Süddeutsche Zeitung

Gerichtsprozess in München:Der Arzt als Drogendealer

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Ein Mediziner stellt in 557 Fällen Betäubungsmittelrezepte gegen Barzahlung aus - ohne ärztliche Untersuchung. Wie er dabei vorging und was ihm jetzt droht.

Von Susi Wimmer

Es genügte, den richtigen Arzt zu kennen und die richtige Adresse: Der Mediziner Rolf M. verkehrte im Cafe Luitpold, im Il Mulino oder in Schuhbecks Orlando. Dort empfing er seine Kunden und stellte ihnen - ohne Untersuchung, Anamnese oder ausführliche Selbstauskunft - Privatrezepte für Cannabis aus.

"Es kam ihm darauf an, Geld zu verdienen", so schlicht formulierte es sein Anwalt Sebastian Glathe. Gut 50 000 Euro soll der heute 68-Jährige binnen eineinhalb Jahren damit eingestrichen haben. Jetzt sitzt er vor der 19. Strafkammer am Landgericht München I und muss sich wegen 557 Fällen verantworten, in denen er Betäubungsmittel entgegen den gesetzlichen Vorschriften verschrieben hatte.

Den Menschen, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind, hat der "Arzt mit Weiterbildung für Naturheilverfahren" sicherlich keinen Gefallen getan. Seit März 2017 kann Cannabis ärztlich verschrieben werden, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Diese Voraussetzungen aber sind streng - und die Betroffenen haben mit den Krankenkassen zu kämpfen, dass diese die Kosten übernehmen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll der nun angeklagte Rolf M. zu diesem Zeitpunkt beschlossen haben, unter dem Deckmantel seiner ärztlichen Zulassung einen "schwunghaften Handel mit Marihuana" anzukurbeln.

Wie Rolf M. über seinen Rechtsanwalt einräumte, ließ er seine Patienten für die Ausstellung eines Privatrezepts zunächst 120 Euro, später 150 Euro bezahlen - ausschließlich in bar. Für ein Folgerezept verlangte er noch einmal weitere 60 Euro.

Konnte ein Patient nicht bezahlen, zerriss Rolf M. das Rezept vor dessen Augen

Rolf M. betrieb zwar Praxisräume in einer Villa am Maximiliansplatz, aber diese sei laut Angaben seines Rechtsanwalts gar nicht auf Patienten eingestellt gewesen. "Darin befand sich nicht einmal eine Liege zur Untersuchung." Eine ärztliche Tätigkeit fand also gar nicht statt. Rolf M. ließ auch nur einen Teil seiner Kunden eine Selbstauskunft ausfüllen, und wenn doch, legte er diese auch nur sporadisch in Patientenakten ab. Medizinische Vorbefunde und Fremd-Diagnostik wurde ebensowenig angefordert oder geprüft. Laut Gesetz wäre der Arzt jedoch vor der Ausstellung eines Cannabis-Rezeptes dazu verpflichtet gewesen.

Stattdessen ordinierte der Mediziner in diversen Cafés und Restaurants. Er reservierte dort einen Tisch und ließ nach und nach seine Patienten herantreten, um ihnen gegen Barzahlung die Rezepte auszuhändigen. Außerdem trat er bei Cannabis-Messen als spezialisierter Arzt auf und ak­qui­rie­rte dort neue Kunden. In zwei Fällen war sein Patient noch minderjährig. Zudem überschritt er in zwei Dutzend Fällen die zulässige Höchstmenge für verschreibungspflichtiges Cannabis in einem Monat.

All das räumte der Angeklagte über seinen Anwalt ein. "Es gibt noch einen Aspekt, der mir fehlt", sagt er nach dem Geständnis. Es wirke ja so, als habe er nur Dollarscheine in den Augen gehabt. "Aber ich war einer der wenigen Ärzte, die fragten, wie die Patienten denn lebten. Und ich habe auch welche ohne Honorar betreut", versichert er. Der Vorsitzende Richter Markus Koppenleitner hält dem Angeklagten vor, dass er, wenn ein Patient nicht bezahlen konnte, vor seinen Augen das Rezept zerrissen habe. Darauf sagt Rolf M. nichts mehr.

Sollte der Mediziner zustimmen, seine Approbation dauerhaft abzugeben, so erwartet ihn eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten bis zu vier Jahren. Darauf haben sich die Verfahrensbeteiligten in einem Verständigungsgespräch geeinigt. Ein Urteil könnte noch in diesem Monat gesprochen werden.

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