München:Atelier als Rarität

Boris Koller in seinem Atelier in München, 2012

Der Künstler Boris Koller 2012 in seinem Atelier in der Pasinger Kuvertfabrik, die nun schon seit zwei Jahren leer steht.

(Foto: Johannes Simon)

Der Verein "Mehrraumkunst" will Münchens Künstler vernetzen und mobilisieren, denn die Suche nach bezahlbaren Werkstätten erscheint zunehmend aussichtslos

Von Jutta Czeguhn

Es war das Klischee von einem Atelier, geradezu malerfürstlich, Gustav Klimt oder andere Wiener Secessionisten hätte man sich gut vorstellen können in Boris Kollers Malerstube in der Premier Etage der ehemaligen Kuvertfabrik. Stube ist natürlich flott untertrieben, denn der österreichische Kitschkünstler hatte viel Platz für seine ausladenden Ölschinken und seine Nyckelharpa-Sammlung. Durch die Sprossenfenster fiel von Norden großzügig Licht. Doch Kollers Atelier existiert nur noch in der Erinnerung, 2013 hat er das Künstlerhaus an der Landsberger Straße in Pasing Richtung Gräfelfinger Gewerbegebiet verlassen. Anfang 2015 sind dann auch alle anderen Mieter weitergezogen. Seither steht die Kupa, wie sie liebevoll genannt wird, leer. Ein Investor soll dort unter anderem Luxus-Appartements planen, heißt es zumindest.

Das Ende der Pasinger Künstlerkolonie in der Kupa illustriert ziemlich gut, wohin die Reise geht für Kreative in dieser durchgentrifizierten, unter Wohnungsnot ächzenden Stadt. "Mehrraumkunst" nennt sich ein Verein, der 2016 von Künstlern gegründet wurde, die das Städtische Atelierhaus Baumstraße verlassen mussten und nun auf vier Standorte in München verteilt sind. Nachdem sie nun, wie sie selbst sagen, aus der "Umzugsstarre" erwacht sind, wollen die 30 Mitglieder die Bande und Synergien, die in fünf gemeinsamen Jahren im Haus an der Baumstraße entstanden sind, weiter nutzen. Hauptziel ist es, ein neues Atelierhaus aufzubauen. Weil aber großhorizontiges Denken allein keinen Sinn hat auf diesem schwierigen Weg, sieht sich der Verein auch als "Vernetzungs- und Diskussionsplattform". Mit einem Salon, der viermal im Jahr stattfinden soll, will man den Austausch unter den Münchner Künstlerinnen und Künstlern anstoßen. Eine erste Aktion der Mehrraum-Künstler war jetzt ein Podium im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten.

"Die Stadt soll sich dahinterklemmen, dass sie nicht zum Rentnerparadies wird, sondern zu einer zukunftweisenden, frischen Stadt", forderte auf dem Podium Künstlerin Katharina Weishäupl. Es seien die Kreativen, die Innovationsgeist in die Gesellschaft brächten. Im Grunde sei Kunst "Grundlagenforschung" und entsprechend zu würdigen. Weishäupl schilderte pointiert, was einem bei der Ateliersuche in München von Vermietern so alles zugemutet wird: Kellerräume ohne Heizung? "Ach, was, da stellen Sie einfach einen Elektro-Ofen rein!" Von der Stadt fordert sie sich mehr Courage, etwa zu einem "Flagship-Atelier" mit Signalwirkung, nach dem Motto "München macht's vor".

"Ein Hotspot", ein Atelierhaus am besten mit 30 000 Quadratmetern Geschossfläche, denn es gehe um die Sichtbarmachung der Kunst - das wünscht sich auch Architektin Martina Günther, ebenfalls Mehrraum-Mitglied. Sie hat für die Stadt Flüchtlingsunterkünfte in innovativer Leichtbauweise konzipiert und dabei erlebt, wie flexibel das Regelwerk der Bauvorschriften auf einmal werden kann, wenn die Politik unter entsprechenden Druck gerät. Doch wenn es um Raum für Künstler geht, dann beobachtet Günther "die Angst vor Unordnung" bei Vermietern wie Investoren. "Dabei sind die geniale Bauherren, weil es ihnen um die Basics geht, um einfache Strukturen", weiß Martina Günther.

