Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:In den Gemächern der Augustiner-Dynastie

Die Augustinerbrauerei hat in ihrem Stammhaus an der Neuhauser Straße die Wagner Salons sanieren lassen. Damit bekommt die Öffentlichkeit erstmals private Einblicke.

Von Julian Hans

So wie der Mann da sitzt, mit wuscheligem Haar und Vollbart und den drei kleinen Kindern auf dem Schoß, könnte dieses Bild in den Siebzigerjahren in einer Kommune aufgenommen worden sein oder in einem alternativen Kinderladen. Nur die weißen Blusen mit dem hoch geschlossenen Kragen und der Dutt der Frauen im Hintergrund verraten, dass das Foto viel älter sein muss. Der Sponti mit den Kindern ist Emil von Trentini, seine Frau Sophie stammt aus der Brauereifamilie Wagner und ist an der Schwelle zum 20. Jahrhundert eine engagierte Vorkämpferin für Frauenrechte in München.

"Ein fescher Kerl!", schwärmt Catherine Demeter. Sie ist Nachfahrin der Familie Wagner in siebter Generation und als Erster Vorstand der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung ebenfalls eine starke Frau im immer noch männlich dominierten Brauereigeschäft. Mit 51 Prozent hält die Stiftung die Mehrheit an der Augustiner-Bräu Wagner KG, der ältesten Brauerei der Stadt. Unter den 150 Bildern aus Familienalben, die Catherine Demeter für die neu eröffneten Wagner Salons im Augustiner Stammhaus ausgewählt hat, ist dieses Bild eines ihrer liebsten. "Unglaublich modern" sei der Emil gewesen, sagt Demeter: "Der hat seine Frau sehr unterstützt im Kampf für Gleichberechtigung". Sophie von Trentini seien übrigens auch die Kellnerinnen in Münchens Wirtshäusern am Herzen gelegen, "die waren damals so gut wie schutzlos".

Mit der Eröffnung der Wagner Salons gewährt die Brauerei-Dynastie der Öffentlichkeit erstmals Einblicke in die Gemächer der eigenen Familie - auch wenn es schon eine Weile her ist, seit hier Nachkommen von Anton und Therese Wagner gewohnt haben. In den vergangenen Jahrzehnten waren die Räume an eine Anwaltskanzlei vermietet. Vier Jahre lang wurde das Stammhaus in der Neuhauser Straße renoviert, vom Keller aufwärts und bei laufendem Betrieb. Die Eröffnung der Wagner Salons ist nun der krönende Abschluss. "Mir war wichtig, dass die Atmosphäre einer Wohnung erhalten bleibt", sagt Catherina Demeter. Im Foyer hängen Gemälde von Edith Haberland-Wagner, die dem Künstlerkreis in Murnau nahe stand. Nachdem sie 1996 kinderlos verstarb, gingen ihre Anteile an der Brauerei in die Stiftung über.

Das von Emanuel von Seidl entworfene Gebäude hat nun außer dem berühmten Muschelsaal mit seiner Jugendstil-Glaskuppel einige weitere Schmuckstücke von historischem Wert. Fünf Salons und eine Bibliothek bieten Platz für 200 Gäste. Die werden aus einer eigenen Schenke und eigenen Küche auf dem Stockwerk mit gehobener bayerischer Kost versorgt. Seidl hat die Räume im Halbrund um die Wendeltreppe angeordnet und farbenprächtig im Stil des Rokoko, Barock und der Renaissance ausgeschmückt. Klangvolle Namen sollen an die frühere Nutzung erinnern: Es gibt einen roten Herrensalon, ein Musikzimmern, einen blauen Damensalon, ein Delfinzimmer, ein Speisezimmer und eine Bibliothek. Wofür wohl ein "Delfinzimmer" genutzt wurde, darüber können die Gäste rätseln, die Figuren unter der Decke jedenfalls erinnern eher an schlecht gelaunte Wale mit Löwenmähnen.

