen.

A 81, Jagstal Ost: Bunte Sportwagen auf einem abgestellten Transporter. (Foto: Michael Tewes/Deutsches Museum Verkehrszentrum)

Die Anfänge

Das klingt fast so, als wäre die Autobahn mit Kultur und Natur recht eng verbunden. Auch wenn man diese vom Auto aus nicht sieht. Dass die Autobahn die Landschaft nicht schädigt, sondern im Gegenteil verbessert: Das haben übrigens die Nazis so gesehen. So wurde vom leitenden Bauingenieur des Autobahnprojekts Fritz Todt eine "landschaftsbetonte Linienführung" propagiert. Und wenn er die "fesselnde" Talfahrt vom Irschenberg in Richtung Chiemsee beschreibt, dann klingt er fast wie ein Romantiker.

Die erste deutsche Autobahn? Das war die heutige A 555 (von Bonn nach Köln), in der Ausstellung sind Reste des Originals zu sehen. Sie wurde 1932 eingeweiht und also nicht von Hitler erbaut. Er machte jedoch den Autobahnbau zum Prestigeprojekt und ließ mehr als 3000 Kilometer zupflastern. Aber: Nur etwa jeder sechzigste Deutsche hatte damals ein Auto. In der Bonner Republik wuchs dank Wirtschaftswunder der Verkehr. Es ging nur noch ums schnelle Fahren, Kurven galten als Gefahren, und die Autobahnen wurden immer mehr zur service- und sicherheitsorientierten Parallelwelt.

Ein kleines Wäldchen, das in der Nähe von Schnaittach zwischen zwei Autobahntrassen (A 9) steht. (Foto: Michael Tewes/Deutsches Museum Verkehrszentrum)

Die Autonauten

Ein Sinn für die Ästhetik der Autobahn lässt sich auch in den Siebzigern nachweisen. "Vor uns liegt ein weites Tal / Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl" heißt es ebenfalls fast romantisch im Lied "Autobahn" von Kraftwerk, die darin mit monoton-repetitivem Aufbau und auf- und abschwellenden Tönen eine Autofahrt simulieren. Die Inspiration dafür sei der Spaß am Fahren auf Autobahnen gewesen, haben die Musiker der Elektronikband erklärt. "Wir fahr'n fahr'n fahr'n auf der Autobahn" heißt die bekannteste Zeile. Der Song wurde ein Hit, das gleichnamige Album gilt als musikalischer Meilenstein.

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Dass man eine Autobahn tatsächlich auch selbst bereisen kann, haben Julio Cortázar und Carol Dunlop 1982 bewiesen. Einen ganzen Monat waren sie auf der Autobahn Paris-Marseille unterwegs. Sie haben jeden Rastplatz angesteuert und auf jedem zweiten übernachtet. Und aus dem, was sie mit ihrem "Fafnir" genannten VW-Bus dort erlebten, haben sie mit "Die Autonauten auf der Kosmobahn" eines der originellsten Reisetagebücher gemacht. Ein Buch für "alle Bekloppten", das unter anderem bei "Don Quichote" Anleihen macht. Und das uns genauso wie Michael Tewes' Bilder die Autobahn neu sehen lässt. Gute Fahrt!

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