Kirchweihdult:Durch die Lichtschranke zur Mandeltüte

Trotz steigender Infektionszahlen darf die Auer Dult stattfinden - mit weniger Besuchern und Ständen. Die Schausteller hoffen, dass die Dult wie geplant bis kommenden Sonntag offen bleiben darf.

Von Tom Soyer

Am härtesten hat es die Marktschreier mit den "Neuigkeiten" erwischt. Vom Innovationsschub ihrer neuen Höchstglanz-Autopolituren oder marsflugtauglichen Gurkenhobel her betrachtet, wäre das vielleicht zu verschmerzen bei der Auer Dult. Aber die sensationelle Performance der Verkäufer, die neben der Mariahilfkirche traditionell ihre "Vorteilspakete" unters gurkenhobelwillige Volk brachten, die fehlt. Wo sie einst ihre Stände hatten, verläuft 2020 die "Anstellzone" vor einem der zwei Eingänge. Wo "gesundes Gemüse" angepriesen wurde, geht es nun erst recht um Gesundheit. Und um ein Hygienekonzept, mit dem die Kirchweihdult in Pandemiezeiten ermöglicht wird.

Sonntag, kurz vor zehn Uhr: Das Sicherheitspersonal hält die Schließungszeit penibel ein, während sich Besucher mit Mund-Nasen-Schutz bis zur Ohlmüllerstraße zurückstauen. Ein Ehepaar aus Hadern ("echte Münchner; mir wern a moi ausgstopft!") ist auf der Pirsch nach einem Topfhandschuh. Dass zehn Minuten vor Marktöffnung schon so viele andere hier sind, gefällt ihnen als Dult-Fans, befremdet aber zugleich etwas. "D'Leit stenga o, ois gaab's heit für de erstn 500 ois gratis!"

Das Ehepaar vor ihnen wird fünf Minuten nach Einlass bereits mit triumphaler Zufriedenheit die ersehnte Beute in der Handtasche versenken: ein Paar graue Filzpantoffeln für den Herrn. Praktischerweise direkt am ersten Stand nach der Lichtschranke erstanden, bei "Lenas Einlegsohlen". Dorthin gelangt nur, bei wem die Leuchtsäule am Einlass grünes Licht zeigt. Lichtschranken zählen jeden Besucher, die Lichtsäulen springen sofort auf Rot, wenn 500 Menschen im eingezäunten Dult-Gelände unterwegs sind.

Die Kirchweihdult ist traditionell die stärkste Dult für die Marktkaufleute. Mai- und Jakobidult sind heuer schon wegen der Pandemie ausgefallen - jetzt durften von den üblichen 300 Ständen nur 141 auf den Mariahilfplatz, locker gruppiert, mit Einbahnregelungen, klar ausgeschildert, zudem mit vielen Stationen mit Desinfektionsmittel und Hygiene-Hinweistafeln.

Bei nur fünf Grad Celsius sind warme Einlegesohlen natürlich gefragt. Viele bleiben, kaum durch die Lichtschranke, gleich bei Uwe und Lena Langhammer hängen. "Das ist für uns dieses Jahr erst die zweite Veranstaltung, nach dem ,Sommer in der Stadt'", wo Lenas Einlegesohlen am Wittelsbacher Platz feilgeboten wurden. "Wir hätten sonst rund 30 Veranstaltungen gehabt, Jahrmärkte in Memmingen, Lindau, die drei Auer Dulten, Volksfeste", sinniert Uwe Langhammer. Er ist dankbar, dass diese Dult läuft (10 bis 19 Uhr; Fahrgeschäfte 10.30 bis 19 Uhr), und zittert, ob sie wirklich bis kommenden Sonntag offen bleiben kann. Sein Geschäft gibt es seit 60 Jahren auf der Dult, es ist das Leben der Langhammers, die in den vergangenen Monaten "von Rücklagen" lebten. Die sind für Selbständige eigentlich die Altersversorgung, "eine Rente haben wir ja nicht". Entsprechend wichtig sei jetzt die Dult - auch als Wegweisung für die Frage, ob es Weihnachtsmärkte geben kann. "Wenn die Weihnachtsmärkte ausfallen, geht es um die Existenz", sagt Uwe Langhammer.