Die Wagners haben gern gezeigt, was sie erreicht haben und wer sie sind. Emanuel von Seidl hat in seinem Leben modernere Bauten entworfen, aber am Ende richtete er sich nach den Wünschen seiner Auftraggeber. Das Ergebnis ist üppig und verspielt. Beeindruckend ist allein schon die in Grün und Gold geprägte Tapete, die zur Restaurierung von einer Firma in Frankreich eigens für diesen Raum angefertigt wurde. Über allem wachten natürlich die strengen Augen des Landesamts für Denkmalpflege.

Dem Erhalt denkmalgeschützter Bauten wird in der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung viel Aufmerksamkeit geschenkt. Zuletzt hat sie die Restaurierung der Gelben Treppe in der Residenz mit drei Millionen Euro gefördert. In Gut Freiham will sie ein ganzes Dorf in neuem Glanz wieder auferstehen lassen. Mit Augustiner Biergarten, versteht sich. Denn am schönsten ist es, wenn sich Restaurierung und Restaurant verbinden lassen; auch in der Neuhauser Straße wird nicht nur ein Stück Prinzregentenzeit wieder lebendig wird, sondern die Wirtschaft in bester Lage bekommt auch 200 Plätze zusätzlich.

Die Salons unterschiedlicher Größe bieten sich besonders für Geschäftsessen und Familienfeiern an. Man kann die Türen schließen und unter sich sein oder alle Räume miteinander verbinden wie am Eröffnungsabend. Es spielt - natürlich - Salonmusik, und die Kellner servieren Kalbsbackerl mit Kräustersaitlingen und Asia-Beef-Tartar auf Glasnudeln als fliegendes Buffet. Die geladene Gastro-Prominenz ist angetan und nutzt die Gelegenheit zur Erörterung grundsätzlicher Fragen der Branche: "0,5 ist keine gute Halbe!". Es bleibe zu wenig Platz für Schaum. Ein Dilemma, für das in den 691 Jahre seit Gründung der Brauerei offenbar noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde.

Catherine Demeter ihrerseits nutzt die Eröffnung, um darauf hinzuweisen, dass es in der Geschichte ihrer Familie keineswegs nur Konservative gab. Anton Wagner sei durchaus ein weltoffener Mann gewesen, sagt sie: "Er hat jede Meinung gelten lassen. Er hat überhaupt keine Standesdünkel gehabt. Hier war jeder willkommen, und das ist ja heutzutage gar nicht so selbstverständlich". Trotzdem: Dass ihre Urgroßmutter später ausgerechnet einen bekannten Sozialisten zum Mann wählen musste, sei in der Familie dann doch lange lieber totgeschwiegen worden. Dabei sei er eigentlich ein Held gewesen: Der Autor Richard Scheid war 1919 für ein paar Wochen Kriegsminister der Münchner Räterepublik. Das genügte, damit ihn die Nazis später für vier Jahre in Dachau einsperrten.

Besonderes Augenmerk legt die Nachfahrin auf die starken Frauen in der Familie. Immerhin war es Therese Wagner, die nach dem Tod ihres Mannes über zwölf Jahre lang die Geschäfte führte und dabei den gegen manche Bedenken den Umzug der Brauerei auf das Gelände in der Landsberger Straße durchsetzte. Eine Brauerei vor den Toren der Stadt? Das schien vielen damals absurd. Längst ist die Stadt weit über die Landsberger Straße hinausgewachsen, und niemand könnte sich heute vorstellen, dass die mehr als anderthalb Millionen Hektoliter Bier, die Augustiner heute jährlich verkauft, in der Fußgängerzone gebraut würden.

Geschichten und Authentizität, das ist natürlich auch ein Kapital im Zeitalter der Systemgastronomie. Das ist dem Management klar, und auch die Wirte freut's. Die Wagner Salons in seinem Haus seien nun das "i-Tüpfelchen auf einem gastronomischen Gesamtkunstwerk", schwärmt Thomas Vollmer, der Chef. "Staubschutzwände auf der Länge der Chinesischen Mauer" hätten die Handwerker im ganzen Haus verbaut, damit sein Betrieb während der Renovierung weiter laufen konnte und kein Mörtel ins Kesselfleisch rieselte. Was viele nicht wüssten, lobt Vollmer: "Die Augustiner Brauerei braut nicht nur das beste Bier, sie hat auch die besten Schreiner".

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Quelle:
SZ vom 09.11.2019
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