Ob man ihre Auffassung in der städtischen Wohnungsgesellschaft Gewofag teilt? Prokurist Günther Schabenberger sollte auf dem Podium Auskunft geben über die Kultur-Affinität der städtischen Wohnungsgesellschaft. Schon immer, seit ihrer Gründung 1928, schaffe die Gewofag auch Ateliers, berichtete Schabenberger. Von den 35 000 Wohnungen im Eigentum der Gesellschaft seien 50 Wohnateliers und 28 Arbeitsateliers. Doch sei aktuell der Druck sehr stark. "Wir haben 30 Prozent der Wohnungen in der sozialen Nutzung, das war früher nicht so", sagte Schabenberger. Da bewege sich die Gewofag in einem Spannungsfeld, denn schließlich müsse die Gesellschaft auch wirtschaftliche Erfolge vorweisen. Aber Schabenberger zeigte sich offen für kreative Vorschläge. Sympathie zeigt er beispielsweise für das Konzept der Stadt Wien, wo es Wohnraum statt Parkraum heißt, der Verzicht auf den Bau von Tiefgaragen finanzielle Spielräume öffnet.

Für die Landeshauptstadt saß Marc Gegenfurtner vom Kulturreferat auf dem Podium. Woher in einer so stark wachsenden Stadt Raum für die Kunst nehmen - das sei eine Frage, die alle umtreibe, sagte Gegenfurtner. Das Problem lasse sich nur gemeinsam angehen. Den Schuh, die Stadt tue zu wenig für ihre Künstler, wollte sich er nicht anziehen, und den Vergleich Münchens mit "sexy Berlin" fand er reichlich fad. "Wir haben zwei Atelierbeauftragte und das Kompetenzteam Kreativwirtschaft", sagt er und verwies auch auf die städtischen Atelierhäuser, Mietzuschüsse und Stipendien (siehe Kasten). Seiner Ansicht nach ist die Flexibilität der Künstler gefordert. Wie die Stadtplaner müssten auch sie dezentral, "außerhalb des Mittleren Ringes denken". In den Stadtvierteln gebe es viel kreatives Potenzial und interessante Immobilien wie etwa stillgelegte Fabrikhallen. Und es entstünden große, neue Wohnquartiere in Freiham oder im Prinz-Eugen-Park. Auch die Menschen dort hätten Interesse an Kultur.

Gegenfurtner räumte aber auch ein, dass München bei der kulturellen Stadtentwicklung bisher "vielleicht etwas zu klassisch" denke, in Richtung Volkshochschulen, Bibliotheken oder Servicezentren. Hier müssten "neue Formen des Denkens" Einzug halten. "Dass München eine Kulturstadt ist, darüber sind wir uns alle einig und auch darüber, dass der Kulturbegriff ständig angepasst werden muss."

In Pasing, wo die Künstler aus der alten Kuvertfabrik verschwunden sind, wird man das aufmerksam hören. Denn nicht nur die Kupa ist dem Stadtviertel als Kulturort abhanden gekommen, im vergangenen Jahr verschwand auf einem ehemaligen Bahngelände auch der Kopfbau, für den das Kulturreferat schon ein fertiges Konzept in der Schublade hatte, mit Ateliers, Proberäumen und kleinen Bühnen. Der Stadtrat beschloss den Abriss. Jetzt hoffen sie im Stadtbezirk, dass auf dem Areal, auf dem die Stadt derzeit 300 Wohnungen baut, nun doch ein Kulturzentrum entsteht, mit Raum für Künstler.

Nähere Infos unter www.mehrraumkunst.net

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