"Alle Dulten waren vorbereitet, wir mussten alle Pläne wieder einstampfen", sagt Hans Spindler vom Referat für Arbeit und Wirtschaft, der an diesem Sonntag mit einer Kollegin die Marktleitung inne hat. Er steht vor seinem Containerbüro neben der Kirche und drückt den Schaustellern und Kaufleuten die Daumen, "dass wir die Dult planmäßig zu Ende bringen". Denn die sei ja "im Prinzip nichts anderes, als ein Kaufhaus unter freiem Himmel" - mit strengem Hygienekonzept und großen Abständen obendrein. "Man leidet natürlich mit", sagt Spindler, und es sei nicht leicht gewesen, in den einzelnen Kategorien - Geschirrstände, Wurststände, et cetera - die Bewerber auszuwählen. Die Vergabe erfolge nach einem Punktesystem, bei dem Erfahrung, Zuverlässigkeit und Qualität der Produkte bewertet würden.

Die Neuigkeitenverkäufer haben auch deshalb schlechte Karten bei dieser Corona-Dult, weil sich dort immer Menschentrauben bildeten. Das gehe derzeit natürlich nicht, ergo wurden solche Stände kaum berücksichtigt. Sie treffe es nicht so hart wie andere, sagt Spindler, die hätten immer noch ihre Stände in Fußgängerzonen. Auch der "billige Jakob" ist nicht dabei. Der ist zwar eine Dult-Institution, der Betreiber gehöre aber "mit gut über 80 Jahren" zur Risikogruppe und habe Verständnis gehabt, sagt der städtische Marktleiter.

Lichte Budenstraßen, ein halb gefülltes Kettenkarussell, dafür guter Betrieb bei Christian Krems mit seinen Crêpes und Waffeln, oder bei Inhaber-Sohn Hans Stadtmüller von der Fischer-Vroni. Rinaldo Livanelli aus Obergiesing, der mit seiner Familie und Nachbarn unterwegs ist, genießt die "Dorfatmosphäre" mit den Kindern. Man werde nicht mehr "so gequetscht" wie früher, alles sei sehr schön entspannt. Er könnte sich das auch mit 1000 oder 1500 Menschen noch gut vorstellen - und ist froh, dass es die Dult wenigstens so gibt.

So sieht das auch Markus Kaiser aus Sendling mit seinem Zuckerwatte- und Mandel-Stand ("Zum Mandel-Hans"). "Unser Familienbetrieb generiert heuer nur 20 Prozent vom üblichen Jahresumsatz" mit den sieben Mandel-Ständen. Den Lockdown habe er daheim nicht ausgehalten, er habe Kontakte geknüpft und bereitwillige Unterstützung gefunden: Bei einem Bekannten, wo er einen Stand dauerhaft und gebührenfrei auf dessen Tankstelle in Sauerlach aufstellen durfte, ähnlich beim Gasthof Peiß in Dietramszell und an der Seepromenade in Bad Wiessee. Echte Überlebenshilfe in schwierigen Zeiten, wie er sie allen in seiner Zunft wünscht. "Volksfest funktioniert nur als Symbiose", sagt er aus tiefer Überzeugung. Er jammert nicht, er ist dankbar und zufrieden. Zu jeder verkauften Mandeltüte ruft er ein herzliches "lasst's es euch schmeckn!" über seine Theke, wo auch Lebkuchenherzl hinter der Plexiglasscheibe baumeln. Er führt jetzt auch die Sorte mit der Zuckerglasurschrift "Bleibt's gsund!"

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